2.2.1.4.3Einsetzen der Sozialhilfe (§ 18 SGB XII)
Nach § 18 Abs. 1 SGB XII gilt in der Sozialhilfe der Kenntnisgrundsatz. Das heißt, dass die Leistungen der Sozialhilfe – mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – beginnen, sobald dem Sozialhilfeträger bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Sozialhilfe kann also ab dem Tag gewährt werden, an dem der Sozialhilfeträger erfahren hat, dass jemand einen Bedarf hat. Es reicht aus, dass die Person selber anruft und ihren Bedarf geltend macht oder auch dass z. B. ein Nachbar dem Sozialamt mitteilt, dass eine Person Sozialhilfe benötigt.
Ein besonderer Antrag ist nicht vorgeschrieben. In der Regel lässt der Sozialhilfeträger jedoch einen „Antragsvordruck“ ausfüllen, mit dem er alle für seine Entscheidung notwendigen Angaben zu den persönlichen und finanziellen Verhältnissen einer Person abfragt.
Für die Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung gibt es die abweichende Regelung, dass die Leistungen nur auf Antrag gewährt werden. Nähere Einzelheiten dazu werden in Kapitel 6.1.12 erläutert.
2.2.1.4.4Gesamtfall- und Untersuchungsgrundsatz
§ 18 SGB XII beinhaltet auch den Gesamtfall- und Untersuchungsgrundsatz. Dieser steht zwar nicht ausdrücklich in der Vorschrift, ergibt sich aber im Zusammenhang mit den §§ 18 und 20 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch, die auch für die Sozialhilfe gelten. Der Grundsatz besagt, dass der Sozialhilfeträger, wenn ihm ein Bedarf bekannt wird, den gesamten Fall prüfen muss. Wenn also eine Person beim Sozialamt anruft und sagt, sie möchte Hilfe zum Lebensunterhalt bekommen, muss der Sozialhilfeträger von sich aus prüfen, ob die Person auch andere Sozialhilfeleistungen, also z. B. Hilfe zur Pflege, benötigt oder ob vielleicht noch weitere Personen aus der Familie, etwa ein Ehepartner, Anspruch auf Sozialhilfeleistungen haben.
2.2.1.4.5Gegenwärtigkeitsprinzip (§ 18 SGB XII)
Ebenfalls aus § 18 SGB XII ergibt sich das Gegenwärtigkeitsprinzip. Dass Sozialhilfe nach § 18 SGB XII erst ab dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens geleistet werden kann, bedeutet gleichzeitig, dass Leistungen für die Zeit vor dem Bekanntwerden ausgeschlossen sind. Es gibt also keine Sozialhilfe für die Vergangenheit, insbesondere können keine Schulden übernommen werden. Sind aufgrund des Bekanntwerdens im laufenden Monat Leistungen nur für einen Teilmonat zu erbringen, wird immer auf Basis von 30 Tagen gerechnet, auch wenn der Monat tatsächlich mehr oder weniger Tage hat.
2.2.1.4.6Bedarfsdeckungsprinzip
Das Bedarfsdeckungsprinzipsteht nicht ausdrücklich im SGB XII, sondern ergibt sich aus den zuvor genannten Sozialhilfegrundsätzen, insbesondere aus dem Gesamtfallgrundsatz und dem Gegenwärtigkeitsprinzip. Gemeint ist damit, dass der gesamte Bedarf, den eine Person gegenwärtig (also meistens in einem Kalendermonat) hat, zu decken ist, aber eben nicht mehr (z. B. der Bedarf für das ganze Jahr im Voraus) und auch nicht weniger. Nähere Einzelheiten zum Bedarfsdeckungsprinzip finden sich in Kapitel 6.3.
2.3VORRANGIGE LEISTUNGEN IM ÜBERBLICK
Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und auch die Leistungen der Sozialhilfe (SGB XII) sind absolut nachrangig. Der Leistungsberechtigte ist verpflichtet, vorrangige Leistungen anderer Sozialleistungsträger in Anspruch zu nehmen. Sie erhalten hier einen Überblick über die wichtigsten vorrangigen Leistungen.
2.3.1Leistungen der Rentenversicherung nach SGB VI
Rentenversicherungsleistungen werden vom zuständigen Rententräger auf Antrag erbracht. Voraussetzung für jede Rentenart ist die Erfüllung einer sog. Wartezeit, die je nach Art der Rente unterschiedlich lang sein kann. Da es im Rentenrecht viele unterschiedliche Arten von Rente gibt, wird in diesem Buch nur auf die wichtigsten Bezug genommen.
Die Altersrenteist wohl die bekannteste Rentenform. Um einen Anspruch auf eine ungeminderte Altersrente (Rente ohne Abzüge) zu haben, muss man das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht haben und mindestens fünf Jahre Versicherungszeit (Anwartschaftszeit) nachweisen können. Das Renteneintrittsalter wird derzeit stufenweise vom 65. Lebensjahr auf das 67. Lebensjahr angehoben.
Dies hat auch Auswirkungen auf die Anspruchsberechtigung im SGB II, siehe dazu §7a SGB II.
Die nachfolgende Grafik zeigt Ihnen, wie die Anhebung derzeit stufenweise erfolgt:
Auch eine Rente mit Abschlägen, d. h. ein vorzeitiger Renteneintritt, ist unter Umständen möglich. Der Rentenantragsteller muss aber dann monatlich Abschläge von seinem Rentenanspruch in Kauf nehmen. Die Höhe der Abschläge und der Zeitpunkt des Renteneintritts sind auch dann vom Geburtsjahr abhängig.
Bezieher von Grundsicherungsleistungen sind verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen. Der früheste Zeitpunkt der Inanspruchnahme ist das ist 63. Lebensjahr. Es besteht keine Verpflichtung, wenn die Inanspruchnahme unbillig wäre. Unbilligkeitsgründe sind in der Unbilligkeitsverordnung festgeschrieben. Diese wurde zum 01.01.2017 um den Tatbestand ergänzt, dass keine Rente mit Abschlägen in Anspruch genommen werden muss, wenn der SGB-II-Leistungsbezieher dann auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII angewiesen ist. Dabei ist es nicht relevant, ob die Bedürftigkeit auch mit der Rente ohne Abschläge bestanden hätte oder nicht.
Kann ein Versicherter aufgrund eines Arbeitsunfalls, eines Wegeunfalls oder einer Berufskrankheit nicht mehr uneingeschränkt am Erwerbsleben teilnehmen, kann er bereits mit einer Einschränkung von 20 % einen Anspruch auf eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung geltend machen. Zuständig für die Erbringung dieser Rente sind die Berufsgenossenschaften oder die Unfallkassen.
Erwerbsminderungsrentewird durch die Rentenkassen gezahlt, wenn ein Versicherter nicht mehr vollschichtig erwerbstätig sein kann. Dabei wird durch ein ärztliches Gutachten festgestellt, in welchem Umfang die Erwerbsminderung vorliegt und wie viele Stunden der Betroffene ggf. noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Für die Gewährung der Rente müssen versicherungsrechtliche und medizinische Voraussetzungen vorliegen. Zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zählt u. a. eine Anwartschaftszeit von fünf Jahren. Aus medizinischer Sicht ist zu prüfen, ob die Erwerbsfähigkeit ganz oder teilweise durch eine berufliche oder medizinische Rehamaßnahme wiederhergestellt werden kann. Es gilt das Prinzip „Reha vor Rente“. Bestehen keine Erfolgsaussichten, ist der Umfang der Erwerbsminderung zu ermitteln. Erwerbsminderung kann ganz, aber auch teilweise vorliegen. In der Regel werden Erwerbsminderungsrenten erst einmal für eine befristete Dauer bewilligt. Nur wenn davon auszugehen ist, dass eine Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit nicht möglich ist, wird die Rente auf Dauer bewilligt.
Renten wegen Todes eines Angehörigen sind in der gesetzlichen Rentenversicherung die Witwer-/Witwenrentesowie die Halb- oder Vollwaisenrente. Die sog. Hinterbliebenenrenten werden bei Tod eines versicherten Ehegatten (Witwenrente) oder eines Elternteils (Halbwaisenrente) oder beider Elternteile (Waisenrente) gezahlt. Der Versicherungsfall tritt mit dem Tod des Versicherten ein. Die Witwenrente/Witwerrente wird nur gezahlt, wenn die Ehe beim Ableben des Versicherten noch bestanden hat, d. h. nicht rechtskräftig geschieden wurde. Die Ehe muss seit mindestens einem Jahr bestanden haben.
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