Für meine Tochter Karla
Karla und die Murmeltiere
Helmut Bückle
copyright 2010 sansusie films UG
published at epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-86931-718-2
Layout | Satz Carolin Kott www.typolei.de
Titel - Illustration © Marc Herold | Die Artillerie www.die-artillerie.de
Erschienen bei sansusie films UG www.sansusie.de
Der Autor
Helmut Bückle, geboren 1962, ist Filmproduzent und Autor.
Er lebte über zwanzig Jahre in München, bevor es ihn 2006 nach Berlin zog …
Ein sehr guter Tag
Die Sonne bratzte schon seit in der Früh‘ vom Himmel herunter, als wäre sie nur für diesen Flecken Erde reserviert gewesen. Heute war ein sehr guter Tag. Das war jetzt schon mal klar. Es gibt so Tage, an denen man morgens schon keinerlei Fragen mehr hat, und das Schöne ist, viele davon bleiben dann auch so. Und was so glücklich macht ist das Gefühl, daß man gar nichts dafür tun muß. Diese Tage werden einfach als Geschenk mit einer großen roten Schleife vor einen hingelegt. Aber es ist noch besser. So ab frühem Nachmittag strahlt die Sonne nämlich auch aus einem selber, und dann ist es auch nicht schlimm, sollte der Tag hintenraus doch ein bisschen rumschwächeln. Davon war aber gar keine Rede. Heute war ein grosser, geschenkter Tag bis zum Schluß.
Karla lag allein im Schnee, hatte die Arme hinter ihrem Kopf verschränkt und schaute auf diese Ansammlung von unglaublich hohen Bergen um sie herum. Ein Gipfel reihte sich an den anderen, wohin sie auch sah. Sie fühlte sich wie auf dem Dach der Welt. Es war ganz still da oben, wo sie lag, nur ab und zu krächzte irgendwo ein Vogel in der Luft. Die Gondeln der Bergbahn glitten auf ihrem Weg nach oben lautlos an ihr vorbei. Sie schaute über die allerletzte Station hinauf zur Bergspitze. Dort blinkte und glitzerte das große vereiste Gipfelkreuz im Sonnenlicht. Karla konnte bis zum Weltrand sehen, da war sie sich sicher, denn so weit oben steht einfach nichts mehr dazwischen, was die Sache ungemein erleichtert. Sakradi, meine Lieben, das Leben ist manchmal schon grandios, sagte sie zu allen, die grade nicht hier sein konnten. Da geht mal kein Weg dran vorbei. Und sie hatte irgendwie das Gefühl, daß die anderen sie in der Sekunde sehr wohl gehört hatten, wo immer sie auch gerade sein mochten.
Und ganz besonders großartig war Schifahren mit dem Papa. Karla liebte es. Sie waren heute schon fast alles gebrettert, was das Schigebiet an Pisten aufzuweisen hatte, der Schnee war herrlich griffig und die Lifte leer gewesen. Das hat jetzt wieder mit dem ›keine Fragen mehr‹ zu tun. Karla lag auf dem Rücken, drehte ihr Gesicht in die Sonne und genoß die Wärme. Sie schloss die Augen und langsam glitten ihre Gedanken rückwärts davon. Das hört sich vielleicht merkwürdig an, war aber genau so. Sie dachte daran, wie sie vor Jahren mit dem Schilaufen angefangen hatte. Der Papa hatte ihr zuvor schon einen Schihelm geschenkt, als sie noch viel zu klein gewesen war, vorne hatte er in lustigen kleinen Buchstaben ihren Namen aufgeklebt gehabt, und irgendwie hatte das seine Wirkung bei ihr nicht verfehlt. Sie konnte es kaum erwarten, bis sie gross genug war und es endlich losgehen würde, und aus dem Grund wuchs sie auch so schnell, wie sie nur konnte. Und der Papa freute sich drüber, denn genau so wars gedacht.
Und dann vor sechs Jahren um Heiligabend herum hatte er sie in einen grossen Sport-Laden mitgenommen und sie hatte sich ihre ersten Schier heraussuchen dürfen. Die waren blau mit 3einem grossen Eisbären drauf. Auf jedem Schi einer, versteht sich. Der Papa hatte irgendeinen Sums erzählt, warum ausgerechnet diese Schier die richtigen seien, was angeblich mit Karlas Grösse und ihrem Gewicht zu tun haben sollte, aber das war natürlich Unsinn. Geht‘ s noch? Schier mit Eisbären drauf sind ganz einfach richtiger als welche ohne. Karla hatte ihm trotzdem freundlich zugestimmt, damit er nicht traurig wurde. Man kann Vätern nicht immer alles erklären, auch wenn sie an sich nicht grundsätzlich dumm sind. Zudem war es viel aufregender gewesen, die neuen Schistiefel anzuprobieren. Sie schlüpfte hinein, schloss die Schnallen und wollte sofort loslaufen. Es muß sehr lustig ausgesehen haben, denn ihr Körper wollte vorwärts, aber die Stiefel blieben wie angenagelt stehen. Sie hatte einfach nicht erwartet, daß die Dinger so schwer sein würden. Ihr gemeiner Papa und der Verkäufer lachten sich halb schlapp über ihre Verrenkungen. Karla beschloss grossmütig darüber hinweg - zusehen, immerhin war das hier der Beginn einer grossen Schikarriere. So einen kleinen gespielten Tobsuchtsanfall hätten die beiden Männer als Strafe allerdings schon verdient gehabt. Wartets bloß ab, dafür findet sich noch ein passender Moment, hatte sie vor sich hin gemurmelt, als sie mit ihren riesengrossen Schistiefeln durch den Laden stapfte. Und es sofort wieder vergessen, weil es einfach alles viel zu lustig war.
Und so lag Karla da oben, in die Sonne und ihre Gedanken versunken, als es plötzlich sehr dunkel wurde vor ihren Augen, sehr kalt und ziemlich naß. Ihr Papa, der eigentlich doch mit einem schönen Weißbier auf der Hüttenterrasse sitzen sollte, zumindest hatte Karla ihn dort das letzte Mal gesehen, also dieser ihr Papa hatte sich von hinten an sie heran geschlichen, zwei Hände voll Schnee genommen und sie fein säuberlich auf sie herunterfallen lassen. Auf seine wehrlose Tochter. Zeigt sich so die Liebe eines Vaters? Bei Karlas Papa war die Antwort ziemlich einfach. Ja, denn der war so. Und Karla hatte die grosse Hoffnung, daß im späteren Leben die Liebesbekundungen ihrer Männer zumindest manchmal etwas anders ausfallen würden. Aber ihr Papa, der durfte das, liebten sie sich doch so heiß und innig, wie es zwischen Vater und Tochter in einer rechtschaffenen Welt eben ist. Nur nebenbei, es soll hier nicht unerwähnt bleiben, auch der Papa hatte schon manche Portion Schnee aus seinem Kragen zu kratzen gehabt. Nicht daß die Leserschaft Karla jetzt zu Anfang mit einem kleinen Engelchen verwechselt. Das wäre nämlich ziemlich falsch. Der Apfel war doch recht senkrecht vom Stamm gefallen, wenn man‘ s genau betrachtete.
Der Papa liess sich neben sie fallen. »Und, alles schick?«, fragte er. »Bis grad‘ ging’s noch, Du Ungeheuer«, seufzte Karla und kratzte sich den Schnee weg. »Und selbst?« »Herrlich«, sagte der Papa. »Ganz herrlich. Warum solche Tage auch immer zu Ende gehen müssen, frag ich mich«. »Damit morgen ein neuer davon anfangen kann?«, sagte Karla altklug und erwog ein Studium der Philosophie. »Darum würd‘ ich dann aber mindestens bitten wollen«, sagte der Papa unbeeindruckt. »Gleich wird‘s duster, wollen wir los?« Sie brachen auf zur letzten Abfahrt bis ganz hinunter ins Tal. Das Dorf weit unter ihnen lag schon im tiefen Schatten, es brannten sogar schon einige Lichter in den Fenstern. Die Häuser waren winzig klein, wenn man hier oben auf sie herabblickte. Von einem Berggipfel sieht die ganze Welt aus wie eine Spielzeugeisenbahn-Landschaft, dachte sich Karla.
Konferenz am Waldrand
Der Papa stand unterhalb der Gipfelstation auf der Piste vor einem Schild und lachte. Karla schwang neben ihm ab und betrachtete ihn. »Geht’s gut?«, fragte sie. »Ich liebe es«, sagte der Papa, »schau mal hin«. Das Schild wies nach rechts den Berg hinunter und darauf stand ›Tal‹. »Man steht ganz oben auf dem Berg«, sagte er, »höher geht‘s ohne Flügel nicht, also wieviele Möglichkeiten bleiben, wo sich das Tal wohl befinden könnte? Eben. Und trotzdem stellen sie noch dieses Schild auf, als ob sie sonst befürchten müssten, daß Dutzende von Schi-touristen hier ratlos herumirren und verzweifeln«. Karla lachte. Die Idee war hübsch.
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