„Es ist erbärmlich, anzusehen,
wie die Menschen nach Wundern schnappen,
um nur in ihrem Unsinn und ihrer Albernheit
beharren zu dürfen und um sich gegen
die Obermacht des Menschenverstandes
und der Vernunft wehren zu können.“
Goethe 1791 an seinen Freund Jacobi,
nachdem er die Verurteilung Cagliostro vernommen.
Der Magier und die Halsbandaffäre
Helmut Höfling
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2013 Helmut Höfling
ISBN 978-3-8442-4900-2
Erstes Buch
Der göttliche Cagliostro
E r s t e r T e i l
Seine Frau sein größtes Kapital
1
„Ich werde unterdrückt, ich werde beschuldigt, ich werde verleumdet. Habe ich dieses Schicksal verdient? Ich wende meine Gedanken nach innen und finde dort den Frieden, den die Menschen mir verweigern. Ich bin weit gereist, bin in ganz Europa und in einem großen Teil Afrikas und Asiens bekannt. Allenthalben habe ich mich als Freund meiner Mitmenschen erwiesen und meine Kenntnisse, meine Zeit, mein Vermögen stets unermüdlich eingesetzt, um das Los der Unglücklichen zu erleichtern. Ich habe Medizin studiert, ich habe sie ausgeübt. Doch nie habe ich die edelste und tröstlichste aller Künste durch schnöde Gewinnsucht erniedrigt. Ein leidendes Wesen übt auf mich eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus, und so bin ich Arzt geworden.“
So versuchte sich Cagliostro, der berühmte Bastillehäftling, dessen Freiheit, ja, dessen Leben auf dem Spiel stand, vor seinen Richtern in Paris zu rechtfertigen. Er berichtete die unwahrscheinlichsten Geschichten über seine Abkunft, seine Erziehung, über das ungeheure Wissen, das er sich angeeignet, die Wunderheilungen, die er überall erzielt hatte, stets darauf bedacht, einen möglichst exotischen Eindruck herauszuschinden.
„Niemand weiß, woher er kommt, was er ist, wohin er geht“, hieß es drei Jahre zuvor in den Lettres sur la Suisse . „Geliebt, geehrt, geachtet von den Tonangebenden des Orts, angebetet von den Armen und dem Volk, gehasst, verleumdet, verfolgt von gewissen Leuten bringt er sein Leben damit hin, Kranke zu besuchen, vor allem Arme, immer bereit, den Unglücklichen beizustehen, welche Stunde es auch sein mag, kennt er doch keine andere Freude als die, seinen Mitmenschen zu helfen: ein unwahrscheinlicher Mensch, ein Teufelskerl. Er ist fünfhundert oder sechshundert Jahre alt, besitzt den Stein der Weisen, die Allheilkunst. Kurz, er ist eines jener Geistwesen, die der Schöpfer von Zeit zu Zeit auf die Erde entsendet. Die Unglücklichen werfen sich, von Dankbarkeit, Liebe und Achtung durchdrungen, ihm zu Füßen, umfassen seine Knie, nennen ihn ihren Retter, ihren Vater, ihren Gott. Das rührt den braven Mann, Tränen stürzen ihm aus den Augen. Er versucht sie zu verbergen, vermag es aber nicht. Er weint, und die ganze Versammlung bricht in Tränen aus. Köstliche Tränen, ein Labsal fürs Herz, deren Zauber man sich nicht vorstellen kann, wenn man noch nie das Glück gehabt hat, ähnliche zu vergießen.“
Er wolle sich nicht rühmen, fuhr Cagliostro, die Bescheidenheit in Person, in seiner Rechtfertigung fort. „Ich habe das Gute getan, weil ich es tun musste. Doch was war mein Lohn für die Dienste, die ich dem französischen Volk erwiesen habe? Schmähschriften und die Bastille!“
Der Mann, den seine glühenden Anhänger als großen Magier priesen, als Wunderheiler, Goldmacher, Geisterbeschwörer, Großmeister der Freimaurer und Großkophta und der nun nach seinem jähen Sturz aus den höchsten Schichten der Gesellschaft in der Bastille auf seinen Prozess wegen des abgefeimten Schurkenstreichs um den sündhaft teuren Halsschmuck der Königin Marie Antoinette wartete, war nicht der von so vielen Geheimnissen umwitterte Alessandro Graf Cagliostro, für den er sich ausgab, sondern der am achten Juni 1743 in Palermo geborene Giuseppe Balsamo, ein Sizilianer also, aus einfachen Verhältnissen, was aber zu jener Zeit niemand wusste, jedenfalls keiner, der damit die Öffentlichkeit hätte aufrütteln können.
Gleichfalls von niederer Herkunft waren auch seine Eltern: Pietro Balsamo und dessen Ehefrau Felicia Braconieri. Nach dem frühen Tod des Vaters, eines Krämers, der sich mit Ach und Krach durchgeschlagen und schließlich Bankrott gemacht hatte, ließen seine Onkel mütterlicherseits das noch unmündige Kind im Seminar San Rocco unterrichten, was ihm aber nicht passte, denn mehr als einmal lief der kleine Giuseppe davon.
Mit dreizehn Jahren vertrauten seine Verwandten den schwer erziehbaren Jungen der Obhut der Barmherzigen Brüder in Cartagirone an, eines Ordens, der sich vorzugsweise der Krankenpflege widmete. Er wurde als Novize eingekleidet und vorwiegend in der Apotheke beschäftigt, wo er sich erste Kenntnisse in Chemie und Medizin aneignete. Auffallend war sein lebhaftes Interesse für Arzneien, Pulver, Salben und Zugpflaster. Für ein gottgefälliges Klosterleben hatte er jedoch gar nichts übrig, im Gegenteil, nach kurzer Zeit entpuppte er sich als ein durch und durch verdorbenes Früchtchen, so dass die Mönche ihn wegen seiner Ausschweifungen oft bestrafen mussten. Was ihnen besonders missfiel, war sein frevelhafter Übermut, sich als Vorleser bei Tisch nicht an den gedruckten Text zu halten, sondern aus dem Stegreif heraus zu phantasieren und in der Geschichte der Märtyrer die Namen der heiligen Jungfrauen gegen die der verrufensten Huren auszutauschen. Da er die Abtötung und Bußen, die man ihm auferlegte, nicht länger ertragen wollte, verließ er das Kloster und kehrte nach Palermo zurück. Keiner der Barmherzigen Brüder weinte dem räudigen Schaf eine Träne nach.
Eine Zeitlang versuchte er sich in der Zeichenkunst. Sein zügelloser Lebenswandel besserte sich jedoch nicht. Er trieb sich mit den liederlichsten jungen Leuten herum, mischte bei allen Schlägereien mit und machte sich ein Vergnügen daraus, sich mit Polizeidienern anzulegen und Gefangene zu befreien. Mit allerlei Betrügereien hielt er sich über Wasser. So fälschte er Theaterkarten, bestahl seinen eigenen Onkel und prellte den Liebhaber seiner Kusine, für den er Liebesbriefchen hin und her trug, bald um Geld, bald um eine Uhr und bald um dieses oder jenes, was die Angebetete sich angeblich wünschte. Seine Geschicklichkeit, fremde Handschriften nachzuahmen, nutzte er dazu, bei einem verwandten Notar das Testament des Marchese Maurigi zum Schaden einer frommen Stiftung zu fälschen. Erst Jahre später, als sich der Täter nicht mehr in Palermo aufhielt, fiel der Betrug auf und wurde gerichtlich geklärt. Giuseppe Balsamo geriet sogar unter Mordverdacht an einem Kanonikus.
Mehrmals wurde er angeklagt und eingesperrt, kam aber immer wieder frei, meist aus Mangel an Beweisen. Doch allmählich wurde ihm der Boden unter den Füßen zu heiß. Den letzten Anstoß zur Flucht gab ihm die Todesdrohung eines seiner Opfer, des Goldschmieds Marano, dem er weismachte, er kenne eine Höhle auf dem Land, wo ein beträchtlicher Schatz verborgen liege. Für sechzig Unzen Gold wolle er ihn dort hinführen. Angesteckt von der Schatzgräberei, die auf Sizilien so viele Herzen höher schlagen ließ, und von dem Versprechen, der Schatz werde ihm ganz allein gehören, rückte Marano nur allzu leichtgläubig die sechzig Goldunzen heraus und folgte Balsamo zu der einsamen Stelle, wo der Schatz liegen sollte. Nachdem der Betrüger dort durch faulen Zauber und anderen Hokuspokus die Nerven des Goldschmieds aufs Äußerste gespannt hatte, fuhr plötzlich unter höllischem Geheul eine Horde Teufel aus der Höhle, stürzte sich auf den Geprellten und gerbte ihm das Fell so gründlich durch, wie es der Leibhaftige persönlich nicht hätte besser besorgen können. Im ersten Augenblick war Marano starr vor Schreck, dann jedoch aufs Höchste entrüstet, als er erkannte, dass es sich um Balsamos Freunde handelte, die sich als Teufel vermummt hatten.
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