London schien ihm kein gutes Pflaster zu sein, und so beschloss Balsamo im September 1772 England zu verlassen und in Frankreich sein Glück zu versuchen. Noch in der Hafenstadt Dover lernte er einen gewissen Monsieur Duplessis kennen, einen Advokaten, der beim Marquis de Prie als Verwalter tätig war. Da sie alle drei mit Paris das gleiche Reiseziel hatten, kamen sie leicht ins Gespräch, mehr jedoch wohl deswegen, weil Monsieur mit feinem Gespür die Gelegenheit für ein amouröses Abenteuer witterte. Während der langen Überfahrt ließ er deshalb kein Auge von Lorenza und erwies ihr und ihrem Mann alle möglichen Aufmerksamkeiten. Als Balsamo ihm einige seiner Federzeichnungen zeigte, schien Duplessis äußerst erstaunt zu sein. Mit seinem Talent werde er sein Glück in Paris machen, ging er dem jungen Mann um den Bart. Er sei nämlich Advokat im Parlament und kenne viele reiche Herren, mehr noch, er werde ihn auch dem König vorstellen. Nur keine Sorge, künftig brauche er dann nicht mehr in der Welt herumzureisen, prophezeite er und setzte noch eins drauf mit der Behauptung, an die er selbst nicht im Geringsten glaubte: In der Pariser Gesellschaft werde der aufstrebende junge Künstler mehr Kunden finden, als er bedienen könne.
Da er bemerkte, welche Wirkung seine frohe Botschaft auf den hoffnungsfrohen Künstler ausübte, der sich schon seinen Teil dachte und eine sprießende Einnahmequelle witterte, nutzte er die Gunst der Stunde, ihn noch mit einer Schmeichelei zu umgarnen, die den jungen Ehemann mit Stolz erfüllen und den Kavalier selbst einen Schritt weiter zu seinem Ziel bringen sollte: Was übrigens seine Frau betreffe, so sei er zu beneiden. Selten habe er ein so allerliebstes Geschöpf gesehen, so herzensgut, so reizend, bezaubernd und verlockend, so überirdisch, ja engelgleich sozusagen. Er werde sein Möglichstes tun, um ihm in Paris eine gesicherte Stellung zu verschaffen.
Der Engel, gegen den sich Herr Duplessis immer zuvorkommender zeigte, handelte ganz wie ein irdisches Wesen, das auf seinen Vorteil aus ist. Lorenza wusste, was die Stunde geschlagen hatte, und erschreckte, als sie in Calais gelandet waren, ihren Verehrer mit dem überraschenden Entschluss, in der Hafenstadt zu bleiben, da sie kein Geld mehr habe, um weiterzureisen. Nein, nein, wandte er verzweifelt ein, in einer solchen Notlage könne er sie nie und nimmer in dieser fremden Stadt zurücklassen! Auf ewig würde er sich Vorwürfe machen, sie dem Elend preisgegeben zu haben - und den Gefahren, die in jedem Hafen auf junge, betörende Frauen lauerten. Er redete und redete, eine Artigkeit folgte der anderen, alles nur in dem einzigen Bestreben, die so sicher geglaubte und nun plötzlich doch noch dahinschwindende Beute wieder an sich zu reißen. Sie möge doch bitte sein Gewissen beruhigen, von ihrem Vorhaben ablassen und ihn nach Paris begleiten, in seinem Wagen. Ihr Mann könne noch einige Zeit in Calais bleiben und später nachkommen.
Sein Vorschlag sollte harmlos klingen, aber Lorenza, die in solchen Dingen Bescheid wusste, erfasste gleich, was dahintersteckte, und wies entrüstet sein merkwürdiges Ansinnen zurück. Schließlich einigte man dahin, dass sie mit Herrn Duplessis, dem Freund und Helfer, in dem gemieteten Kutschwagen Platz nehmen werde, während ihr Gatte zu Pferd folgen solle. Körperliche Bewegung und frische Luft würden seiner Gesundheit sicher zuträglich sein, befand Monsieur und nährte dabei im Stillen die Hoffnung, der junge Ehemann werde die ganze Zeit über in schicklichem Abstand hinterher reiten, um das Paar beim Austausch von Zärtlichkeiten nicht durch seine Nähe zu hemmen.
Was für eine herrliche Reise war das! Giuseppe Balsamo hatte vollauf Muße, die Natur in ihrem Herbstschmuck zu bewundern: das buntgefärbte Laub der Bäume und Sträucher, den milchigen Schleier des aufsteigenden Nebels, und da und dort einen Hasen, der über die kahlen Felder hoppelte oder ein Reh, das, durch das Rattern der Räder aufgescheucht, in den schützenden Wald flüchtete. Stolz und wohlgemut trabte der Reitersmann auf seinem Renner dahin, doch nicht immer in dem erhofften schicklichen Abstand, sondern bald neben dem Wagen, bald voraus, um sich dann wieder zurückfallen zu lassen. Sehen konnte er so gut wie nichts, was sich in der Kutsche abspielte, denn da die rauhe Herbstluft der empfindlichen Kehle der jungen Dame abträglich gewesen wäre, hatte der Kutscher auf Monsieurs Anweisung das Verdeck geschlossen und Monsieur selbst die Vorhänge vor die Fenster gezogen, für den Fall, dass die Sonne doch noch durch den Dunst hervorbrechen werde und Lorenzas zarter Haut schaden könne. Wo dagegen der abgehängte Ehemann gerade zu finden war, das verriet stets seine tiefe, klangvolle Stimme, mit der er sizilianische Lieder in die Gegend schmetterte, was auf Dauer selbst seinem Roß auf die Nerven ging.
Ganz im Gegensatz zur Lautstärke des Sängers stand das Säuseln des Herrn Duplessis, der Seite an Seite seiner angebeteten Donna saß und nach und nach so dicht an sie heranrückte, dass kein Blatt mehr dazwischen gepasst hätte. Sie habe sein Herz gefangen, gestand er ihr mit zitternder Stimme, er liebe sie so sehr, wie er noch nie eine Frau geliebt habe. Sie sei so jung und so schön, ihrer Haut, so weich und zart, entströme ein Wohlgeruch, der ihn zum Wahnsinn treibe. In ihrem zierlichen Händchen liege sein Glück, sein Ein und Alles. Sie solle über ihn verfügen, er sei ihr Sklave und wolle für sie sorgen und sie nie verlassen. Sobald sie in Paris seien, verschaffe er ihrem Mann eine Stellung. Ihrer beider Glück solle auch sein Glück sein. Ihr Mann würde es sicher zu schätzen wissen, wenn er ihm hundert Louis gebe, damit er eine Reise nach Rom machen könne.
Stundenlang raspelte er so Süßholz, doch nicht nur das, er bedrängte seine Herzensdame dazu noch so ungestüm, natürlich gegen ihren Willen, dass sie mehrmals versuchte, die Fahrt zu unterbrechen und ihren stürmischen Ritter im Stich zu lassen, nur um sich seinem Werben und vor allem den Handgreiflichkeiten, bald hier, bald da, dann überall gleichzeitig, zu entziehen, mit denen er ihr im Wagen seine Liebe zu beweisen versuchte. Ihr Widerstand spornte seinen Eifer nur noch mehr an, er hatte die Frauen studiert und wusste, dass dies ein vielversprechendes Zeichen war; und Lorenza, die sich selbst gut genug kannte und spürte, wie die Festungsmauern schon zu wanken begannen, beruhigte ihr Gewissen mit der Scheu vor dem jähzornigen Charakter ihres Mannes, dem sie nicht zu gestehen wagte, was da in der Kutsche wie am Fließband vor sich ging, und das hätte sie ihm ja beichten müssen, wenn sie sich geweigert hätte, die Fahrt an der Seite ihres Verehrers fortzusetzen, denn dann wäre der so dringend erwünschte Geldsegen ausgeblieben.
So also nahm die Reise auch weiterhin ihren Lauf bis Paris, wo das Trio am Vormittag eintraf. Noch am gleichen Tag brachte Duplessis seine Reisegefährten im Haus der Marquise de Prie unter und führte am Abend Lorenza ins Theater, natürlich mit Einwilligung Balsamos, der, abgeschlafft von dem ungewohnten Auf und Ab im Sattel, wie ein Mehlsack ins Bett plumpste.
Dieser Theaterbesuch war nur der Auftakt für ein vergnügliches Leben in Paris. Lorenza und ihr neuer Verehrer waren so sehr ein Herz und eine Seele, dass er in seiner Hingebung sogar so weit ging, sie als Madame Duplessis zu behandeln. Nicht nur wurde sie von ihm in den folgenden drei Monaten großzügig ausgehalten, sie wohnte bald auch in seinem Pariser Haus, wo allerdings der echte Ehemann ebenfalls Unterschlupf gefunden hatte. Der Großmut des Hausherrn, die Liebe, die er ihr entgegenbrachte, seine Zärtlichkeiten und Versprechungen hatten in ihr eine Neigung geweckt, die Balsamo so eifersüchtig machte, dass er ihr manchmal durch seine heftigen Auftritte Kummer bereitete. Einerseits brachte sie Geld in die Kasse, andererseits fürchtete er, sie zu verlieren, und wenn er sie verlöre, wäre auch die Quelle versiegt. Also versöhnte er sich wieder mit ihr und versicherte, er habe volles Vertrauen zu ihr.
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