»Dann schmolz plötzlich fast über Nacht der ganze Schnee weg und der Eingang unserer Höhle war offen und ungeschützt«. Das Murmeltier bekam einen sehr bekümmerten Gesichtsausdruck. »Alles Weitere wissen wir eigentlich nur von Binchen, die war nämlich als einzige in der Nähe, als es passierte«. Karla schaute Peter an. »Das süsseste kleine Murmeltiermädchen, das Du Dir vorstellen kannst«, sagte der mit einem verliebten Lächeln, »und sie müsste eigentlich seine Nichte vierzehnten Grades sein, wenn ich das richtig durchrechne«. Das Murmeltier verzog das Gesicht. »Ich glaube nicht, daß unsere Verwandschafts- Verhältnisse hier eine Rolle spielen. Zudem ist Binchen, genau genommen, meine Viertels-Kusine durch den dritten Schwippschwager. Das ist bei uns Murmeltieren alles etwas anders. Aber am besten berichte ich Euch den Rest so, wie Binchen es uns erzählt hat«.
Binchen war als kleines Murmeltiermädchen an diesem ungewöhnlichen Tag allein in der Nähe der Höhle geblieben. Wer wusste schon, was heute alles passieren würde? Es war sowieso alles sehr merkwürdig. Gestern noch waren sie alle in der Höhle gewesen, bereit den ganzen Winter über miteinander zu kuscheln, zu dösen und sich lieb zu haben. Vorne verbreiteten die Murmeln eine himmlische Wärme und hinten in ihrem Bau waren all die Vorräte aufgestapelt worden, die sie den Winter über verzehren würden. Und heute? Der Eingang der Höhle stand sperrangelweit offen und ihre ganze Familie war aufgeregt in der Gegend unterwegs, um zu schauen was los war. Nein, das ist nichts für mich, sagte Binchen zu sich selbst, ich bleib‘ schön hier und wenn niemand schaut, kann ich vielleicht schnell nach hinten an den Stapel mit den leckeren Nüssen rennen. Und weit und breit würde keine Großmutter sein, die ansonsten nicht mal hinschauen mußte, um zu wissen, daß Binchen gerade im Paradies war. Sie lag auf einem grossen Stein ein kleines Stück unterhalb des Höhleneingangs und genoß die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrem Pelz. Obwohl genau das die ganze Familie so in völlige Aufregung versetzt hatte. Plötzlich drangen Stimmen an ihr Ohr, menschliche Stimmen. Binchen hatte noch nie wirklich in die Nähe der Menschen gedurft, die man weiter unten bei diesen hohen Bäumen treffen konnte, die aber gar keine Bäume waren. Einmal hatte sie sich dorthin gewagt. Das war sehr seltsam, an diesen hohen Dingern entlang fuhren die Menschen in kleinen Stühlen weit über dem Boden von Zauberhand bewegt den Berg hinauf. Wieso liefen die nicht wie alle anderen auch? Wahrscheinlich waren die einfach sehr faul, hatte sie sich gedacht. Doch da waren jetzt diese Stimmen, noch sehr weit entfernt, aber als Murmeltier hört man eben ganz exzellent auch über weiteste Entfernungen. Binchen rappelte sich vorsichtig auf, duckte sich hinter ihrem Felsen und lugte dahinter hervor. Aus ihrer Deckung sah sie zwei Männer auf der Almwiese. Sie gingen in einem langsamen, aber sehr gleich - mässigen Tempo den Berg hinauf. Binchen erschrak sehr. Hier, an der Murmeltierhöhle, wo weder ein Weg noch ein Klettersteig entlanggingen, waren noch nie Menschen vorbeigekommen, bis auf den tollen Peter. Was wollten die hier?
Binchen duckte sich noch tiefer unter ihren grossen Stein und lauschte. Sie hörte die Schritte der Wanderstiefel und daß die Männer miteinander sprachen, doch sie verstand nicht, worum es dabei ging. Plötzlich wurde alles still. Die Männer mußten stehengeblieben sein. »Hey, siehst Du das?«, dröhnte plötzlich eine Stimme in die Stille der Bergwelt. »Da in der kleinen Höhle? Wie das funkelt und schimmert? Das müssen wir uns genauer ansehen«. Binchen erstarrte. Die Männer hatten den Höhleneingang gefunden. Sie wagte nicht sich zu bewegen. »Alter, das sind Edelsteine, ich wette, die sind ein Vermögen wert!« dröhnte es von weiter oben. Nein, dachte Binchen, das sind unsere Murmeln, und die gehören uns und sonst niemandem, lasst sie bloß in Ruhe. Immer noch hockte sie unter ihren Stein gekauert und war mutterseelenallein. Sie hätte sich so gewünscht, daß ein vertrauter Pfiff gekommen wäre, was bedeutet hätte, daß die Familie zur Rettung zurückkehrte, aber nichts dergleichen geschah. Was konnte sie denn schon tun, Binchen, ein kleines Murmeltiermädchen und ganz allein. Trotzdem. Weiter oben war nichts zu hören. Binchen richtete sich auf und schielte über den Rand des grossen Steins. Die Männer waren direkt vor dem Höhleneingang und wandten ihr den Rücken zu. Der eine stand daneben, während der andere vor dem Loch im Berghang kniete und seinen Arm in die Höhle schob. Mehr als seine grüne Jacke konnte Binchen nicht sehen. Der Arm des Mannes schob sich wieder und wieder in den Höhleneingang hinein, und jedesmal, wenn er wieder herauskam, stopfte er etwas in seinen Rucksack hinein. Er wird doch nicht, schrie es in Binchen auf, er wird doch nicht unsere Murmeln stehlen wollen! In dem Moment erhob sich die grüne Jacke und der Mann richtete sich auf. »Weißt Du eigentlich, was hier los ist, mein alter Freund und Kupferstecher? Ich hab einen echten Schatz gefunden, das sag ich Dir mal. Ein Rucksack voller Edelsteine. Bin gespannt, was Brogatzky sagen wird, wieviel die wert sind«. Binchen brannte sich diesen Satz geradezu ins Gedächtnis, weil sie irgendwie wusste, daß das noch sehr wichtig werden würde. Und sie musste sich den Namen schnell merken, bevor ihre gesamte Aufmerksamkeit von etwas anderem aufgebraucht wurde. Sie starrte so ungläubig auf den Mann in mit der grünen Jacke, daß sie fast vergessen hätte, sich zu verstecken. Sowas hatte sie noch nie gesehen, nein, sie hatte noch nicht mal gewusst, daß es das gibt. Der Mann hatte kein ein einziges Haar auf dem Kopf. Nicht ein einziges. Sein Kopf schimmerte wie der Mond, den Binchen immer so toll fand, wenn er über den Bergen stand. Sie duckte sich blitzartig wieder unter den Felsen. Der Mann ohne Haare richtete sich auf und verschnürte seinen Rucksack. »Willst Du die Gipfel-Tour jetzt noch machen?«, fragte ihn der andere. »Ganz sicher nicht«, kam die Antwort, »der Berg rennt mir nicht weg. Und wenn es so läuft, wie ich mir das vorstelle, dann kauf ich ihn mir einfach, wenn ich die Steine zu Geld gemacht hab‘«. Die Männer hatten umgedreht und stapften bergab. Sie liefen pfeilgrad auf Binchens Stein zu und ihr blieb fast das Herz stehen, doch ihr passierte nichts. Die Männer waren so beschäftigt mit ihrem Fund, daß sie auf nichts anderes achteten. Schnell waren sie einige hundert Meter entfernt, während Binchen wie erstarrt sitzen blieb. Die Männer hatten die Murmeln geraubt. Dann fing sie an wieder Luft zu holen und rappelte sich auf. Sie musste sofort der Familie davon berichten. Und gleich darauf war ein langer und sehnsüchtiger Pfiff bis weit über alle Berge hinweg zu hören.
Sehr nett von Onkel Fonse
»Eine Melange für den Herrn Papa und fürs Maderl zum Kipferl einen Kakao«. Karla saß am Frühstückstisch im Gasthof Brunnenwirt und blickte auf zu der netten Kellnerin, die ihnen jeden Morgen das Frühstück servierte. Es war immer noch nicht einfach sich daran zu gewöhnen, daß der Kaffee nicht Kaffee heisst und das Hörnchen nicht Hörnchen, bloß weil man zum Schilaufen nach Österreich gefahren ist. Aber langsam kriegte sie es hin. Das mit fremden Sprachen war eigentlich gar nicht so schwer, hatte sie sich letztes Jahr schon überlegt. Man meint das, was man immer meint, nur benutzt man halt ein anderes Wort dafür. Aber in Österreich war es deswegen ein bisschen verwirrend, weil die schon so redeten wie Karla es auch tat, und es insofern doch eigentlich gar keine fremde Sprache war. Bis sie wieder mit was Neuem daherkamen. Egal, Hauptsache sie waren nett und das waren die Leute im Brunnenwirt allemal.
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