(22) Im folgenden Jahr führten die beiden Papirier, Spurius und Lucius, als neue Konsulartribunen die Legionen gegen Velitrae und ließen ihre vier Amtsgenossen, den Servius Cornelius Maluginensis, der dies Tribunat zum vierten Mal, den Quintus Servilius, Servius Sulpicius und Lucius Aemilius, der es zum vierten Mal bekleidete, zum Schutz der Stadt und gegen die neuen Bewegungen zurück, die etwa aus Etrurien gemeldet werden könnten, denn dort war alles verdächtig.
2 In der Schlacht bei Velitrae, in der die feindlichen Hilfstruppen von Praeneste fast noch stärker waren als das zahlreiche Heer der Kolonie selbst, siegten die Römer, weil sich der Feind durch die Nähe seiner Stadt zur früheren Flucht bestimmen ließ, sowie sie auch sein einziger Zufluchtsort wurde. 3 An die Belagerung der Stadt wagten sich die Tribunen nicht, teils weil sie gefährlich war, teils weil sie sich einen Kampf bis zum Untergang der Kolonie nicht erlauben wollten. In ihrem schriftlichen Bericht, der mit der Siegesbotschaft an den Senat nach Rom abging, führten sie härtere Beschwerden über die Feindseligkeiten der Praenestiner als der Veliterner. 4 Also wurde auf Grund eines Senatsbeschlusses und mit Genehmigung des Volkes den Praenestinern der Krieg angekündigt, welche dann im Verein mit den Volskern im folgenden Jahr Latricum, diese Kolonie des römischen Volkes, obwohl sich die Siedler tapfer verteidigten, mit Sturm eroberten und ihren Sieg auf eine schreckliche Art gegen die Besiegten missbrauchten. 5 Hierüber aufgebracht wählten die Römer den Marcus Furius Camillus zum siebenten Mal zum Kriegstribunen. Zu Amtsgenossen wurden ihm gegeben die beiden Postumius Regillensis, Aulus und Lucius, ferner Lucius Furius nebst Lucius Lucretius und Marcus Fabius Ambustus. 6 Den Volskischen Krieg übertrug man dem Marcus Furius außerordentlicherweise, von den übrigen Tribunen beschied ihm das Los den Lucius Furius zum Gehilfen, nicht so sehr zum Besten des Staates, als vielmehr um durch ihn seinem Amtsgenossen jede Art von Ehre erwachsen zu lassen, mag man nun auf das Ganze sehen, wo Camillus wieder gutmachte, was jene Unbesonnenheit verdorben hatte, oder auf den einzelnen Mann, der von dem Fehltritt des andern lieber dessen Verpflichtung als eigenen Ruhm gewinnen wollte.
7 Camillus war schon hochbetagt, und selbst auf dem Wahltag hatte er, schon bereit, den bei vorgeschützter Schwächlichkeit gewöhnlichen Eid zu leisten, nur der allgemeinen Stimme des Volkes nachgegeben, allein bei innerer Lebenskraft regte sich in ihm ein tätiger Geist; er hatte noch seine Rüstigkeit bei ungeschwächtem Geist, und da er sich mit den bürgerlichen Angelegenheiten schon nicht mehr so eifrig beschäftigte, wurden die Kriege für ihn ein Anregungsmittel. 8 Nach einer Werbung von vier Legionen, jede zu viertausend Mann, zog er mit dem Heer, das er auf den folgenden Tag an das Esquilinische Tor befehligt hatte, gegen Satricum. Hier erwarteten ihn die Eroberer der Kolonie ganz unbefangen, voll Vertrauen auf die Anzahl ihrer Krieger, worin sie ihm bei Weitem überlegen waren. 9 Als sie die Annäherung der Römer bemerkten, rückten sie sogleich in Schlachtordnung aus, um die Entscheidung nicht länger aufzuschieben. In diesem Fall, meinten sie, werde der Schwäche der Feinde die Geschicklichkeit des seltenen Feldherrn, worauf sie sich einzig verließen, ohne Nutzen sein.
(23) Dieselbe Kampflust fand sich auch im römischen Heer und bei dem zweiten Feldherrn; und dem Wagestücke eines augenblicklichen Kampfes stand weiter nichts entgegen als die Weisheit und der Oberbefehl eines einzigen Mannes, der von einem langsamen Gang des Krieges eine Gelegenheit erwartete, seine Streitkräfte durch einen Plan zu verstärken. 2 Desto mehr drängte der Feind; und schon stellte er nicht bloß vor seinem Lager seine Linie auf, sondern schritt in die Mitte der Ebene vor und zeigte sich dadurch, dass er beinahe auf die feindliche Verschanzung heranrückte, im stolzen Vertrauen auf seine Stärke. 3 Dies sahen die römischen Soldaten mit Unwillen, noch weit unwilliger der andere Kriegstribun Lucius Furius, rasch durch Jugend und Sinnesart und jetzt durch die Aussichten der großen Menge gehoben, die seinen Mut auch aus den unzuverlässigsten Dingen nimmt. 4 Er ermunterte die ohnehin schon aufgebrachten Soldaten dadurch noch mehr, dass er das Übergewicht seines Amtsgenossen von einer Seite, der einzigen, auf der er ihm beikommen konnte, von der seines Alters, unter den wiederholten Äußerungen verkleinerte: Die Kriege seien nur Sache junger Leute, und mit dem Körper habe auch der Mut seine Fülle und seine Abnahme. 5 Aus dem raschesten Krieger sei ein Zauderer geworden, und er, der sonst gewohnt gewesen sei, durch seine Ankunft Lager und Städte im ersten Sturm zu nehmen, bringe jetzt hinter dem Wall die Zeit untätig hin, in der Hoffnung, dass zur Verstärkung seiner und zur Schmälerung der feindlichen Kräfte – 6 Gott weiß, was, welche Gelegenheit etwa oder Zeitumstand oder Platz zum Hinterhalt? – sich finden werde. 7 Den Entschlüssen eines Greises fehle es an Feuer und Raschheit. Indes wenn Camillus der Lebensjahre genug habe, habe er auch des Ruhmes genug. Wozu es aber nötig sei, dass mit dem absterbenden Körper eines Einzigen zugleich die Kräfte des Staates, welchem Unsterblichkeit gebühre, veralten sollten?
8 Durch diese Reden hatte er aller Augen im Lager auf sich gerichtet, und als von allen Seiten die Schlacht gefordert wurde, sprach er: Marcus Furius, wir können dem Andrang der Soldaten nicht länger wehren; und der Feind, dessen Mut wir durch Zögern erhöht haben, höhnt uns mit einem unerträglichen Übermut. Gib nach, du als der Eine allen; lass es geschehen, dass dein Plan überstimmt wird, damit du umso früher den Krieg als Sieger beendest.
9 Hierauf erwiderte Camillus, in den Kriegen, die er bisher unter alleiniger eigener Aufsicht geführt habe, sei weder er noch das römische Volk mit seinen Maßregeln oder seinem Glück unzufrieden gewesen. Jetzt wisse er, dass er einen Amtsgenossen habe, der an Recht und Gewalt ihm gleichstehe, durch Jugendkraft vor ihm den Vorzug habe. 10 Er könne also, obgleich er, was das Heer betreffe, gewohnt gewesen sei, zu leiten, nicht sich leiten zu lassen, seinen Amtsgenossen nicht in seinem Oberbefehl hindern. Er möge unter dem gnädigen Beistand der Götter handeln, wie er es für des Staates Bestes halte. 11 Er bitte sogar in Rücksicht auf sein Alter um die Nachsicht, nicht an der Spitze der Linie stehen zu dürfen, was aber in einer Schlacht einem Greis obliegen könne, das wolle er keineswegs verabsäumen. Nur darum bitte er die unsterblichen Götter, dass nicht etwa ein Unfall seinen Plan rechtfertige.
12 Weder die Menschen hörten auf den heilsamen Rat noch die Götter auf das fromme Gebet. Der Urheber der Schlacht ordnete die erste Linie, dem Hintertreffen gab Camillus Haltung und stellte auch einen starken Posten zur Beobachtung vor dem Lager auf. Er selbst nahm bei dem Gang einer fremden Leitung als aufmerksamer Zuschauer seinen Stand auf einer Anhöhe.
(24) Sobald beim ersten Zusammentreffen die Waffen klirrten, wich der Feind aus List, nicht aus Furcht zurück. 2 Ihm im Rücken hob sich zwischen seiner Linie und seinem Lager ein mäßiger Hügel, und weil er Truppen im Überfluss hatte, hatte er mehrere starke Kohorten unter den Waffen und schlachtfertig dazu im Lager stehen lassen, dass sie während des Gefechtes, wenn sich der Feind ihrer Befestigung näherte, hereinbrechen sollten. 3 Der Römer, durch seine hitzige Verfolgung des weichenden Feindes in eine ihm nachteilige Stelle gelockt, sah sich diesem Ausfall bloßgestellt. Folglich ging der Schrecken auf den Sieger über, und die römische Linie bekam durch den Angriff des neuen Feindes, zugleich durch den abschüssigen Abhang eine Beugung. 4 Die frischen Truppen der Volsker, die aus dem Lager ausgefallen waren, drangen ein, und zugleich erneuerten die, die zum Schein geflohen waren, das Gefecht. Schon zog sich der römische Soldat nicht bloß zurück, sondern ohne an seine heutige Vermessenheit und seinen alten Ruhm zu denken, wandte er auf mehreren Punkten den Rücken und eilte in vollem Lauf seinem Lager zu, 5 als Camillus, der, sobald ihn seine Umgebung auf sein Pferd gebracht hatte, schnell sein Hintertreffen vorschob und ihnen entgegenrief: Ist das die Schlacht, Soldaten, die ihr gefordert habt? Wo ist der Mensch, wo der Gott, den ihr anklagen könntet? Nur ihr seid es, deren Verwegenheit dort, nur ihr, deren Feigheit hier die Schuld trägt. 6 Seid ihr einem andern Führer gefolgt, so folgt nun dem Camillus und erringt, wie ihr unter meiner Führung gemahnt seid, den Sieg. Wozu den Blick auf den Wall und das Lager? Es soll keinen von euch aufnehmen, der nicht Sieger ist!
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