Erst vierundzwanzig Stunden nach unserer Ankunft war es dem k. k. österreichischen Generalkonsul gelungen, uns Prática auszuwirken. Nachdem wir uns mühsam eine Barke verschafft hatten – nicht, weil deren zu wenig, sondern weil ihrer zu viele waren und die verschiedenen Barkajuoli sich erst um uns gebalgt hatten –, ruderten wir dem Land zu. Hier wurden wir von einer schreienden und schimpfenden, uns ihre Tiere anpreisenden und ihre Genossen verhöhnenden Rotte von Eseltreibern ebenso in Empfang genommen, mit oder ohne unseren Willen auf Esel gesetzt und der Stadt zugeführt.
Auch ich war die ersten Stunden in Alexandrien wie »von einem Wachträumen umfangen« 1, aber doch war der erste Eindruck der Hafenstadt auf mich für sie kein günstiger. Es ist für den in Ägypten Neuangekommenen ein höchst ergötzliches und fesselndes Schauspiel, durch die wogenden, belebten Basare des arabischen Viertels zu reiten; es bedarf geraumer Zeit, um alle Eindrücke des fremden Bildes festzuhalten, um sich an das nur aus Erzählungen bekannte orientalische Treiben zu gewöhnen; aber die Frische der poetischen Anschauung der ersten arabischen Stadt erbleicht, wenn sich die altbekannten europäischen Gestalten dem Auge aufzwängen. In der »Muhski«, d.h. den nur von Europäern bewohnten Straßen Alexandriens, haben diese bereits das arabische Gepräge vollständig verdrängt. Ohne Alexandrien das Gute und Schöne einer europäischen Stadt zu erteilen, hat die halbreife fränkische Zivilisation oder, wenn ich so sagen darf, die Europäisierung der Stadt ihren orientalischen Charakter und damit ihren Reiz genommen. Und das empfindet der Fremde sogleich; Alexandrien wird ihm bald fade und langweilig.
Unsere trefflichen Eseltreiber brachten uns bald zu dem am großen Platz oder der »Esbekie« liegenden europäischen Gasthof. Meine Kopfschmerzen waren so heftig geworden, dass wir einen Arzt um Rat fragen mussten. Dieser, ein liebenswürdiger Landsmann von uns, ließ mich, nachdem er einen Aderlass und Arznei verordnet hatte, baldige Genesung hoffen. In der Tat wurde mir nach der Blutentziehung wohler.
Der Baron hatte, um seine Reise so bald als möglich fortsetzen zu können, mit einem Engländer und dessen Frau (oder, wie sich später herausstellte, Mätresse) noch am Tag unserer Ankunft eine der Segelbarken des Nils zur Reise nach Kairo gemietet. Man schilderte uns die »Dahabïe« *als ebenso bequem und wohnlich wie unser Gasthaus, weshalb ich mich, trotz meines Kopfschmerzes, zur Weiterreise bereit erklärte. Die nötigen Vorbereitungen und Einkäufe wurden gemacht, die Gesellschaft mietete sich einen Dragoman namens »Mahammed«, welcher zugleich Koch und Bedienter sein sollte, und bestellte die Esel zum Ritt an den Alexandrien mit dem Nil verbindenden Kanal.
Wir brachen am 31. Juli abends vom Gasthof auf, verließen Alexandrien durch das »Bahb et scherkhi« oder das östliche Tor und ritten bei einbrechender Nacht an der kolossalen Säule des Pompejus vorüber und dem Kanal Mahmuhdïe zu. Durch eine Akazienallee hindurchreitend kamen wir in ein elendes, nach dem Landhaus eines türkischen Großen »Moharrem-Bei« genanntes Dorf am rechten Ufer der Mahmuhdie, wo unsere Barke liegen sollte. Die Nacht war aber so rasch hereingebrochen, dass wir sie nicht mehr auffinden konnten und zuletzt beschlossen, die Gastfreundschaft der Landbewohner in Anspruch zu nehmen.
Mahammed führte uns in eins der größeren Häuser. Ein Diener empfing und geleitete uns in das Empfangszimmer des Hausherrn. Dieser nahm uns, nachdem er unseren Wunsch durch Mahammeds beredten Mund erfahren hatte, sehr freundlich auf, bewirtete uns mit würzigem Kaffee, übersüßen Weintrauben und köstlichem Tabak und ließ uns nach einigen Stunden gute und reinliche Lager aufschlagen. Wir verbrachten in dem kühlen Schlafzimmer sehr angenehm die Nacht, erhielten am folgenden Morgen dasselbe, was wir gestern genossen hatten, und verließen dankend den liebenswürdigen Wirt des gastlichen Hauses.
Das Schifflein wurde nun bald aufgefunden, mit unserem wenigen Gepäck beladen und sofort in Gang gebracht; ein günstiger Wind trieb uns rasch dem Nil entgegen. Um Mittag begegnete uns ein von raschen Pferden geschleiftes Boot des Vizekönigs; sonst sahen wir den ganzen Tag über weiter nichts als Himmel, Luft, Wasser, Schlamm, Schiffe und mehr oder weniger nackte Menschen; der Kanal bietet wenig Abwechslung. Gegen Abend erreichten wir »Fumm el mahmuhdï«, den Mund des Kanals, und die ihn mit dem Nil verbindenden Schleusentore von Adfeh. Wir gingen an Land, gingen zu Fuß durch das Hafendorf und standen am Nil.
Vor uns lag das jetzt zum tiefsten Stand herabgesunkene Silberband des heiligen Stromes, eingefasst von blühenden Ufern. An dem uns gegenüberliegenden Ufer liegt Fuah, ein kleines Städtchen. Es ist ein echt orientalisches Bild. Das dunkle Grün des Deltas, die fruchtbeschwerten Palmen mit den im Wind wogenden Kronen, die mächtigen, blätterreichen Sykomoren und der heilige Strom geben den Rahmen zu einer weißen, malerisch gruppierten Häusermasse mit sarazenischen Erkergittern, überragt von schlanken, mit mehreren Galerien umgürteten Minaretts. Wir standen und waren tief ergriffen von der unendlichen Schönheit des von der Abendsonne vergoldeten Panoramas. Unsere Blicke schweiften über die Wasserspiegel des Stromes dahin, seine Geschichte, die Geschichte von Jahrtausenden, sprach uns an und führte unsre Gedanken mit sich fort in das Vergangene, aber Luft und Sonne, Strom und Palmen brachten uns zu uns selbst und zu erneutem Genuss des Anschauens zurück. Man muss noch neu im Land sein, um all den Zauber einer solchen Landschaft zu verstehen; man darf noch nicht tagelang in Palmenhainen hingeritten sein, um die Schönheit des Königs der Bäume zu würdigen – denn auch das Herrlichste verliert durch die Gewohnheit an Reiz.
Obgleich unser Barkenführer und Schiffskapitän, arabisch »Reïs« genannt, die Reise mit orientalischem Phlegma fortzusetzen gedachte, wurde er doch, durch energische, keinem Zweifel Raum gebende Vorstellungen von unserem Wunsch, schnell zu reisen, in Kenntnis gesetzt, bald bewogen, noch heute Nacht weiterzugehen. Erst nach Mitternacht fuhr er bei erschlaffendem Wind Richtung Land, um in der Nähe eines kleinen Dorfes zu übernachten. Am anderen Morgen zeigte sich der Nil als belebte Straße handeltreibender Menschen und leichtbeschwingter Vögel. Wir begegneten vielen Schiffen und sahen mit Vergnügen das bunte Treiben der geflügelten Scharen seiner Bewohner. Mächtige Pelikane fischten ungestört durch die vorbeisegelnden Schiffe mitten im Strom; noch zutraulicher waren die niedlichen schneeweißen kleinen Kuhreiher ( Ardeola bubulca ); sie liefen zu Dutzenden in den Feldern herum und setzten sich auf die Rücken der Wasserbüffel, um ihnen die Insekten abzulesen.
Leider war ich nicht fähig, alles Neue, welches uns die Nilfahrt bot, mit Lust und Vergnügen anzuschauen. Meine Krankheit hatte während unserer Reise sehr an Heftigkeit zugenommen. Es ist mir unmöglich, eine Beschreibung derselben zu geben; ich weiß nur, dass ich fürchterliche Kopfschmerzen, scheinbar so recht im Innern des Gehirns, verspürte und wenn diese gar zu heftig wurden, durch lange anhaltendes Delirium und Besinnungslosigkeit in einen nur deshalb besseren Zustand versetzt wurde, weil ich dann meine Schmerzen nicht mehr fühlte. Nur meine kräftige Körperkonstitution ließ mich die Krankheit, an welcher viele Europäer und selbst Eingeborene sterben, überleben.
Die kurze Reise nach Kairo sollte nicht ohne Abenteuer endigen. Am 3. August (1847) war unser Steuermann so unvorsichtig, das mit vollen Segeln den Strom hinaufbrausende Schiff auf ein anderes laufen zu lassen, dem dadurch das Steuer zertrümmert wurde. Es war zum Unglück noch mit einer zahlreichen Menge von Weibern beladen, und diese erhoben nach dem Zusammenstoß ein so lautes, gellendes und durchdringendes Gebrüll, dass wir erschreckt aus unserer Kajüte heraustraten. Da sahen wir, dass sich von Bord des anderen Schiffes aus vier nackte Matrosen ins Wasser stürzten, auf unser Schiff zuschwammen und an demselben emporklimmten. Einer der ungebetenen Gäste bemächtigte sich des Steuers und dirigierte jetzt unser Schiff, die anderen gerieten mit unserer Schiffsmannschaft in heftigen Streit und erhoben dabei ein furchtbares Geschrei. Der ganze Hergang war uns vollkommen unverständlich, aber weil wir fürchteten, dass diese scheinbar in entsetzlicher Wut auf unserem Schiff herumtobenden Männer uns angreifen könnten, bewaffneten wir uns mit Säbel und Pistolen und stellten uns drohend vor den Eingang der Kajüte. Das ersah der Reïs als ein Mittel zur Befreiung der Eindringlinge und bat uns durch den Dolmetscher, ihm gegen »die Räuber und Mörder« beizustehen. Jetzt verwandelten wir unsere bisher passive Stellung sogleich in eine offensive. Der Baron stürzte sich auf den nackten Steuermann und hieb ihn mit seinem in Wien erst scharf geschliffenen Säbel dermaßen über den Kopf, dass er lautlos kopfüber in den Strom fiel und sich dort kaum über dem Wasser halten konnte. Ich ging mit bloßem Hirschfänger direkt auf die übrigen los und trieb sie durch scharfe Hiebe in die Flucht; unser Reisegefährte, der Engländer, griff erst zu den Waffen, nachdem er von seiner Mätresse, einer mutigen Französin, durch schallende Ohrfeigen dazu aufgefordert worden war. Meine drei Gegner warteten seine Ankunft auf dem Kampfplatz aber nicht ab, sondern stürzten sich sogleich nach dem Fall ihres verwundeten Gefährten in den Nil, um diesem zu Hilfe zu eilen. Alle vier erreichten auch glücklich das eine Ufer des Stromes und kehrten nach ihrer ebenfalls dort gelandeten Barke zurück.
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