Art. VIII, 1 Bestätigung der Rechte der Untertanen
Damit aber Vorsorge getroffen sei, dass künftig keine Streitigkeiten in Bezug auf die Verfassung entstehen, sollen sämtliche Kurfürsten, Fürsten und Stände des Römischen Reiches in ihren alten Rechten, Vorrechten, Freiheiten, Privilegien, der ungehinderten Ausübung der Landeshoheit sowohl in geistlichen als auch in weltlichen Angelegenheiten, Herrschaften, Regalien sowie in deren Besitz Kraft dieses Vertrages derart bestätigt und bekräftig werden, dass sie von niemandem jemals unter irgendeinem Vorwand tatsächlich beeinträchtigt werden können oder dürfen.
Art. VIII, 2 Gewährung der Landes- und Vertragshoheit
Ohne jede Einschränkung sollen sie das Stimmrecht bei allen Beratungen über Reichsgeschäfte haben, namentlich, wenn Gesetze zu erlassen oder auszulegen, Kriege zu beschließen, Abgaben vorzuschreiben, Werbungen oder Einquartierungen von Soldaten zu veranlassen, neue Befestigungen innerhalb des Herrschaftsgebietes der Stände im Namen des Reiches zu errichten oder alte mit Besatzungen zu versehen, Frieden oder Bündnisse zu schließen oder andere derartige Geschäfte zu erledigen sind; nichts von diesen Angelegenheiten soll künftig jemals geschehen, ohne dass die auf dem Reichstag versammelten Reichsstände freiwillig zugestimmt und ihre Einwilligung gegeben haben.
Insbesondere aber soll den einzelnen Ständen das Recht zustehen, unter sich oder mit Auswärtigen zu ihrer Erhaltung und Sicherheit Bündnisse zu schließen, jedoch in der Weise, dass sich solche Bündnisse nicht gegen den Kaiser, gegen das Reich und dessen Landfrieden oder insbesondere gegen diesen Vertrag richten, vielmehr so beschaffen sind, dass der Eid, durch den jeder von ihnen Kaiser und Reich verpflichtet ist, in allen Teilen unberührt bleibt.«
Eines der wichtigsten Ergebnisse im Vertrag war in Bezug auf die Konfessionsfrage die Gewährung der Gleichberechtigung von drei Konfessionen. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 wurde wiederhergestellt und auf die Calvinisten ausgedehnt. Die Restitution der geistlichen und weltlichen Rechtsverhältnisse wurde gemäß dem »Normaltag« des 1. Januar 1624 festgelegt, die Protestanten konnten alle geistlichen Besitzungen behalten, die vor 1624 säkularisiert worden waren. Es galt die Konfessionszugehörigkeit dieses Stichtages, spätere Wechsel waren zu tolerieren. Die Reichsstände behielten ihre Kirchenhoheit, durften aber andersgläubige Untertanen nicht diskriminieren, diese durften ihren Glauben privat ausüben. Der Landesherr legte, wie schon 1555 geregelt, die Religion seines Territoriums fest. Wer diese Religion nicht annehmen wollte, konnte oder musste auswandern.
Geistliche katholische Fürsten durften nicht zum Protestantismus wechseln. Der »geistliche Vorbehalt« sah vor, dass katholische Fürsten bei einem Konfessionswechsel ihr Amt als Landesherr verloren.
Die Reichsverfassung wurde so umgewandelt, dass keine Konfession die andere dominieren konnte. Auf Reichstagen galt in Religionssachen nicht mehr das Mehrheitsprinzip, das bislang den katholischen Reichsständen einen Vorteil verschafft hatte, sondern ein Zwang zur »freundschaftlichen Einigung« der beiden Religionsparteien.
Die Konfessionsproblematik verschwand allerdings auch mit dem Westfälischen Frieden nicht, aber insgesamt bildete das Verfassungssystem des Reiches in der Folgezeit den Rahmen für eine konfessionelle Koexistenz der Reichsstände und für eine juristische Austragung politisch-sozialer Konflikte.
Ein weiteres Ergebnis des Westfälischen Friedens war, dass sich in Europa erstmals zwei Demokratien auch vertragsmäßig etablieren konnten. Die Schweizer Eidgenossenschaft und im parallel ausgehandelten niederländisch-spanischen Frieden die Republik der Vereinigten Niederlande wurden als souveräne Staaten anerkannt. Sie erhielten innerhalb ihrer Territorien alle Hoheitsrechte, waren aber weiterhin Mitglieder des Reichs und an Reichsgesetze gebunden.
Art. XVII, 2 Der Friede als erstes Reichsgrundgesetz
Zur größeren Gewähr und Sicherheit sämtlicher Bestimmungen soll der gegenwärtige Vertrag als ein dauerndes Verfassungsgesetz des Reiches wie alle anderen Gesetze und Grundgesetze des Reiches ausdrücklich dem nächsten Reichsabschied und der nächsten kaiserlichen Wahlkapitulation einverleibt werden und für alle gegenwärtigen, geistlichen wie weltlichen Personen, sie seien Reichsstände oder nicht, gleichermaßen verbindlich sowie den kaiserlichen Räten und den Räten und Dienern der Städte, auch den Richtern und Beisitzern aller Gerichte als eine für immer zu beachtende Vorschrift vorgeschrieben sein.
Art. XVII, 5 Allgemeine Gewähr des Friedens
Der geschlossene Friede soll uneingeschränkt in Kraft bleiben, und die Vertragsparteien sollen verpflichtet sein, sämtliche Bestimmungen dieses Friedens gegen jedermann ohne Unterschied des Bekenntnisses zu schützen und zu verteidigen. Sollte aber eine Bestimmung verletzt werden, soll der Geschädigte den Schädiger zunächst abmahnen, danach jedoch die Sache einem gütlichen Vergleich oder einer rechtlichen Entscheidung zuführen.
Art. XVII, 6 Sicherung des Friedens
Sollte aber ein solcher Streit durch keines dieser Mittel innerhalb von drei Jahren zu Ende gebracht werden können, so sollen sämtliche Vertragspartner verpflichtet sein, sich mit dem Verletzten in Rat und Tat zu verbinden und auf den Hinweis des Verletzten, dass weder der Weg einer gütlichen Einigung noch der Rechtsweg zum Erfolg geführt habe, zur Unterdrückung des Unrechts zu den Waffen zu greifen, unbeschadet jedoch der einem jeden zustehenden Gerichtsbarkeit und aller für jeden Fürsten oder Stand geltenden Gesetze und Ordnungen.
Art. XVII, 7 Verbot von Gewaltanwendung
Keinem Reichsstand soll es erlaubt sein, sein Recht mit Gewalt und mit Waffen zu verfolgen, sondern jeder soll den Weg des Rechts beschreiten, wenn ein Streit entstanden ist oder künftig entstehen sollte. Wer dem zuwiderhandelt, soll des Friedensbruches angeklagt werden. Was durch Gerichtsurteil entschieden wurde, soll ohne Unterschied des Standes vollzogen werden, wie es die Reichsgesetze über den Vollzug eines Urteils bestimmen.
Die Bestimmungen des Artikels XVII bildeten ein erstes Grundgesetz des Reiches und stellten einen völkerrechtlichen Versuch dar, in Streitfällen zu friedlichen Verhandlungen zu greifen statt Kriege zu führen.
Obwohl der Vertrag in der Folgezeit keinen allgemeinen Frieden in Europa herbeiführte, wurde er zur Grundlage eines neuen völkerrechtlichen Systems. Von zentraler Bedeutung für das Reich waren die verfassungspolitischen Bestimmungen. Sie garantierten die »Teutsche Libertät”, die Reichsstände wurden souverän und durften unabhängig von Kaiser und Reich Bündnisse mit dem Ausland und untereinander schließen, jedoch nicht gegen Kaiser und Reich. Der Kaiser war bei allen Entscheidungen, die das Reich betrafen, an ihre Zustimmung gebunden. Das Reich war damit in souveräne Einzelstaaten zerfallen und bildete bis zu seinem Ende 1806 ein Machtvakuum in Europa.
Der Westfälische Friede gab Europa eine neue Ordnung, wenngleich keinen dauerhaften Frieden. Immer neue Kriege überzogen den Kontinent, bis Kaiser Franz II. die Kaiserkrone niederlegte. Aber erstmals hatten in Münster und Osnabrück Unterhändler europäischer Mächte gemeinsam um einen europäischen Frieden gerungen und Kompromisse ausgehandelt.
4. Die Habeas-Corpus-Akte (1679)
Der Schutz vor ungerechter Verhaftung und Inhaftierung gehört zu den ältesten Anliegen der Menschen. Die Gefahr, der Willkür und der Macht eines entfernten Königs oder einer anderen anonymen Institution hilflos ausgeliefert zu sein, führte in England im 17. Jahrhundert zur Formulierung der Habeas-Corpus-Akte, die eines der wichtigsten Grundrechte des Menschen, nämlich die Feststellung von Schuld und Unschuld oder von Haft und Freiheit durch ein unabhängiges Gericht festschrieb. Die Habeas-Corpus-Akte beruhte teilweise auf älteren Bestimmungen und schuf klare Verfahrensregeln. Sie war ein Meilenstein in der Entwicklung der persönlichen Freiheitsrechte.
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