Nicht in einem einzigen Rechenschaftsbericht der Parteien ist der Flick-Konzern als Spender aufgeführt. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht 1979 mit einem Urteil die Gefahr bannen wollen, anonyme Großspender könnten auf längerfristige Ziele oder Einzelentscheidungen einer Partei einwirken und so Einfluss auf die staatliche Willensbildung gewinnen. Dem Verfassungsgebot, dass die Parteien über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft zu geben haben, komme zentrale Bedeutung zu: »Es zielt darauf ab, den Prozess der politischen Willensbildung für den Wähler durchschaubar zu machen und ihm offenzulegen, welche Gruppe, Verbände oder Privatpersonen durch Geldzuwendungen auf die Parteien politisch einzuwirken suchen. Der Wähler soll über die Herkunft der ins Gewicht fallenden Spenden an politische Parteien korrekt und vollständig unterrichtet werden und die Möglichkeit haben, daraus Schlüsse zu ziehen.« Stasi-Agent Kanter half im Flick-Konzern kräftig mit, die bundesdeutschen Wähler unwissend zu halten und zu täuschen.
Wolfs Topmann aber richtete noch größeres Unheil an. Mit seinem umfassenden Wissen über Schmiergeldzahlungen brachte er die westdeutsche Politikerkaste dahin, dass sie bereit war, ihre Macht durch eine umfassende Amnestie für sich und ihre Geldgeber zu missbrauchen, die Verfassung zu brechen, Ideale und Werte – konservative zumal – zu verraten, den Rechtsstaat schwer zu verletzen, ja außer Kraft zu setzen. Und alles aus lauter Angst, Kanter könnte auspacken.
Gleichheit vor dem Gesetz? Unabhängigkeit der Justiz? Nicht so wichtig, wenn es galt, die eigene Gier vor der Öffentlichkeit zu verbergen und beim Wahlvolk die eigene Käuflichkeit zu vertuschen. Wann immer ein Staatsanwalt oder ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit richterlichen Befugnissen die Krallen nach Kanter ausstreckten, sie wurden von hoher und höchster Stelle im staatlichen Machtapparat gestoppt.
Kant er war der Schützling der Bonner Republik.
ZWEITES KAPITEL
Die haben bei dem gehorcht
An einem frühen Nachmittag im Frühsommer 1985 klingelte es an der Haustür. Peter Probst öffnete, zwei Unbekannte standen vor seinem Büro im modernisierten Altbau Schumannstraße 15 in der Bonner Südstadt. Die beiden Männer stellten sich vor: Sie seien vom Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Ob sie reinkommen dürften?
Die Verfassungsschützer wussten einiges über ihn, wie Peter Probst dem Autor berichtete: Er sei ja der Sohn des früheren Vizepostministers der DDR, Gerhard Probst, sei im Juli 1961 kurz vor dem Bau der Berliner Mauer in den Westen geflohen, arbeite jetzt als freier Journalist, spezialisiert auf DDR-Themen und Deutschlandpolitik. Die beiden hätten noch eine Weile um den eigentlichen Zweck ihres Besuchs herumgeredet. Etwa, was er ihnen über seinen Schwager Klaus Giersch sagen könne, der für die Stasi arbeite und in Dresden für die Wartung von Funktionärsautos zuständig sei, seinerzeit auch für den Dienstwagen des KGB-Manns Wladimir Putin? Ob er mit dem Schwager noch in Verbindung stehe? Probst verneinte. Die Männer kamen endlich auf den Punkt: Probst habe Kontakt zu einem gewissen Adolf Kanter.
»Ich solle mich vorsehen, haben die mich gewarnt«, so Probst heute. »Da gebe es ein Risiko für mich. Ich solle mich mit dem nicht einlassen und nicht für den arbeiten. Kanter sei auffällig geworden. Ich solle besser den Kontakt abbrechen.«
Sein Kontakt zu Kanter habe sich zufällig ergeben. 1984 von Berlin über München nach Bonn gekommen, habe er, Probst, für seine journalistische Arbeit ein Büro gesucht und im Aushang des Pressehauses I, Am Tulpenfeld, ein Angebot für die Welckerstraße, nahe bei Kanzleramt und Bundestag, entdeckt. Nach telefonischer Verabredung habe er sich dort mit dem Anbieter – dem Lobbyisten Adolf Kanter – getroffen. Der habe zwar viel Zeit für ein Gespräch gehabt, aber keinen Büroraum – der Aushang wäre wohl ein Trick gewesen, um Bonn-Neulinge kennenzulernen.
»Kanter hatte viel Interesse an meiner Biografie und meinem Themenschwerpunkt DDR, spielte den Antikommunisten, fragte nach meinen Kontakten in der DDR, ob ich ihm entsprechende Kontakte vermitteln könnte, was ich ablehnte. Er bot mir an, für seinen Info-Dienst zu schreiben, und bat um meinen Lebenslauf nebst Arbeitsproben.« Kanter habe dann Wochen später schriftlich sein Angebot zur Mitarbeit (es sei »der DDR-Sektor schon voll abgedeckt«) zurückgezogen. Seinen Kanter überlassenen Lebenslauf fand Probst nach der Wende in Kopie in seiner Stasi-Akte wieder, »den hat der sofort an das MfS weitergeleitet«.
»Wo her wussten die Kölner Abwehrleute vom Verfassungsschutz von meinem Treffen mit Kanter?«, fragt Probst. »Ich habe mit niemandem darüber gesprochen. Die haben bei dem gehorcht. Ganz klar, die wussten, was der trieb, die hatten Kanters Büro verwanzt.«
Wenn stimmt, was Probst berichtet – und es gibt keinen vernünftigen Grund, an der Korrektheit seiner Aussagen zu zweifeln –, dann hätte Stasi-Agent Kanter zehn Jahre früher enttarnt und abgeurteilt werden können. Dann wäre er nicht erst 1995 nach Zufallsfunden in Stasi-Akten vor Gericht gestellt worden und in einem Geheimprozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz mit einer auffallend milden Bewährungsstrafe von zwei Jahren davongekommen. In den Jahren des Kalten Krieges und des angespannten Verhältnisses zur DDR waren die Urteile in der BRD wegen Landesverrats wesentlich härter – Günter Guillaume, dem Spion in Willy Brandts Kanzleramt, hatten die Richter 13 Jahre, NATO-Spion Rainer Rupp zwölf Jahre Knast aufgebrummt.
1985 hätten der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heribert Hellenbroich, CDU, der für den Verfassungsschutz zuständige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, CSU, der Koordinator der bundesdeutschen Geheimdienste, Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble, CDU, und dessen Chef, CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl einen Prozess gegen Kanter nur wollen müssen. Sie wollten aber nicht, absolut nicht.
In jenen Zeiten, Mitte der 1980er-Jahre, wühlte die Parteispenden- und Flick-Affäre die Bundesrepublik auf. Auf Weisung aus Ostberlin hatte Kanter schon den aufstrebenden Jungpolitiker Helmut Kohl und dessen Unterstützertruppe in CDU und Junger Union mit Barem ausgestattet, herangeschafft mittels Spendentricksereien durch Kanter-Freund Eberhard von Brauchitsch. Der hatte dann den DDR-Agenten 1974 auf den Posten des Vizechefs der Bonner Stabsstelle der Flick KG gehievt und ihn so zum umfassend eingeweihten Mitwisser sämtlicher Schmiergeldzahlungen des Konzerns an bundesdeutsche Politiker befördert.
Kohl hatte sich im Lauf der Jahre Millionenbeträge, zum Teil in bar, illegal zustecken lassen, Schäuble war Mitwisser. So hat es der Generalbevollmächtigte der CDU-Schatzmeisterei, Uwe Lüthje, in einem im Jahr 2000 abgeschlossenen Bekenntnis aufgeschrieben. Laut Lüthje wurden 1982 in bar 4,5 bis 5 Millionen D-Mark unklarer Herkunft – »es könnten auch etwas mehr als 5 Mio. DM gewesen sein« – in schwarze Kassen verschoben, »auf Veranlassung von Helmut Kohl, in Anwesenheit von Wolfgang Schäuble«. Es war in diesen Zeiten, dass Kohl seinen Vertrauten Lüthje fragte, so dessen Niederschrift, ob er als Kanzler nicht »sicherheitshalber zurücktreten solle, ehe das Ergebnis staatsanwaltlicher Ermittlungen mich dazu zwingt«.
Lüthje schreibt über turbulente Tage im September 1982: »Kohl hatte das ›dringende Bedürfnis‹ – so er selber –, mich zu sprechen. Er schimpfte über Eberhard von Brauchitsch – EvB –, dessen Dummheit er es zu verdanken habe, dass er ausgerechnet jetzt mit Uralt-Spenden-Geschichten konfrontiert werde. Er hatte eine Spendenliste mit vier oder fünf Positionen vor sich […] Es waren das Spenden, die er von EvB jeweils in bar erhalten hatte. Mir war das alles neu. Von Bar-Spenden von EvB – und die dann auch noch an den Parteivorsitzenden – hatte ich nie gehört. Seine dringende Bitte an mich: Ich müsste mir ein Konzept und eine glaubwürdige Argumentation einfallen lassen für die Abwicklung dieser Spenden und ihre Weiterleitung in den Bereich der Schatzmeisterei. Dass dies in jedem Fall eine Argumentation an jeglicher Wahrheit vorbei sein würde, interessierte Kohl nicht; es wurde auch gar nicht darüber gesprochen.«
Читать дальше