1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Es war ein einsames Leben und vielleicht war das der Grund, warum er ernsthaft über Sages Angebot nachdachte, sich auf dieses Blind Date einzulassen.
»Willst du darüber reden?«
Niko umklammerte das kalte Bierglas und beobachtete, wie es durch die Wärme seiner Finger ein wenig beschlug. Sages Vorschlag, zusammen ein Bier zu trinken, hatte ihn so überrascht, dass er nicht ablehnen konnte, selbst wenn sein Instinkt ihm riet, er solle die Flucht ergreifen. Stattdessen ließ er das Beintraining ausfallen und lief ein paar Blocks zu der kleinen Sportbar, die nie übermäßig voll war.
Sie fanden einen kleinen Tisch in der Ecke, ein Stück entfernt von den dröhnenden Fernsehern, obwohl er nicht anders konnte, als den Blick zu den beiden Bildschirmen wandern zu lassen, auf denen gerade Eishockey lief. Frühling war die Zeit der Play-offs. Der Frühling bedeutete Stress, geradezu Panik, besonders für diejenigen, die sich in den Farmteams gut präsentiert hatten, denn das konnte bedeuten, dass man in die erste Mannschaft berufen wurde. Es konnte bedeuten, dass einer der Spieler mit großem Namen eins auf die Mütze bekam und das Team Ersatz benötigte. Vielleicht wäre Nikos Karriere nicht direkt den Bach runtergegangen, wenn ihm das passiert wäre.
Nur, dass es nicht so gekommen war. Und sie war den Bach runtergegangen.
»Worüber? Wie sehr ich das Date mit deinem Bruder versaut habe?« Er stieß ein ungnädiges Schnauben aus. »Eigentlich war es nicht der Rede wert.«
Er war hier, weil er es Sage schuldete. Der Mann hatte das Date eingefädelt und, um ehrlich zu sein, hatte er nicht unrecht gehabt, dass Niko Derek wirklich mögen würde. Der Typ war ein bisschen nervös, aber er war lustig und hatte etwas an sich, das in Niko den Wunsch weckte, ihn besser kennenzulernen. Sein Blick wirkte gehetzt ‒ Niko kannte den Blick, hatte zuvor mit diesen Jungs gespielt ‒, aber er drängte nicht darauf, mehr zu erfahren. Er genoss einfach ihre gemeinsame Zeit und die nette Unterhaltung.
Er hatte sogar angefangen zu glauben, dass dieses Date möglicherweise besser ausgehen könnte als seine letzten. Im Sinne von weniger Kleidung und mehr Schwanzberührungen. Doch dann hatte er seinen dummen Mund aufgemacht und einfach ausgesprochen, was ihm durch den Kopf gegangen war. Danach hatte er ganze zwei Stunden gebraucht, um zu erkennen, was er Falsches gesagt hatte.
Und es war nicht so, als hätte er es wirklich so gemeint. Er hatte kein Problem mit gehörlosen Menschen und fand die Gebärdensprache faszinierend. Um ehrlich zu sein, hatte er einfach nicht darüber nachgedacht, was er sagte. Um ganz ehrlich zu sein, hatte er den Großteil seines Lebens damit verbracht, andere zufriedenzustellen ‒ seine Eltern, seine Trainer, sein Team, seine Kollegen ‒, und einfach angenommen, dass jeder das tat. Dass sich jeder anderen Leuten anpasste.
Er vermutete, dass Derek das gehörlose Paar kannte, das sich im Eisladen in Gebärdensprache unterhalten hatte, und er wusste, dass dieser Fehltritt wahrscheinlich nicht wiedergutzumachen war. Verdammt, das gehörlose Paar war wahrscheinlich auch mit Sage befreundet ‒ mit allen im Laden ‒, was ihm eine weitere Tür vor der Nase zuschlagen würde.
»Hey, es ist in Ordnung, wenn du…«, begann Sage.
Niko unterbrach ihn mit einem Seufzen. »Da war ein gehörloser Kerl ‒ ein gehörloses Paar ‒ in der kleinen Eisdiele, in der Derek und ich uns unseren Nachtisch geholt haben. Ich habe einen wirklich unbedachten Kommentar über die Tochter eures Chefs gemacht, darüber, dass sie sprechen lernen sollte, weil hier sonst niemand taub ist.« Sages Mund klappte auf, wahrscheinlich um ihn zurechtzuweisen, und Niko schüttelte den Kopf. »Glaub mir, ich weiß, es war dumm, das zu sagen. Du musst es mir nicht erklären.«
Sage rieb mit der Spitze seines Daumens über den Rand seines Glases und Niko bemerkte die Tintenflecke unter seinem Fingernagel. »Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass Derek das nicht gut aufgenommen hat.«
»Er ist einfach gegangen«, gab Niko zu. »Ich bin ihm nicht gefolgt. Mir war da noch nicht klar, wie genau, aber ich wusste, dass ich es vermasselt habe. Fünf Minuten auf Google haben gereicht, um es herauszufinden.«
»Er wird dir noch eine Chance geben, wenn er das erfährt«, sagte Sage sanft.
Niko schüttelte den Kopf. Er blickte wieder zum Fernseher, zu den weißen und blauen Trikots, die über den Bildschirm huschten. Der Spielstand interessiert ihn nicht und es ging ihm gut, aber manchmal vermisste er das Gefühl von Eis unter seinen Kufen so sehr, dass er es praktisch schmecken konnte. Er hatte seit dem Abend, an dem er sich verletzt und den Profisport für immer hinter sich gelassen hatte, nicht mehr auf dem Eis gestanden, und der Gedanke, es erneut zu tun, versetzte ihn in Panik.
Er sah wieder zu Sage und spürte, wie seine Schultern hinuntersackten. »Es ist keine große Sache.«
»Würdest du ihn gern wiedersehen?«, fragte Sage.
Nikos Augen weiteten sich überrascht, denn damit hatte er nicht gerechnet. Das Date mit Derek hatte ihm gefallen. Es hatte zwischen ihnen nicht gefunkt, aber es hatte ihm zu schaffen gemacht, dass er etwas ruiniert haben könnte, das gut hätte sein können. »Würde ich schon gerne. Ich meine, wenn er interessiert wäre, aber, Mann, es steht mir echt nicht zu, ihn darum zu bitten. Was ich gesagt habe, war absolut nicht cool, und ich habe es nicht einmal so gemeint. Nach der Aktion schuldet er mir gar nichts.«
Sage lachte. »Gib die Hoffnung noch nicht auf. Lass ihm ein oder zwei Tage Zeit.« Er zögerte eine Sekunde und zuckte dann mit den Schultern. »Wir könnten das hier wiederholen, wenn du willst. Zusammen ein Bier trinken. Es ist, äh… es ist irgendwie nett, zur Abwechslung mal nicht mit den Leuten im Laden abzuhängen.« Er rieb sich den Nacken und stieß einen leisen Seufzer aus, eher ein halbes Lachen. »Es fühlt sich seltsamerweise gut an, jemanden zu haben, der mit all dem nichts zu tun hat.«
»Das verstehe ich«, sagte Niko, und das tat er wirklich. Denn jahrelang hatte es für ihn ebenfalls nur Mitspieler und deren Freundinnen, die Trainer und die PR-Leute gegeben, aber niemanden außerhalb der Eishockeywelt. Danach hatte er so viele Jahre damit verbracht, andere Leute auszuschließen, dass er nicht mehr wusste, wie er diese Angewohnheit ablegen sollte. »Manchmal braucht es einen Fremden, um einem klarzumachen, dass die Dinge gar nicht so verkorkst sind, wie man denkt.«
Sage blinzelte und lachte auf. »Ja, so in der Art. Ich meine, ich liebe meine Familie. Wirklich, aber sie kann ein wenig überwältigend sein. Du, äh…« Geistesabwesend strich er mit den Fingern über seine andere Hand, die aussah, als hätte er dort ein frisches Tattoo. »Hast du Tattoos?«
Niko errötete und berührte unbewusst mit dem rechten Fuß seinen linken Knöchel. »Eins. Aber es ist ziemlich alt und wirklich, wirklich beschissen.«
Sages Augenbrauen schossen hoch. »Ach ja?«
»Ich habe es machen lassen, als ich in ‒«, dann stockte er, denn er war noch nicht bereit, über Eishockey zu sprechen, »als ich jünger war. Siebzehn. Ich war mit einigen Leuten in Montreal und war leicht angetrunken. Ich hätte nicht unterwegs sein dürfen, aber einer der Jungs hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass wir uns alle das gleiche Tattoo stechen lassen sollten. Also haben wir diesen kleinen Laden ausfindig gemacht, der so aussah, als hätte er noch nie bessere Tage gesehen, und den Mann hinter der Theke bestochen, uns welche zu machen. Da waren lauter, äh… diese Zeichnungen an der Wand?«
»Flash Sheets«, erklärte Sage. »Sie sind wie Schablonen. Wir benutzen sie kaum noch, aber früher waren sie eine große Sache.«
Nikos Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. »Sie hatten da einen Löwen ‒ von einer Mannschaft aus der Gegend ‒ und wir haben ihn uns alle am Knöchel stechen lassen. Er sah von Anfang an scheiße aus. Ganz blass und undeutlich. Vor ein paar Jahren habe ich versucht, ihn weglasern zu lassen, aber es hat nicht richtig funktioniert.«
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