Sam betrachtete ihn noch einen Moment, dann lächelte er. »Alles klar. Aber ich meinte es ernst, was ich gesagt habe. Geht's dir gut? Du hast ausgesehen, als wärst du kurz davor, Derek auf die Schuhe zu kotzen. Und egal, wie dumm du das auch findest, wir alle hier nehmen so etwas ernst.«
Niko rieb sich mit einer Hand übers Gesicht, lächelte aber immer noch. »Als ich gemerkt habe, dass es keine echte Haut ist, ging es mir wieder gut. Ich musste nur mein Gehirn davon überzeugen, dass er nicht das ganze Sofa vollblutet.« Er lächelte Sam sehr sanft an und zuckte mit den Schultern. »Trotzdem danke. Es ist irgendwie schön, dass sich jemand um mich sorgt, statt mich übel zu verspotten.«
»Na ja«, meinte Sam mit einem angedeuteten Grinsen, »ich kann dir nicht versprechen, dass du nicht verspottet wirst. Es wird einfach nur netter gemeint sein als bei manch anderen Leuten.« Als Niko schmunzelte, wandte Sam den Blick wieder den Sternen zu und stieß einen Atemzug aus. »Danke. Ich habe das hier wirklich gebraucht. Ich sollte, ah… du solltest wieder zu Derek zurück. Ich wollte euer Date nicht sprengen.«
»Also, es war nicht wirklich ein Date«, sagte Niko und rieb sich wieder den Nacken. »Ich habe neulich einen ziemlich großen Fehler gemacht und wir haben beschlossen, es noch einmal zu versuchen, aber ich glaube nicht, dass da irgendetwas draus wird. Ich mag ihn sehr, aber es funkt nicht. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja«, erwiderte Sam leise, denn er verstand es. Und das Beängstigende daran war, dass er nun etwas Warmes zwischen ihnen spürte, obwohl sie sich nur anschauten. »Du musst aber nicht aufgeben. Derek ist ein toller Kerl.«
»Ja, das ist er. Er hat mir einen verbalen Nackenschlag verpasst und den hatte ich auch verdient.« Niko fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Ich glaube, dass er mich hierher mitgenommen hat, war ein Test.«
Sam hob die Augenbrauen. »Ach ja?«
»Er hat über die Tochter von eurem Boss gesprochen und darüber, dass sie taub ist und er Gebärdensprache lernt. Ich habe ein paar beschissene Kommentare darüber gemacht, dass es doch einfacher wäre, wenn sie sprechen lernen würde. Und das Schlimmste war, mir ist erst ein Licht aufgegangen, als er aufgestanden und einfach gegangen ist. Ich habe ein wenig gegoogelt, als ich wieder zu Hause war, da habe ich gemerkt, wie beschissen meine Einstellung war.« Niko zuckte mit den Schultern und sah aufrichtig zerknirscht aus, obwohl Sam ihm nicht ganz vertraute. Denn er hatte viele Typen getroffen, die nur mit ihm zusammen sein wollten, um sich etwas zu beweisen ‒ dass sie überhaupt kein Problem mit Behinderungen hatten, obwohl es in Wahrheit nichts anderes war als eine krankhafte Faszination.
»Ich verstehe, warum er gegangen ist«, erwiderte Sam. Aber er verstand ebenfalls, warum Derek ihm noch eine Chance gegeben hatte. »Die Leute kapieren es eben nicht. Wenn sie nicht mit einer Behinderung leben, müssen sie auch nicht jeden Tag darüber nachdenken.«
Niko nickte und musterte dann unverhohlen Sams Rollstuhl, anstatt zu versuchen, ihn komplett zu ignorieren. »Wann, äh… wann ist es bei dir passiert?«
Sam lächelte leicht. »Ich war fünfzehn. Ich war ein Trottel und bin mit Freunden durch die Gegend gefahren, mit denen ich mich nicht hätte treffen sollen. Wir hatten einen Unfall, dabei wurde meine untere Wirbelsäule schwer verletzt.«
»Scheiße«, sagte Niko und runzelte die Stirn. »So jung?«
»Ich denke, so hatte ich die Möglichkeit, mich ausgiebig an dieses Leben zu gewöhnen, denn ich lebe schon länger so, als dass ich laufen konnte«, erzählte Sam. »Im Moment habe ich mit einem Sorgerechtsstreit zu tun und ich hatte gehofft, es zu meinem Vorteil nutzen zu können, aber die Schlipsträger versuchen, es gegen mich einzusetzen.«
Niko richtete sich ein wenig auf. »Du hast ein Kind?«
Sam konnte ein strahlendes Lächeln nicht unterdrücken. »Kein leibliches, aber ja. Es ist eine lange, komplizierte Geschichte, über die ich im Moment nicht sprechen möchte, aber sie ist… Mann, sie ist einfach toll. Sie ist bei mir, seit sie ein Baby war. Sie ist jetzt drei und so verdammt schlau und wundervoll und ich… Es war eine harte Woche und es sieht so aus, als würden die nächsten Monate nur noch schlimmer werden.«
Niko blickte finster drein. »Ich habe nicht wirklich Ahnung von Kindern. Meine Schwester hat zwei. Sie lebt mit ihnen in Jersey und dort gehe ich nicht mehr hin, deshalb sehe ich sie kaum, aber sie sind wirklich toll. Und, ähm, hör mal, wenn du Lust hast, dich mit mir zu treffen, weil du eine Auszeit brauchst, dann melde dich einfach. Wir können Kaffee trinken und die Kleine mitnehmen, um Enten zu füttern. Ich weiß, dass es im Fitnessstudio ein paar Yogakurse gibt, in die ich dich wahrscheinlich reinbringen könnte, wenn du willst.«
Sam blinzelte und lachte dann auf. »Ich gebe ab und zu behindertengerechte Fitnesskurse. Hauptsächlich Core-Training und Rollstuhlyoga. In Denver gibt es ein Reha-Zentrum, in dem ich trainiere, wenn ich Zeit habe. Nächstes Wochenende wollen wir versuchen, Ziegenyoga im Park zu organisieren.«
Da horchte Niko auf. »Ziegenyoga?«
»Yoga mit Babyziegen. Die Ziegen machen nicht wirklich Yoga, sie klettern einfach auf einem herum, aber die Leute finden es anscheinend toll. Es ist seltsam entspannend«, sagte Sam mit einem leisen Kichern. »Willst du es dir ansehen?«
Niko wirkte unsicher, aber seine Lippen verzogen sich zu einem richtigen Lächeln, das etwas mit Sams Innerem anstellte, womit er in dem Moment nicht umgehen konnte. »Ist es okay für Leute wie mich, da mitzumachen?«
Sam runzelte die Stirn, bemerkte dann, was Niko wissen wollte, und lachte. »Mit Behinderung oder ohne, das ist den Babyziegen egal.«
Er konnte gerade so einen Hauch von Röte auf Nikos Wangen erkennen, als dieser den Kopf senkte und nickte. »Ich denke, das könnte Spaß machen. Schreibst du mir wegen der Details?«
Sam zögerte nur eine Sekunde, bevor er sein Handy hervorholte. »Gib mir deine Nummer.« Er versuchte, sich nicht von Nikos sanftem Lächeln ablenken zu lassen, als er die Zahlen herunterratterte, und kurz überlegte er, ihn unter einem lustigen Namen in seinen Kontakten zu speichern, doch letztendlich entschied er sich für Niko, der Fitnesstyp, weil es viel sicherer war, ihn auf Abstand zu halten.
Niko zog in Betracht, nicht ans Telefon zu gehen, aber er war an seinem Arbeitsplatz und auch wenn er seinen Gehaltsscheck nicht unbedingt brauchte, wollte er trotzdem nicht gefeuert werden. Zumindest nicht für etwas so Lächerliches wie das Ignorieren von Klienten.
Er holte tief Luft, speicherte die Seite, auf der er sich befand, und klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter. »Niko Pagonis.«
»Ich dachte, du bist vielleicht unterwegs«, erklang Hollands Stimme am anderen Ende der Leitung. »Hast du einen Moment Zeit?«
»Für dich habe ich sogar mehrere«, sagte Niko und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er nahm seine Brille ab und rieb sich die wunden Stellen am Nasenrücken. »Was gibt's?«
»Sie haben dein Angebot angenommen. Ursprünglich wollten sie einen Mietvertrag über zehn Jahre, aber als ich ihnen gesagt habe, dass du bereit bist, das Kapital für die Renovierungsarbeiten unabhängig vom Kredit bereitzustellen, haben sie einem Fünfjahresvertrag mit der Möglichkeit auf Neuverhandlungen nach drei Jahren und eine Kaufoption zugestimmt, wenn das Restaurant gut läuft.«
Niko spürte einen kleinen Stich in der Magengegend, aber nicht so, wie er es bei der Annahme seines Angebots erwartet hätte. Es war der Anfang von etwas, das er wollte ‒ unbedingt wollte ‒, und dennoch fühlte er sich leer. »Perfekt«, sagte er schließlich. »Wann kann ich unterschreiben?«
Holland lachte. »Gib mir zwei Wochen, Kumpel. Ich muss ein paar Gutachter hinzuziehen, um alles zu überprüfen, und wir möchten verschiedene Bauunternehmen dazu bringen, dir für den Umbau einen Kostenvoranschlag zu machen.«
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