Die Hellebardiere retirierten indessen, konnten der wilden Meute nicht mehr Herr werden, die immer weiter zu den Reitern drängte. Komm mit! Zum Reiter! , vermeinte Bastian und kämpfte sich in Richtung des nächstgelegenen. Aus den Augenwinkeln sah ich den Wagner und Jakob und Andreas mit Umstehenden rangeln, war einiges an Schlägerei im Gange. Als wir den Reiter erreichten, war dieser schon von allen Seiten so dicht bedrängt, dass er versuchte, sich mit den besporten Stiefeln zu erwehren, und seine Münzen den Bedrängern vor die Füße warf, in Hoffnung, sie solcherart abzulenken, was teils gelang, und auch ich bückte mich schnell, die eine oder andere einzusacken. Kaum wieder oben, sah ich den Bastian am Pferd selbst hochspringen und dem Reiter einfach zwischen die Schenkel in den Münzsack greifen. Da wurde es diesem endlich doch zu bunt, und er gab dem Gaul die Sporen, den Zugang zum Römer im Auge. Weit kam er nicht, hatten die Leute seine Zügel gepackt und hielten den Gaul auf, versuchten einige, es nun dem Bastian gleich zu machen und an den Münzsack selbst zu gelangen, andere versuchten gar, ihn vom Gaul zu ziehen, was das erschreckte Tier endlich aufbäumen ließ und ausschlagen. Viel fehlte nicht, und der Reiter wäre gefallen, hatte er schon die Zügel verloren und schlug verzweifelt mit den Fäusten gegen die vielen Hände, die ihn zu stürzen suchten, da kam ihm einer seiner Kameraden zur Hilfe, preschte mit seinem Pferd heran, was die Leute weichen ließ, packte die Zügel des Pferdes und zog ihn mit sich auf den Römerplatz zu. Nur kurz währte der Schrecken der Meute, bevor sie die Verfolgung aufnahm, und nur mit Knappheit schafften es die beiden, sich auf den Römer und hinter die dortigen Gardisten zu salvieren.
Mit gestellten Waffen und dicht an dicht stehend, gleich einem Pikenhaufen im Felde, versperrten die Gardisten dem Volk den Einlass zum Platz. Bastian, Andreas und ich standen weit vorne, nah bei den Gardisten, die ihre Hellebarden gefährlich vor unseren Gesichtern kreisen ließen. Ich blickte mich um, zu sehen, was die Übrigen trieben. Hatten sich die Menschen indessen auf den roten Stoff gestürzt, über den die Prozession geschritten war, schnitten sich große Stücke heraus, sie nach Hause zu führen, oder hingen sie sich über die Schultern, wie etwa der Friedrich und der Egon es getan. Selbst vor den Planken machten sie nicht halt, und schon war nichts des Weges mehr übrig.
Die hohen Herren waren inzwischen im Rathaus angekommen, ging es auf dem Platze davor allerdings noch recht betrieblich zu, wurde überall dieses aufgebaut und jenes vorbereitet, indessen das ungeduldige gemeine Volk ausgeschlossen verblieb. Ich sah einen prächtigen Reiter gerade einen großen Korb mit frischem Hafer auf dem Platz verschütten, wo bereits ein stattlicher Haufen gelegen. Auch wehte uns der Duft gebratenen Fleisches entgegen, konnte man viel Rauch aus dem hölzernen Pavillon aufsteigen sehen, wo ein riesiger Ochse am Stück gebraten wurde, sah man die Haxen des rotierenden Tieres langsam aufsteigen und wieder unter dem Dach verschwinden. Ich sah zum Brunnen hinüber, denn auch hier waren einige Gesellen am Hantieren, und was ich erblickte, machte mir ordentlich das Maul wässrig, denn Schröter schleppten große Fässer mit Wein heran, welche sie oberhalb des Brunnens auf einem Podest positionierten, um des Wassers statt Wein in den Brunnen fließen zu lassen.
Bald waren auch diese letzten Vorbereitungen am Endigen, und gut war’s so, denn das Volk war ungeduldig und kaum mehr zu halten. Zuletzt ritten drei Reiter aus dem Rathaus heraus, derweil die Fürsten mitsamt dem Kaiser vom Balkon des Rathauses aus zusahen, der eine Reiter ritt zum Haufen mit Hafer, wo er mit einem silbernen Becher etwas Hafer schöpfte, ein anderer ritt zum Pavillon, wo er offenbar ein Stück des Bratens sich kredenzen ließ, und der letzte schließlich ritt zum Brunnen, wo er weißen und roten Wein, der sich inzwischen aus den Rohren ergoss, in ein Service silberner Becher schenkte. Nachdem jene drei Reiter wieder im Rathaus entschwunden, bahnte sich das Volk seinen Weg auf den Platz, und die Gardisten wichen zum Rathaus hin, dem Volke das Feld zu überlassen. Bastian, Andreas und ich ganz zuvorderst, hatten wir unser Ziel sogleich auserkoren und rannten, so schnell die Beine uns trugen, zum Brunnen hin. Verdurstenden gleich warfen wir uns an eines der Becken mit weißem Wein, denn sie hatten den Brunnen in mehrere Becken unterteilt, so dass in manche weißer und in manche roter Wein floss; und ich begann zu saufen, indem ich schlicht mein Maul in das Becken hielt und dergestalt mit vollen, gierigen Schlücken mir den guten Trunk einverleibte. Bastian und Andreas folgten meinem Exempel, während um uns herum lauter fremde Arme gleichfalls an das begehrte Gut zu gelangen suchten, wurden von allen Seiten Becher und Flaschen und Hände in die Becken getaucht, dass es nur so spritzte und schwappte, mir der Wein in die Nase und über die Brust lief. Jemand drückte mich grob beiseite, dass ich mich verschluckte, der Amon war’s, und auch die Übrigen waren nun da, der Wagner, der einen Becher in der Hand hielt, weiß Gott woher, die Witwe, die aus selbigem Becher trank, der Korporal, der seine große Feldflasche tief eintauchte, ferner der Jakob, der Friedrich und der Egon, die mit den gewölbten Händen den Wein zum Munde führten, in Ermangelung besserer Instrumente. Ich sah den Andreas, der am Rand des Beckens hochgeklettert und sich den Wein direkt aus dem Rohr ins Maul fließen ließ.
Den Bauch bereits prall gefüllt und mit leichter Übelkeit ob des schnellen Saufens, hielt ich kurz inne und sah hinüber zu den anderen Becken. Und obgleich ich derart vollgesoffen war, dass mir schon reichlich schwindlig wurde, wollte ich mir doch auch den guten Roten schmecken lassen. Zu gemeldetem Zwecke kletterte ich also den Brunnen empor, der, wie beschrieben, mit einigen großen Steinen verziert und geschmückt war, an denen man trefflich Halt fand, hielt mich auf halber Höhe an einem der Dekorlöwen fest und senkte dergestalt von oben herab meinen Kopf zum Rohre, aus welchem der gute Rotwein floss. Ich hielt das offene Maul in den Strahl und soff, was ich konnte, versuchte derweil mich der vielen Becher zu erwehren, die um mich schwirrten wie die Fliegen und gleichfalls versuchten, an den Weinstrahl zu gelangen, als mich endlich jemand packt und von da oben runterzerrt, dass ich zu Boden stürze. Ich entsinn mich noch an ein wütendes Gesicht vor mir, das mich schimpft, da fliegen schon die ersten Fäuste. Lässt wohl unseren Bub in Ruhe! , hörte ich den Egon rufen. Meine Kameraden müssen gesehen haben, dass ich derart angegangen wurde, denn ich sah nun den Korporal Schuhmann selbigem Kerle kräftig den Kopf gegen den Brunnen hauen, und auch die anderen waren gehörig am Händeln.
Kaum erhoben, mit der Intention, meinen Freunden beizustehen, bemerkte ich, dass mir der gute Wein doch reichlich zu Kopf gestiegen war, und so kommt es, lieber Leser, dass fürderhin meine Erinnerungen eher wirr und unklar mir erscheinen, kann ich mich zwar des meisten Geschehenen entsinnen und ist mir wohl auch nichts in Gänze verloren gegangen, doch sind die Bilder in meinem Geiste hinter einem trüben Schleier versteckt und gleichwohl verworren, als habe jemand Bilder, Zeiten und Orte, welche in meinem Gedächtnis aufgehoben, gemischt und durcheinander gebracht, dass ich im Folgenden, der Logik als meinem Leitstern folgend, den Ablauf der Sinnhaftigkeit nach zu schildern gedenke.
In jedem Falle war, als sich mein Schwindel ein wenig legte, der kurze Kampf schon zugunsten unserer Partei entschieden, und man gedachte, wohin nun zu gehen sei, waren wir doch alle schon zu genüge satt gesoffen, was uns freilich nicht hinderte, unsere Feldflaschen zum Abschied zu befüllen. Aufs Trinken müsse wohl das Essen folgen, vermeinte dann jemand, und auch ich gab etwas zum Besten wie: Jawohl, ja, auf zum Ochsen! Jenes Ziel im Auge, drängten wir uns durch das viele Volk zu jenem Pavillon hin, bei dem, ähnlich wie beim Brunnen zuvor, mächtig Aufruhr im Gange war.
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