Auch wenn der Kommandant meist freundlichen Fußes zu allen seinen Untergebenen stand, sich mal hier, mal dort nach dem Befinden erkundigte, Mut zusprach und Lob austeilte, konnte er, so der Anlass es erforderte, auch hier sein anderes Gesicht aufsetzen. Gut in Erinnerung ist mir die Szene geblieben, als der Wagner mit der Witwe und mir im Gefolge von unserem Pferdegatter heimwärts lief – hielten wir die Gäule nämlich entfernt vom Hort, da diese zu laut und auffällig seien und deswegen zu leicht entdeckt werden könnten, wie der Wagner bestimmte – und wir den Amon bei zwei anderen Kameraden große Reden schwingen hörten. Welch Natter sich der Hauptmann da ins Bett geholt, tönte dieser lautstark; dass ihres armen Mannes Schicksal bald das selbige des Wagners sein werde, prophezeite er. Ich glaub, ich sollt mal ein Beil nebens Bett legen, dann ist der Hauptmann bald ein anderer , spottete der Amon zuletzt. Das folgende Lachen blieb ihm freilich gut im Halse stecken, als er den Wagner hinter sich erblickte. Oh, du göttlicher Augenblick! Dieser schritt daraufhin auf Amon zu und packte mit der einen Hand des Gegenübers Nacken und zog dessen Gesicht fingerbreit an seines ran. So, so, und du willst dann wohl meine Nachfolge antreten, was? , fragte er dann. Nein, nein , stammelte der Amon, er habe es doch nicht derartig gemeint. Du kannst dir vorstellen, lieber Leser, dass ich herzlich genoss, den Finsterling so reuig zu sehen, der mich so fleißig geschunden, und sehr bedaure ich, das folgende Schauspiel verpasst zu haben, das ich nur aus Wiedergaben schildern kann. Der Amon jedenfalls wurde so kräftig geprügelt und gedrillt, dass er an die zwei Wochen brauchte, um sich zu erholen. Und magst du nun glauben, dass jener hernach bittere Rache schwor, den Wagner fortan kräftig hasste und nur noch Zetermordio schrie, so sei dieses hier widerlegt, denn e contrario gab es nach jenem Vorfall wohl kaum einen demütigeren Fürsprecher des Hauptmanns als eben diesen.
Was mich dem Schauspiel fern gehalten, war die Witwe gewesen, war diese nämlich, als wir jene Reden hörten, davongelaufen. Ich lief ihr hinterher und fand sie auf einem Baumstamm sitzend und weinend, ein Bild, das durchaus ungewöhnlich war, denn kaum je ist mir eine wackerere Frau begegnet, konnte sie es an Mut mit jedem Manne aufnehmen. Als sie mich sah, zwang sie sich ein Lächeln ab. Was los sei?, frug ich besorgt. Erst sagte sie nichts und wischte sich nur die Tränen ab, was mir die Zeit gab, mich neben sie zu setzen. Ach weißt , sagte sie dann. Ich liebt ihn doch so , und schaute betreten zu Boden. Ich wusste nicht recht, was damit anfangen. Den Wagner? Da sah sie mich an, als sei ich blöd. Doch nicht den , antwortete sie, den Holzkopf mein ich, meinen Mann , und begann wieder kräftig zu weinen.
Dieser Art jedenfalls herrschte unser Hauptmann, gab mit der einen Hand, um mit der anderen zu peitschen: So wird Politik gemacht! Und mit Erfolg, denn in jenen ersten beiden Jahren, die ich als Räubersmann verbrachte, litten wir kaum je des Hungers, verloren nur zwei Männer an Krankheit und wuchsen stetig an Mannschaft, dass schließlich unser prächtiges Heim kaum reichte, alle zu beherbergen.
Ich erinner mich an schöne Zeiten, die wir verbrachten, wenn wir abends nach getanem Tagewerk beisammen saßen und über offener Flamme Fleisch brieten, nach Soldaten Art, wie wir es nannten, und dazu selbstgebrautes Bier tranken. Dann erzählten die vier Kriegsknechte, der Wagner und die Korporale, von ihren Abenteuern und Kriegen, und wir anderen hörten zu und machten große Augen. Wie eine andere Gattung erschienen sie mir dann, Helden aus einer anderen Welt, mit ihren Geschichten von Schlachten und von Kämpfen, von fernen Ländern und mächtigen Fürsten. Und nicht nur mir ging es so, auch die anderen sahen zu ihnen auf, waren es doch Bauern und Handwerker, Tagelöhner und Gesindel allesamt. Harte Männer, ungefragt, doch nun mal keine Soldateska, und so wurde allgemein versucht, diesen großen Vieren nachzueifern, sei es in der Art sich zu kleiden und zu schmücken – konnte kaum eine Hose weit genug geschnitten, mussten die Stoffe so bunt als möglich sein –, und hart wurde gestritten um die prächtigsten Hüte, den schönsten Schmuck und die edelsten Waffen, die wir auf Raubzug ergatterten. Ferner in der Art zu sprechen, wie es in der Armee Usus ist, ging es zum “Fouragieren” und auf “Patrouille”, den “Wachdienst” verrichten und ans “Visitieren”. Der Kriegsdienst wurde gepriesen und bewundert, und oftmals hörte man den einen und den anderen schwören, sobald die Trommler sich vernehmen ließen, man sich melden werde; denn Krieg lag in der Luft, schien schon damals nur eine Frage der Zeit, wann die Großen zu den Fahnen riefen, und Zeitung von kommendem Unheil gab es überall.
Kaiser Matthias war müßig zu jener Zeit, hatte sich nach erfolgreichem Bruderzwist, als er seinen Bruder Rudolf ausgestochen, an seinen Hof zurückgezogen, aus Altersgründen wohl, doch wenn das Oberhaupt der Macht der Machtausübung entsagt, so finden sich stets jene Menschen, die begierig sind, sich ihrer zu bedienen. Bruder Martin hier sagte mir mal, denn ein schlauer Fuchs ist er und weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen, dass Macht stets nach ihrer Ausübung strebt und, so die Mächtigen sich ihrer verweigern und sie nicht zu nutzen wissen, sie sich anderweitig bedient. Er sprach von ihr, als sei sie ein eigenes Wesen, habe Verstand und Willen. Und so käme es, dass, wenn die gottgewollten Herrscher zu alt oder zu jung oder zu dumm sind, die Macht sich anderweitig bediene, entstünden all jene großen Männer, die begierig die Ruder ergriffen, käme es zu einem Olivares in Spanien, einem Buckingham in England und einem Richelieu in Frankreich, welche im Namen der Könige und Prinzen handeln und ihrer statt die Politik bestimmen, was freilich nicht gut Zeugnis hinterlässt für unsere Herrscher. Khlesl war damals der Mächtige im Dienst des Kaisers, und gewiss wirst du den Namen schon vernommen haben, doch hinter ihm lauerten noch Eifrigere, noch Gierigere und noch Gefährlichere, die letztlich den Krieg beschworen, lauerte ein Erzherzog Ferdinand, der spätere Kaiser, ein Maximilian, der listige Bayer, und manche mehr, die sich den alten Glauben auf die Fahne geschrieben, ihn zum Siege zu führen.
Damals im Wald verstand ich noch nichts von Politik und Welt, waren es alles böhmische Dörfer für mich, kannte zwar wie die meisten die großen Namen jener Zeit, doch wie sie verstrickt und was ihr Begehr, davon wusste ich so wenig wie vom Kriege selber, und erst viel später lernte ich das Spiel der Mächtigen deuten, wobei mein Herr mir trefflicher Lehrmeister war. Meinen schurkischen Kameraden ging es ganz ähnlich, träumten sie nur davon, zu kämpfen und zu kriegen, auf wessen Seite und für wen war den meisten egal. Nur die Brüder Linz nannten sich offen Lutheraner. Nicht mal ihnen vertraute ich an, was ich des Ursprungs mal gewesen. Ja, gewesen sag ich, denn was ich im Walde war, das weiß ich nicht, dachte ich nicht darüber nach und ging auch freilich nicht zur Kirche. Gott war mir fern damals, so glaube ich, war verstritten mit ihm, und auch wenn ich mein Kreuz machte und oftmals ein Gebet aufsagte, in schwerer Lage, war in meinem vernarbten Herzen kein Platz für ihn, und erst viel später fand ich zu ihm zurück und ließ ihn ein; ich fürchte leider zu spät.
Kapitel 4 
Erzählt von der unzufälligen Begegnung mit einem Teufel ohne Namen
So lebte ich jedenfalls als Räuber dahin und lebte dergestalt fröhlicher, als es sich wohl für einen Predigersohn gebührt, bis schließlich im Frühjahr anno 1616 es zu jener unglückseligen Begegnung kam, die manches Leben verändern und manches kosten sollte, mich jenem Mann vorstellte, der für so viel Gräuel und Leid in meinem eigenen Werdegang Verantwortung trug.
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