1 ...8 9 10 12 13 14 ...38 Obzwar ihre Version des Geschehenen unter uns Räubern durchaus bekannt war, vermeine ich, dass mancher sich dennoch fragte, ob nicht mehr dahinter stecke, ob nicht am Ende doch stimme, was die Magd und das Volk so erzählten, und endlich auch, ob nicht, wie es in unserer Zeit so gerne vermutet und auch angenommen wird, der Teufel seine listigen Finger im Spiele habe. Und so schaute mancher gewiss zwiespältig auf die Witwe, und des einen oder anderen Mals wurde ich gewahr, wie hinter ihrem Rücken getuschelt wurde und auch jenes eine Wort fiel, das so leicht ausgesprochen und umso viel schwerer zurückgenommen ist: “Hexe!” Und ich muss gestehen, dass ich selber anfänglich mir gleichfalls die Frage stellte, ob es bei ihr nicht doch mit dem Teufel zugehe.
Noch gut kann ich mich an den Fall erinnern, als einst die Witwe einen Neuling zum Küchendienst abkommandieren wollte, dieser aber vermeinte, Weiberarbeit sei solches, warum daher die Witwe Befohlenes nicht selber verrichte. Da zog sie ihr langes Messer, das sie stets an der Seite trug, hielt es ihm vor das Gesicht und vermeinte, dass sie als Weib freilich gerne koche, am liebsten Zunge, weshalb sie wohl in der Nacht ihn um die seine zu erleichtern gedenke, damit die anderen kosten mögen, wie solch räudige Zunge schmecke, und damit zog sie ab. Oje , meinte darauf einer der Korporale, Hans Schuhmann war’s, mit besorgtem Ton: Da hast dir aber üble Suppe eingeschenkt . Worauf die anderen eifrig nickten. Der Neue meinte trotzig, dass er doch keine Angst vor einem Weibe habe. Ob er denn nicht wisse, mit wem er sich da eingelassen?, fragte man ihn, was dieser verneinte. Worauf sie ihm erzählten wer die Witwe sei, was ihr zu Lasten gelegt und was man über sie so erzählen würde. Unterließen dabei freilich nicht, ihre Berichte auf das Prächtigste auszuschmücken und auf das Bildlichste zu schildern und obendrauf mit allerlei Grausamkeiten zu würzen, dass Menschenfleisch zu kredenzen ihre größte Freude sei, dass keiner wirklich sagen könne, wie viele sie schon geschlachtet und verfressen, und dieser Art noch vieles mehr, versuchte ein jeder die Geschichte seines Vorredners an Graus und Schrecken noch zu übertrumpfen, dass der arme Kerl endlich ganz weiß um die Nase geworden. Ja ob denn keiner etwas gegen die Hexe zu unternehmen gedächte?, vermeinte dieser darauf. Gegen die Witwe? , erwiderte der Schuhmann und streckte die Handflächen von sich. Bin doch nicht des Lebens müde! Mit der will ich keinen Händel. Musst die Suppe, die dir eingebrockt, schon allein löffeln. Man sah ihn noch eine Weile sitzen in Gedanken versunken, doch bald erhob er sich und ging wortlos in den Hort. Na, wo ist er auch hin? , fragte dann einer spöttisch, und der Schuhmann erwiderte: Meinen rechten Arm, dass ihn in der Küche findest . Worauf wir alle lachten.
Übertrieben hatten sie freilich und sich ihren Spaß gemacht, und dennoch war der Respekt ernst gemeint, zumal sie gern mit ihrem Ruf kokettierte, die Witwe, war er Schild und Drohung zugleich, und lachen muss ich, denke ich an den Burschen, wie er die nächsten Nächte geschlafen haben muss, die beiden Hände vor das Maul geschlagen. Doch sei dem Leser hier versichert, denn ich lernte sie gut kennen und viele Jahre war sie an meiner Seite, dass alles Gerede und üble Unterstellung kein Fünkchen und kein Korn an Wahrheit enthielten, so wahr mir Gott helfe, sie e contrario ein trefflich Weibe war und gute Kameradin. Gottesfürchtig war sie zudem, besaß sie einen hölzernen Rosenkranz, den sie versteckt im Beutel immer mit sich führte, habe ich sie oft heimlich beten sehen und jenen küssen, so die Zeiten schwierig waren, ob im neuen oder alten Glauben habe ich nie erfahren, auch nie gefragt.
Mit den genannten und weiteren Gesellen fristete ich also mein Dasein, lernte schließlich auch das Räuberhandwerk, und kaum einen besseren Lehrer als den Wagner hätte ich mir wünschen können. Auch diesem will ich hier in kurzen Zügen ein Bildnis zeichnen, auch wenn genannter Steckbrief schon gute Vorarbeit geleistet hat. Verwegen war sein Antlitz, dies Wort trifft es gut, denn Abenteuer und Draufgängertum standen ihm ins Gesicht geschrieben, mit jenen kleinen stechenden Augen, den spitzen Brauen und schwarzen Haaren, das Gesicht kantig und symmetrisch, nur durch die Schmarre linkerseits entstellt, was ihm jedoch nicht zum Nachteil geruhte, sondern im Gegenteil das Wilde seines Charakters zu unterstreichen vermochte. Ein Andenken aus Ostende, nannte er seine Narbe, die ihm ein Spanier während der Belagerung jener Stadt hinterließ. Er lachte viel und gern, hatte ihn das harte Soldatenleben nicht der Lebensfreude berauben können, wobei sich sein breiter Knebelbart, den er trug, wie es damals die Mode war, dann zu beiden Seiten nach oben bog. Großen Wert auf Äußerlichkeiten legte er bei sich, eitel mag man es nennen, rasierte sich oft und zwirbelte den Bart sich spitz, fand Gefallen an schöner Kleidung, wie weiten und farbigen Pluderhosen und gut genähten Röcken mit weit geschnittenen Ärmeln und breitem, rüschigem Kragen, besaß er eine große Truhe voll teurer Kleidung. Der Umfang seines breitkrempigen Hutes suchte seinesgleichen und die Länge seiner Feder konnte es mit der manchen Edelmannes aufnehmen. Seine ledernen Stiefel liebte er sauber und eingefettet, eine Aufgabe, mit der er fortan mich betraute und gehörig die Leviten las, so ich sie nicht zu seiner Zufriedenheit erfüllte. Ein langer Spanischer Degen, ebenfalls Kriegsbeute, während seiner Zeit bei den Holländern, schwang an seiner Seite, und trefflich damit umzugehen verstand er. Er mochte mich, so glaube ich, und ich auch ihn, sucht der junge Geist sich doch den starken Charakter aus zur Orientierung. Wie ein Edlendiener schwänzelte ich um ihn herum, war stets zur Stelle, so er etwas brauchte, freute mich, wenn er mir lobend den Kopf tätschelte, und grämte mich, wenn er mich schimpfte. Und gefallen ließ er sich mein Dienertum, behandelte mich ordentlich und lehrte mich dabei auch allerhand.
Jener selbst war es, der mich im Umgang mit den Waffen unterwies, lehrte mich ein wenig Fechten, auch wenn mein Talent, wie ich gestehe, nicht übermäßig war. Besser stellte ich mich mit der Muskete an, die er mich auch zu nutzen lehrte, wenngleich wir uns nur mit kleinster Ladung zu schießen trauten, macht eine Muskete doch, wie der Leser vielleicht weiß, einen gewaltigen Knall. Er zeigte mir, wie mit einer Lunte umzugehen, wie sie zu halten und die Glut versorgen, dass man sie an beiden Enden anzuzünden habe, damit, falls die Lunte beim Schuss ausgehe, man sie verkehrt herum aufziehen könne. Lehrte mich die Pfann gut zu füllen mit Zündkraut, Pulver und die Kugel ordentlich zu stopfen. Ermahnte mich des fleißigen Ausblasens von Pfann und Rohr, dessen Unterlass schon manch einen Leben oder Augenlicht gekostet hat. Übte mich, wie das schwere Gewehr zu halten und zu legen sei, zeigte mir, wie damit zu zielen. Auch durfte ich mich an seiner schönen Pistole probieren, einem prächtigen Stück mit fein gearbeitetem Schlosse, das er einem Edelmann abgenommen.
Sobald der Winter vorüber war und das Wetter sich besserte, ging ich mit los auf Streifzug. Mit ungefähr zwanzig Mann zogen wir dann aus für einige Tage, kümmerte sich der Rest indessen um den Hort oder trieb Handel mit den umliegenden Dörfern. Es war allen streng verboten, in naher Gegend Räuberei zu betreiben, sondern im Gegenteil hatte der Hauptmann bestimmt, dass sich gut zu benehmen sei; keinem Bauern wurde auch nur ein Korn gestohlen, keinem Händler zu nahe getreten, keiner Magd nachgestellt. Ordentliche Preise wurden gezahlt und zu guten Preisen verkauft. Was Folge hatte, dass unsere Bande sich keines allzu schlechten Rufes erfreute, gute Kontakte und Handel pflegen konnte, teils sogar bewundert und beschützt wurde vor der Obrigkeit. Kaum waren wir aber eine Tagesreise von daheim entfernt, begannen wir unser Tagewerk, welches schwerlich rühmlich gelten kann. In Gruppen schwärmten wir aus entlang gut befahrener Waldwege, hielten Ausschau nach Reisenden, nach Kutschen und Konvois. Hier lernte ich, wie zu kommunizieren über Pfeifgesang, die Lerche, sich zu sammeln, die Amsel, wenn man Beute fand, die Drossel, so Gefahr im Verzug, wie zu orientieren im Walde, die Himmelsrichtungen bestimmen über Sonne und Moos, Fährten und Geräusche deuten. Viel half mir damals meine vorherige Lehrzeit im Wald, die mich gut anstellen ließ und mir manches Lob einbrachte.
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