Auf den Islas Cies diskutierten wir, ob wir uns ein Radargerät anschaffen sollten. Die Radarfrage beschäftigte uns schon seit einigen Tagen und ließ uns keine Ruhe. Radar ist gut bei Nebel, vornehmlich an Küsten, wie diesen in Nordspanien und Frankreich. Zudem könnte ein solches Wunderding während der Nachtfahrten quasi zu einem dritten Besatzungsmitglied werden. Der Wachhabende könnte sich schlafen legen und das Gerät auf Alarm schalten. Das Gerät würde sich jede 10 Minuten anschalten, einmal die Runde am virtuellen Himmel drehen und bei Annäherung eines unbekannten Objektes Alarm geben. Sich darauf zu verlassen wäre natürlich unseemännisch, wurde zwar auf einigen Booten, besonders von Einhandseglern praktiziert, aber selten laut ausgesprochen. Es gab viele Pros und wenige Contras. Zu den Contras gehörten der hohe Preis und das Unbehagen bei dem Gedanken an ein führerloses Boot in der Nacht. Blätterwerfen und Ching-Chang-Chong sagten zweimal nein, unser Gefühl sagte zweimal ja. So kamen wir zu keiner vernünftigen Lösung. Das Thema nervte uns bereits.
Am Abend traf wir uns mit der deutschen Kolonie am Strand, den zwei Skipperinnen von der Beatrix aus Hamburg, Mikey, Maria, Daniel, Su und Bernd Mansholt von der Nis Randers, Uli, Astrid und Reiner von der Luna aus Fehmarn und berichteten von unseren Abenteuern. Daniel und ich jammten dazu ein wenig an der Gitarre, Bernd holte seine Mundharmonika aus der Tasche. Irgendwann begann es zu nieseln. Doch dieses kurze Wetterintermezzo saßen wir aus.
Bald schon mussten wir unser kleines Paradies verlassen, denn die Lebensmittelvorräte waren schlussendlich aufgebraucht. Kurz bevor wir den Anker lichteten, kam ein mastloses Boot in die Bucht. „Ach, das ist doch Anton ohne Mast!“ Es war ein deutscher Segler, dessen Unglücksgeschichte ihm bereits vorausgeeilt war. Marie und Mikey paddelten ihm entgegen. Der Einhandsegler Anton hatte seinen Mast eine Woche zuvor bei La Coruna verloren, als er bei Maschinenfahrt in eine hohe Welle einstampfte. Dabei riss das Vorstag und Anton lief schnell zum Vorschiff, um ein Fall als Notstag einzubändseln. Gerade auf dem Vorschiff angekommen, brach der Mast nach hinten weg. Wie durch ein Wunder war er heil davongekommen. Der Mast kippte nämlich genau auf die Stelle, an der er Sekunden vorher noch gestanden hatte, zertrümmerte zum Glück nur den Heckkorb und hinterließ eine tiefe Delle im Steuerrad. Ein neuer Mast war bereits unterwegs nach Vigo. Die Stadt lag nur ein paar Meilen landeinwärts am Ende der Ria. „Anton ohne Mast“ widmete ich meinen ersten Song dieser Reise, den ich passend „Costa da Morte“ nannte.
Was neben den Lebensmitteln ebenfalls zur Neige ging und uns ans Festland trieb, war unser schwindender Brennstoffvorrat. Wie viele andere Fahrtensegler kochten auch wir mit Petroleum. Unser Optimus war zwar etwas komplizierter zu handhaben, als ein Gaskocher, war dafür aber ungleich sicherer. Am Ankerplatz ging nun das Gerücht um, in Portugal gäbe es kein Petroleum. Also zogen alle Segler los und kauften wie die Verrückten die Regale spanischer Tankstellen entlang der Segelroute leer. In Nordspanien werden im Winter kleine Heizradiatoren mit dem Petroleo betrieben.
Wir hatten in unserer Sorge bereits ein Mail an alle Trans-Ocean-Stützpunktleiter auf den Kanarischen Inseln geschickt. Heinz-Jürgen Schneider, TO auf Teneriffa, hatte uns dankenswerter Weise geantwortet. Nach seinen Informationen gab es auf seiner Insel eine Ölraffinerie, die reinstes und günstiges Petroleum herstellte. Also hatten wir von nun an eine Sorge weniger. Wir mailten diese Information sogleich weiter an die Crews der anderen Boote.
Zwei Tage verbrachten wir in Baiona, der alten Hafenstadt, in der Columbus nach seiner Rückkehr von seiner ersten Karibikfahrt 1493 die Entdeckung des Seeweges nach Indien verkündete. Eine wunderschöne, alte Stadt, in der wir es bestimmt noch ein paar weitere Tage ausgehalten hätten, doch uns trieb es schon wieder weiter, denn wir wollten den Anschluss an unsere Karawane nicht verpassen. Doch auf dem Prada de Conceilo in der Altstadt fand am nächsten Tag ein Flamenco-Konzert statt. Sollten wir nicht also auch morgen noch bleiben? Irgendwie fühlten wir uns gehetzt, dabei waren es allein wir, die unser Tempo bestimmten. Doch wenn die anderen weiterzogen, mussten auch wir los. Und so kachelten wir von einem Hafen zum nächsten, ohne irgendwo wirklich anzukommen. Unser Ziel hieß zwar Karibik, aber es lag ja auch noch etwas dazwischen. Ich merkte, wie mir das Leben als Getriebener immer weniger behagte. Wo sollten wir denn endlich mal länger bleiben, als nur ein oder zwei Tage? In Porto? In Lissabon? Auf Madeira? Auf den Kanaren?
Zum Glück blieben wir und lagen zwei weitere Tage am Steg des Real Club Nautico de Yates. Königlich fühlten wir uns in dieser luxuriösen Marina, umschlungen von der Anlage des alten Castello. Das Konzert auf dem Rathausplatz glich einem Stakkato aus Klagerufen und Gitarrensalven. Ich wusste gar nicht, wie traurig Flamenco sein kann. Wie gut, dass wir diesen Abend erleben durften. Wie gut aber auch, dass wir bald danach aufbrachen, denn noch am Tag unserer Abreise detonierte in einer der Mülltonnen am königlichen Segelclub eine Bombe der Eta. Zum Glück wurde niemand verletzt.
Portugal - alte Geschichten auf See
Unsere Weltkarte war bald um einen weiteren weißen Fleck ärmer, denn nur 30 Meilen waren es vom spanischen Baiona bis zum portugiesischen Viana do Castello am Rio Lima. Unterwegs zog unsere Albin Ballad unter gut gefüllten Segeln und ausgebaumter Genua II an der Segel schlagenden und dahinrollenden Luna aus Burg auf Fehmarn vorbei. Als wir in den Hafen von Viana einliefen, wurden wir von der stehenden Hitze dort förmlich erschlagen. Zum ersten mal empfing uns drückende Hitze! Maret war sofort begeistert und sah die Dinge völlig anders als ich. Ich hoffte auf baldige Abkühlung. Die Marina am Rio Lima war relativ neu, schlicht, sauber und in Ordnung. Balu bekam einen Platz zwischen kleinen Fischerbooten, was sich bereits am nächsten Morgen als fatal erweisen sollte, denn die Pescadores begannen ab etwa 3.00 Uhr in der Frühe unter lautstarkem Palaver, ihre Boote für den Fang klar zu machen.
Hier in Portugal sollte nun das große und gefürchtete Einklarieren bei Zoll und Immigration beginnen. Die Portugiesen nähmen es mit den Bootspapieren sehr genau, hieß es in unserem Revierführer, „The Atlantic Coast of Spain and Portugal“. Wir waren gespannt, denn bislang hatten wir unsere Papiere noch nirgendwo vorzeigen müssen.
Im riesigen, neuen Marinagebäude saß sehr verloren ein kleiner Mann in einem Rollstuhl und jappste in der Hitze. Er schien verständlicherweise etwas missgestimmt und war für keinen Spaß zu haben. Englisch radebrechend fragte er mich aus, wobei ich oft nachfragen musste, da ich ihn nur sehr schwer verstand. Stoisch hackte er meine Angaben in seinen Computer, Name des Bootes, Länge des Bootes, Breite, Tiefgang, Anzahl der Masten, Anzahl der Rümpfe, Bootstyp, Besegelung, Art des Riggs, Baujahr, Farbe des Rumpfes, Baumaterial des Rumpfes, Höchstgeschwindigkeit, Heimathafen, Motorennummer, Art der Maschine, Typ der Maschine, Hersteller der Maschine, Stärke der Maschine, Name des Kapitäns, Name des Eigners, Namen der Crew, alle Passnummern, Adressen, geladene Fracht, zu verzollende Güter, Waffen an Bord, Haustiere. Ich war erschlagen von so vielen Fragen, doch nahm es mit Humor. Auf diese Weise erfuhr ich Dinge über mich und das Boot, die ich selbst niemals zu erfragen gewagt hätte!
Nicht nur unser Revierführer, auch Frank hatte uns vorgewarnt. Er war vor vielen Jahren bei Stinas erster Tour nach Portugal einmal nachts vom ankernden Boot gezerrt worden, weil er und Tine nicht korrekt einklariert hatten. Eine ganze Nacht lang wurde er von augenscheinlich betrunkenen Zöllnern in schmutzstarrenden Unterhemden verhört und dann ohne erkennbares Zeichen einfach wieder vor die Tür gesetzt. Brav beantwortete ich also dem schwitzenden Mann im Marinabüro jede noch so merkwürdig anmutende Frage und verkniff mir oberschlaue Bemerkungen jeder Art.
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