Der einzige Weg, den Problemen von Armut und Ungleichheit wirksam zu begegnen, ist es deshalb, dass diejenigen, die das Meiste haben, ihren Konsum drastisch reduzieren, damit die begrenzten Reichtümer der Welt gerechter unter allen verteilt werden. Natürlich mag einiges dieser Reduktion durch eine effizientere Nutzung vorhandener Ressourcen erreicht werden, etwa durch den Umstieg auf nachhaltige Energieformen oder die Umschichtung von Ressourcen aus den Militärausgaben. Doch eine gleichzeitige Reduktion des Konsums insgesamt und eine Zunahme der Ressourcen für die Armen erfordern immer noch eine Änderung des Lebensstils der Reichen (und mächtigsten) 20 % der Menschheit.
Die Herausforderung, den Konsum im Norden zu reduzieren und Wohlstand an den Süden umzuverteilen, mag auf den ersten Blick überwältigend erscheinen, doch dies käme letztlich allen zugute. Einige Vorteile daraus wären ökologischer Natur. Das Worldwatch Institute hebt hervor, dass die sich weitende Kluft zwischen Reich und Arm ein wesentlicher Faktor ökologischer Zerstörung ist. Einerseits richten diejenigen, die auf der Einkommensskala ganz oben sind, aufgrund ihres hohen Konsumniveaus und der Erzeugung riesiger Mengen von Abfall und Verschmutzung den größten ökologischen Schaden an. Andererseits tragen auch diejenigen, die in extremer Armut leben, zur Schädigung der Ökosysteme bei, während sie immer weiter an den Rand gedrängt werden. Aufgrund dieser Situation können sie gezwungen sein, mageres Land zu überweiden, Wälder zu schädigen, weil sie Brennholz brauchen, und Feldfrüchte an Abhängen anzupflanzen, die anfällig für Bodenerosion sind. Im Gegensatz dazu beeinträchtigt der Teil der Menschheit mit einem bescheidenen, aber ausreichenden Auskommen tendenziell die umfassendere planetarische Gemeinschaft am wenigsten. Ein größeres Maß an Gleichheit würde also viele der Schäden beseitigen, die aus den Extremen von Wohlstand und Armut resultieren. (Brown et. al. 1994)
Darüber hinaus würde eine Neuverteilung des Wohlstands der Welt Milliarden Menschen aus der Verzweiflung und dem Elend bedrückender Armut befreien, es ihnen ermöglichen, ihr menschliches Potenzial stärker zu entfalten, und auf sinnvolle Weise zu einer nachhaltigen Zukunft beizutragen. Die Vorteile einer solchen Umverteilung für den Norden sind nicht so unmittelbar erkennbar, doch man kann sicher die Meinung vertreten, dass eine Abkehr von der Konsumkultur der überentwickelten Welt letztlich zu einer Erneuerung des Gemeinschaftslebens verhelfen würde, da die Leute von einem von Stress und Konkurrenz geprägten Lebensstil befreit würden. Eine bessere Verteilung von Einkommen und Wohlstand könnte eine bessere Gesundheit aller bewirken. So schreibt Korten:
„Sauberes Wasser und geeignete Sanitäranlagen sind vielleicht die wichtigsten Faktoren für Gesundheit und langes Leben. Die Erfahrung an Orten wie zum Beispiel dem indischen Bundesstaat Kerala zeigt, dass diese notwendigen Dinge bereits ab einem ganz bescheidenen Einkommensniveau erreichbar sind. Im Gegensatz dazu ist in Ländern mit einem hohen Einkommensniveau eine Zunahme von Krebserkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, Stress und Herz- und Gefäßerkrankungen, von Schädigungen der Leibesfrucht und eine Abnahme der Spermienzahl zu verzeichnen. Es gibt eine zunehmende Fülle von Belegen dafür, dass all diese Phänomene Nebenprodukte des Wirtschaftswachstums sind und auf die Verschmutzung der Luft und des Wassers, chemische Zusätze und Pestizidrückstände in der Nahrung, hohe Lärmpegel und einer zunehmenden Beeinträchtigung durch elektromagnetische Strahlung zurückgehen. (1995, 40–41)
Schließlich ist es ein Vorteil größerer Gleichheit, dass diese sehr wahrscheinlich der Schlüssel für eine Eindämmung der Überbevölkerung sein könnte. Gewöhnlich begann das Bevölkerungswachstum erst dann zurückzugehen, wenn die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt waren und die Leute sich sicher genug fühlten, um weniger Kinder zu haben (diese stellen eine Grundform der Altersvorsorge dar). Es ist bemerkenswert, dass in den Siebzigerjahren, als die Einkommen im Süden stiegen, die Bevölkerungswachstumsraten deutlich zurückgingen. Mit dem Beginn der Verschuldungskrise und der Durchsetzung einer harten Austeritätspolitik in den Achtzigerjahren sanken die Einkommen drastisch, und gleichzeitig stiegen die Raten des Bevölkerungswachstums an. Erst in den Neunzigerjahren sanken diese wieder, doch selbst zu dieser Zeit konnte etwa ein Drittel der Reduktion auf die Aids-Pandemie zurückgeführt werden.
Zusammen mit der Einkommenssicherheit ist die Stärkung der Frauen ein Schlüssel für die Stabilisierung der Bevölkerungszahl. Das beinhaltet auch ihre Fähigkeit, über die Größe der Familie selbst zu entscheiden. Eine solche Stärkung der Frauen ist aber sicher in einer Gesellschaft einfacher, die eine weniger hohe Arbeitslosenrate und weniger soziale Gewalt aufweist. Doch auch diese Bedingungen sind normalerweise nur dort gegeben, wo ein Mindestmaß an gerechterer Einkommensverteilung und ein Rückgang der Armut erreicht wurden. Das heißt, letztlich ist eine größere Einkommenssicherheit der wesentliche Faktor dafür, dass die Kurve des Bevölkerungswachstums schnell nach unten geht.
Ein fehlerhafter Indikator, eine falsche Perspektive
Eine unserer Hauptschwierigkeiten mit der Wachstumswirtschaft ist die Art und Weise, wie Wachstum gemessen wird. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP), die hauptsächliche Messgröße von Wirtschaftswachstum, ist ein ernstlich fehlerbehafteter Indikator. 13Das BIP ist im Grunde die Summe der produzierten Güter und Dienstleistungen, wozu alle wirtschaftlichen Aktivitäten zählen, bei denen Geld im Spiel ist. Das heißt also: Die Kosten für die teure Beseitigung von Verschmutzung, die Produktion einer Atombombe oder die Arbeitskosten für die Abholzung von altem Waldbestand werden ins BIP mit eingerechnet und gelten als wirtschaftlicher Vorteil. Andere wirtschaftliche Aktivitäten, bei denen kein Geld fließt, wie zum Beispiel landwirtschaftliche Subsistenzbetriebe (Nahrungsmittelproduktion für die eigene Familie oder Gemeinde), freiwilliger Arbeitseinsatz oder Kindererziehung werden absurderweise überhaupt nicht berücksichtigt. Einen Kilometer mit dem Auto zurückzulegen trägt viel mehr zum BIP bei als dieselbe Strecke zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren, obwohl die letztgenannten Möglichkeiten keine ökologischen Kosten verursachen.
Grundsätzlich bewertet das BIP viele Leben zerstörende Aktivitäten positiv, während es viele Leben fördernde nicht darstellt. Während man die Kapitalabschreibung für Gebäude, Fabriken und Maschinen berechnet, gibt es keine ähnlichen Kalkulationen für die Entwertung des „natürlichen Kapitals“: der Abnahme der Tragfähigkeit der Erde. Oftmals wird Wohlstand künstlich dadurch „produziert“, dass man die Kosten der Zerstörung des wahren Wohlstands der Erde, Wälder, Wasser, Luft oder Böden, verschleiert. So erzeugt zum Beispiel die Abholzung von Regenwald Wachstum, doch niemand berechnet die Kosten der Wohlstandseinbußen für die Lebewesen, Luft, Boden und Wasser, die allesamt vorher von diesem Ökosystem aufrechterhalten wurden. Korten geht sogar so weit zu behaupten, das BIP sei nicht viel mehr als die Berechnung des „Ausmaßes, in welchem wir Ressourcen in Abfall verwandelt haben“ (1995, 38).
Im Film Who’s Counting liefert die feministische Wirtschaftswissenschaftlerin Marilyn Waring ein interessantes Beispiel für die Art von verzerrtem Bild, welches das BIP liefert. Sie macht deutlich, dass die Wirtschaftsaktivität infolge der von Exxon Valdez verursachten Ölkatastrophe an der Küste von Alaska diese Fahrt zu der am meisten wachstumsstimulierenden aller Zeiten gemacht habe. Das BIP rechnete die Kosten für die Reinigungsarbeiten, die Auszahlungen von Versicherungen und sogar die Zuwendungen an „grüne“ Organisationen als Wachstum. Dieser Haben-Spalte stand jedoch keine Soll-Spalte gegenüber. Die Kosten für tote Vögel, Fische und Meeressäugetiere sowie die Zerstörung von herrlicher Schönheit zählten einfach nicht.
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