Mit 14 liest er bereits den legendären Beatnik-Roman ›Unterwegs‹ (›On The Road‹) von Jack Kerouac _2, der im September 1957 erscheint und jahrelang sein Kultbuch bleibt. Das Zentrum der Beatnik _3-Bewegung in North Beach, einem Stadtviertel von San Francisco, liegt nur 45 Busminuten entfernt. Der Buchladen des Autors Lawrence Ferlinghetti mit der Auslage ›verbotener Bücher‹ wird zum Wallfahrtsort für Jim. Begierig verschlingt er sie alle - Kenneth Rexroth, Allen Ginsberg, Kenneth Patchen, Michael McClure, Gregory Corso - und hört dazu die Schallplatten von Oscar Brand und Tom Lehrer. Mit 15 malt der Frühreife Akte im Stil von Willem de Kooning und impressionistische Bilder. Bereits zu dieser Zeit beginnt er, das erste seiner Notizbücher anzulegen, die er immer bei sich trägt und in die er seine Ideen und Gedichte kritzelt, Fotos und Zeitungsausschnitte einklebt. Vieles davon sollte Jahre später in den Songs der Doors und den Gedichten von Jim Morrison wieder auftauchen.
Im Dezember 1958 ziehen die Morrisons nach Alexandria, Virginia, um, und Jim besucht die George Washington High School. Die Familie mietet ein luxuriöses Haus in den noblen Beverly Hills, wo Diplomaten, hohe Militäroffiziere, Senatoren und erfolgreiche Akademiker residieren. Einer von Clara Morrisons Brüdern ist Antiquitätenhändler und stattet das Haus entsprechend aus. Dort lernt Jim seine erste feste Freundin Tandy Martin kennen, die seine seltsamen Allüren faszinierend, andererseits aber abstoßend findet. Er macht sich über Behinderte lustig, schockiert sie mit theatralischen Szenen und Lügen, bringt sie zum Heulen, aber auch zum Lachen und stellt sie permanent auf die Probe: »Ich habe ihn gefragt, warum er ständig diese Spielchen spielt«, erzählt sie heute. »Er meinte, »sonst hättest du bald kein Interesse mehr an mir‹.« Aber sie ist nicht das einzige Testobjekt von Jim. Lehrer, Schüler, Passanten - sie alle werden seine Opfer, wenn er einen seiner Anfälle bekommt und sich aufspielt. Mal erzählt er, er hätte einen Gehirntumor, dann wieder balanciert er auf schmalem Grad über gefährliche Abgründe und Wasser oder turnt auf Balkons herum - eine Angewohnheit, die er das ganze Leben beibehält. Er belästigt Fahrgäste im Bus mit peinlichen Geschichten, bis man ihn an die Luft setzt. Und er macht grundsätzlich das Gegenteil von dem, was man von ihm erwartet. Während sich seine Freunde oftmals für ihn schämen, scheint er selbst keine Schamgrenze zu kennen.
Vielleicht durch den Namen seines Wohnorts angeregt, wird Plutarchs Biografie über Alexander den Großen Jims Lieblingslektüre. Auch sie scheint ihn nachhaltig zu beeinflussen, wenn man an das Image denkt, das er anfangs bei den Doors bewusst pflegt. Die Kopfhaltung und die lockige Haarpracht auf den ersten Fotos aus den Doors-Zeiten erinnern stark an einen griechisch-römischen Adonis. Jims Lehrer erzählen, dass er bereits damals Werke der Weltliteratur von Balzac, Rimbaud _4, Molière, Joyce, Camus, Cocteau und Baudelaire las. Mit den Symbolisten ist er ebenso vertraut wie mit den Existenzialisten. Für seine Schulaufsätze wählt er die ausgefallensten Themen - die Dämonologie des 16. und 17. Jahrhunderts in England oder eine Studie von Burton über die Sexualität der Araber, was einen Lehrer dazu veranlasste, in der Kongressbibliothek in Washington nachzuforschen, ob diese Publikationen überhaupt existieren: »Keiner meiner Schüler hat so viel gelesen wie Jim. Aber alles, was er las, war so ausgefallen, dass ich vermutet habe, er hätte diese Buchtitel einfach erfunden, was aber nicht der Fall war.« Damals beginnt Jim seine ersten Gedichte zu schreiben, die wie das überlieferte ›Horse Latitudes‹ meist vom Wasser und dem Tod handeln. Obwohl Jim ein guter Schwimmer ist, hat er angeblich entsetzliche Angst vor dem Wasser.
Tandy berichtet, dass er schon damals sein Äußeres vernachlässigte, wochenlang mit demselben Hemd herumlief und sich die Haare nicht schneiden lassen wollte. Wenn ihm seine Mutter Geld für Klamotten gibt, kauft er sie bei der Heilsarmee, um den Rest für Bücher auszugeben. Immer wieder gelingt es ihm, den Familienfrieden zu stören und selbst seine Eltern zu Hause in Verlegenheit zu bringen, indem er ihnen etwa vorwirft, wie die Schweine zu schmatzen. Wie so viele überdurchschnittlich intelligente Schüler - Jim hatte einen IQ von 149 - bringt er nur durchschnittliche Noten nach Hause, weil er nicht lernen will. »Du willst ja nur mit meinen Noten in deinem Bridge-Club angeben«, wirft er seiner Mutter vor. Ohne Erklärung fährt er immer öfter nach Washington, wenn ihn Freunde oder Nachbarn im Auto mitnehmen, und verschwindet dort wortlos. Tandy vermutet, dass er damals durch die Bars zog, um sich Bluesmusiker anzuhören. Daheim zieht er sich in sein Parterrezimmer zurück, hört sich Blues- und Gospelplatten aus der Nationalbibliothek an und liest. Wenn er ausgeht, treibt er sich an den Piers von Alexandria bei den Schwarzen herum. Von all diesen Aktivitäten scheinen seine Eltern keine Ahnung zu haben. Sein Vater hält sich meist im Pentagon auf, seine Mutter ist mit ihren Gesellschaftsverpflichtungen vollauf beschäftigt. Jims High-School-Abschluss rückt näher, doch er kann sich für kein College entscheiden. Deshalb schreibt ihn sein Vater am St. Petersburg Junior College in Florida ein und ordnet an, dass Jim bei den Großeltern im nahegelegenen Clearwater wohnen soll. Als er sich weigert, der Abschlussfeier seiner Klasse beizuwohnen, sind seine Eltern überaus erbost.
Wir waren so verdammt korrekt, dass wir in gewisser Weise froh waren, wenn einer sich tatsächlich die Unverschämtheiten erlaubte, die wir uns gerne erlaubt hätten. Deshalb richteten wir uns nach ihm. Er war für uns der Mittelpunkt.
Ein Mitschüler über Jim
Tandy hat sich inzwischen auf den Rat ihrer Mutter hin von Jim zurückgezogen. Ihrer Meinung nach hat Jim in den zweieinhalb Jahren ihrer Freundschaft eine außerordentliche Persönlichkeitsveränderung durchgemacht. Erst am Abend vor seiner Abreise erzählt ihr Jim, dass er nach Florida gehen wird, was zu einem heftigen Streit zwischen den beiden führt, bei dem Jim sie sogar mit einem Messer bedroht. Tags darauf entschuldigt er sich am Telefon, taucht nachts vor ihrem Haus auf und verlangt unter lautstarkem Gegröle die Notizbücher mit seinen Gedichten zurück, die er ihr zum Lesen gegeben hat.
Als Jim Morrison Ende 1960 zu seinen Großeltern Caroline und Paul Morrison nach Clearwater, Florida, kommt, um am St. Petersburg Junior College zu studieren, ist John F. Kennedy bereits als neuer Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Und auch musikalisch gibt es eine kleine Revolution. Am 31. Dezember steigt das schwarze Plattenlabel Tamla Motown _5mit dem Song ›Stop Around‹ von den Miracles in die Top 40 der USA ein, der zum ersten Millionenseller der Plattenfirma wird. Damit wird die unumstrittene Vorherrschaft weißer Künstler erstmals durchbrochen.
Es sieht ganz so aus, als ob in Clearwater die Wurzeln von Jims unmäßigem Alkoholkonsum und seiner späteren Drogenkarriere zu finden sind. Jim kommt mit den strenggläubigen Großeltern nicht zurecht, die überzeugte Antialkoholiker sind und ihren rebellischen Enkel mit Disziplin und Ordnung nerven. Dieser reagiert mit Protest - und dazu gehört auch das provokante Verhalten, wenn es um den Streitpunkt Alkohol und Sauberkeit geht. Demonstrativ lässt er leere Weinflaschen in seinem Zimmer herumliegen, läuft verwahrlost herum, rasiert sich nicht, wechselt nicht die Wäsche und denkt gar nicht daran, sich die Haare schneiden zu lassen oder gar mit den Großeltern die Kirche zu besuchen. Manchmal liest er den Großeltern aus seinen Notizbüchern vor, aber nur, um sie mit seinen Gedichten zu schockieren. Seine Großmutter meint später, er hätte sie aus seinem Leben komplett ausgeschlossen: »Er wollte uns mit Absicht schockieren. Wir haben ihn einfach nicht verstanden, keiner von uns. Jimmy hatte so viele Seiten. Man sah die eine und spürte die andere; was in ihm vorging, wußte man nie.«
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