1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Meine Berechnung und meine Hoffnungen waren nicht irrig; von dem ersten Jahre meines Aufenthalts in Arras ab begann ich das Vertrauen meiner Mitbürger zu erhalten, die mir mehrere Prozesse übertrugen. Obgleich ich vom Parlamente zu Paris als Advokat aufgenommen worden war, mußte ich mich dennoch vom obern Gerichtshofe von Artois bestätigen lassen, was jedoch nur eine fiskalische Zeremonie und darum sehr nach dem Geschmacke der Herren Gerichtsschreiber war.
Der oberste Gerichtshof war eine Appellationsbehörde, deren Bezirk ziemlich ausgedehnt war. Der erste Präsident war zugleich Königlicher Kommissär bei den Pro- vinzialständen und vereinigte auf diese Art zwei Ämter, die bei einer verständigen Einrichtung der gesellschaftlichen Verwaltung hätten getrennt sein müssen, denn die Gerechtigkeit verlangt Unparteilichkeit, Unabhängigkeit als erste Eigenschaften ihrer Vertreter, und die ausübende Macht, jäh und eigensinnig ihrer Natur nach, duldet dieselbe Eigenschaft nicht in ihren Beamten.
Erster Präsident des Gerichtshofes war damals Herr Briois de Beaumetz 18); er hat dieses Amt bis zu dem Augenblicke verwaltet, wo die Nationalversammlung die mannigfaltigen Rangordnungen der Gerichtsbarkeit unterdrückte, um diese letztere nach einem einfachern, gleichförmigen Plane umzuschaffen. Dieser Beamte bewies sich anfangs wohlwollend gegen mich; ohne Zweifel fand er einiges Verdienst in mir und hätte mich gern zu seinem Geschöpfe gemacht. Sein freundliches Benehmen dauerte jedoch nicht lange; mehr als einmal hatte ich Gelegenheit, mich über die Art des Verfahrens der Stände von Artois sowie über die seinige als Königlicher Kommissär auszusprechen. Ich tat es freimütig; ich beschwerte mich über die zahllosen Veruntreuungen dieser Provinzialveziere; ich klagte über ihre Gewalttätigkeiten, über die willkürlichen Bedrückungen, welche sie sich in der Verwaltung ihrer Ämter erlaubten. Es war von meiner Seite freilich nur Gerede. Aber es kam zu den Ohren des ersten Präsidenten, der mich von nun an kaltsinnig behandelte und sich keine Gelegenheit entgehen ließ, mir die Sitzungen peinlich zu machen. Ich frug nichts danach und tat mehr; ich machte, wie ich an seinem Orte berichten werde, im Jahre 1789 eine Denkschrift bekannt, die Herrn von Beaumetz aufs höchste entrüstete und ihn zu meinem erklärten Feinde machte. Ich habe seither mehr als einmal Gelegenheit gehabt, ihm auf meinem Wege zu begegnen, und ich weiß nicht, ob er sich innerlich über den kleinen Krieg freute, den er gegen mich zu führen suchte, als wir beide Mitglieder der konstituierenden Versammlung waren. Es ist eine wichtige Begebenheit in meinem Leben; ich werde darauf zurückkommen.
Zur Zeit, von der ich jetzt spreche, genoß ich noch seines ganzen Wohlwollens; er schien einen lebhaften Anteil an meinen ersten Versuchen zu nehmen und sich über meinen Erfolg zu freuen. Ich plädierte zu wiederholten Malen und empfing die Glückwünsche meiner Richter und, was seltener ist, die meiner Amtsbrüder. Doch war es das nicht, was ich wollte; ungeduldig wartete ich auf die Gelegenheit, welche die Augen des Publikums auf mich richten sollte. Ein sonderbarer Rechtshandel, der mir im Jahre 1783 übergeben wurde, verschaffte mir diese: hier der Tatbestand, der übrigens einige Erörterung verdient.
Franklin 19) war nach Paris gekommen, um bei der französischen Nation um Hilfe für die empörten Amerikaner zu bitten. Die Sache, welche er verteidigte, war so schön, der Geist des Volkes für diesen edlen Schwung der Neuen Welt so günstig gestimmt, daß alle Augen teilnehmend auf den Freund Washingtons gerichtet waren. Die öffentliche Meinung sprach sich mit einer solchen Kraft aus, daß die Minister, zum ersten Male vielleicht, ihr weichen mußten. Die Unterhandlungen Franklins waren von Erfolg: Französische Schiffe und Regimenter wurden ausgerüstet, um die Rechte des Volkes zu verteidigen; ein hochsinniger Enthusiasmus bemächtigte sich der Gemüter; Freiwillige boten sich in großer Zahl für diese ruhmvolle Sache an, und die Freiheit Nordamerikas ward errungen.
Unter der Hülle des Politikers wußten die Franzosen, trotz ihres sorglosen Leichtsinnes, den weisen, den uneigennützigen Freund der Menschheit herauszufinden. Franklin hatte uns für unsere großmütige Gastfreundschaft gelohnt, indem er die Erde unter unserm Freiheitsbaume auflockerte; indem er die Keime ausstreute, die später gereift sind; er lohnte uns noch, indem er Frankreich eine bewunderungswürdige Entdeckung, die Frucht seines beobachtenden Genius, vermachte. Durch die Erscheinungen der Elektrizität war er auf ein eben so einfaches als sinnreiches Verfahren geleitet worden, Gebäude und Schiffe vor dem Blitz zu bewahren. Die amerikanischen Freistaaten nahmen die Anwendungen dieser elektrischen Eisenstangen mit Enthusiasmus auf. Franklin sprach davon mit den Parisern, bezeigte sein Erstaunen, daß ihnen diese heilsame Erfindung noch fremd geblieben sei. Seine Ermahnungen blieben nicht fruchtlos; bald wurde der Eifer allgemein, die Dächer der Häuser, der Paläste wurden mit diesen leichten Blitzableitern versehen.
Die Provinz Artois nahm diese Entdeckung nicht zuletzt auf; aber hier, wie überall, setzte der Geist des Aberglaubens und der Unwissenheit alles in Bewegung, die Bestrebungen der Freunde der Menschheit scheitern zu lassen. Man stellte den leichtgläubigen Gemütern der Landbewohner vor, daß eine solche Erfindung das Werk des Teufels und daß es eine Beleidigung für die Gerechtigkeit des höchsten Wesens sei, Vorsichtsmaßregeln zur Abwendung des Blitzes zu ergreifen, der die erhabenste Offenbarung seiner Macht sei. Diesem religiösen Schrecken fügte man noch die Sprache des immer gern gehörten Privatinteresses hinzu; man behauptete mit einer seltenen Frechheit, daß der Blitz häufiger in die Häuser schlüge, die mit dem elektrischen Drahte versehen, als in die, welche ohne dergleichen wären; und daß, wenn er auch jene Häuser selbst nicht träfe, er dafür die in der Nähe gelegenen verheere. — Diese boshaften Urteile wurden von einigen ununterrichteten Leuten aufgefangen, die bald ihre Widersetzlichkeit deutlich zeigten. Bei folgender Gelegenheit nämlich: Herr von Vissery von Boisvallé, ein reicher Eigentümer von St. Omer, der aus Liebe zu den Naturwissenschaften einige Versuche angestellt hatte, um sich von dem Nutzen der Gewitterableiter zu überzeugen, beeilte sich nach den glücklichen Ergebnissen, einen solchen auf seinem Eigentum anzulegen. Die Nachbarn erschraken, beklagten sich; zuletzt kamen sie bei dem Schöffen von St. Omer um Abschaffung dieses Blitzableiters ein. Große Beratschlagung unter diesen ehrlichen Amtspersonen, die kein Wort von dieser Sache verstanden, sie schlichteten, wie es Richter des 15. Jahrhunderts getan hätten, und Herrn von Vissery verurteilten, die unglückliche Stange herunterzureißen. Herr von Vissery hielt sich nicht für geschlagen; er fragte mich um Rat, und ich forderte ihn auf, zu appellieren, um dieses lächerliche Urteil umstoßen zu lassen. Ich wurde beauftragt ihn vor dem Obergerichtshofe zu verteidigen. Da es sich um einen Gegenstand handelte, der damals alle Gemüter einnahm, so wollte ich die öffentliche Meinung für meine Sache in Anspruch nehmen, weil ich überzeugt war, daß meine Richter, welche Lust sie auch hatten, im alten Geleise zu bleiben, doch fürchten würden, gegen die Meinung zu verstoßen, die bereits zu einer Macht angewachsen war. Ich gab eine Denkschrift heraus, welche ich in Arras und Paris reichlich verbreiten ließ. Ich behandelte darin die gesetzliche Aufgabe, beschäftigte mich aber auch, was eine Neuerung in unserm Provinzialrechte war, zu gleicher Zeit mit der physischen, die ich von allen Seiten untersuchte. Meine Denkschrift fand Beifall und brachte mir schmeichelhafte Briefe von ausgezeichneten Gelehrten ein. Von da an war meine Sache gewonnen und der glückliche Erfolg vor Gericht erleichtert. Der Hof stieß durch seinen Spruch vom 31. Mai 1783 das Urteil der Schöffen von St. Omer um und erlaubte Herrn von Vissery, seinen Blitzableiter wieder aufzurichten.
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