1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Ich weiß nicht, ob diese Art von Gesellschaften, gegründet worden ist, um bedeutende Gelehrte zu bilden; wenn es aber der Fall ist, so haben sie ihren Beruf gar sehr verfehlt. Welchen Akademiker von Dijon, Chalons, Rouen, Amiens, Caen, Lyon, Metz, Nancy hat denn jemals die Unsterblichkeit überlebt, die seine Amtsbrüder ihm bei seinen Lebzeiten verehrt hatten?
Wir dürfen uns nicht täuschen, sie hatten einen andern Zweck, den sie erfüllt haben; den, den Geschmack an den Wissenschaften in der Provinz zu verbreiten, die Literatur daselbst zu Ehren zu bringen, Ackerbau und Künste blühend zu machen. In dieser Beziehung sind sie frei von aller Lächerlichkeit und verdienen unsere Anerkennung. Nehmt diesen arbeitsamen, überdies aufgeklärten Männern die törichten Anforderungen ihrer Eigenliebe; betrachtet sie nur als das Echo alles Herrlichen, was die französische Literatur darbietet, als das Echo, welches sich über ganz Frankreich ausdehnt und in das Ohr des Volkes übertönt; dann habt ihr den rechten Maßstab für ihre Dienste.
Die Provinzialakademien waren also eine gute Einrichtung. Sie haben vielleicht mehr Nutzen gestiftet, als man auf den ersten Blick glauben sollte. Denn es ist in erster Linie ihnen zu danken, daß die öffentliche Meinung sich mit der Literatur beschäftigte. Und von da bis zu einer öffentlichen Meinung über Politik ist nur ein Schritt. Die Männer, die den Kampf, um Fragen rein literarischer Natur entfesselten, haben es sich sicher nicht träumen lassen, daß sie damit auch den Streit um weit schwerer wiegende Gegenstände förderten. Aber es ist ja das Schicksal unserer Pläne, daß wir nur selten das ersehnte Ziel erreichen, ohne daneben auch Ereignisse zu zeitigen, an die wir nie gedacht hatten
Jetzt wären diese Provinzialakademien eine Überfülle von Segen, wenn sie nicht zugleich gefährlich wären. Ich sehe nicht, wozu selbst die Académie fransaise, diese aristokratische Spitze unserer Literatur dienen soll. Im allgemeinen erkenne ich nur das für gut an, was der Mehrheit der Bürger nützt; eine weise, im Sinne der Wohlfahrt aller eingerichtete Regierung darf nur solche Körperschaften anerkennen, fördern oder gar belohnen, die sich das Wohl der Allgemeinheit und den Nutzen des Individuums zum Grundsatz gemacht haben. Dürfen wir das aber jetzt von den Akademien erwarten?
Als man die Menschen zur Aufklärung treiben und ihnen dazu das Lockmittel einer leichtfertigen Literatur vorhalten mußte, waren sie nützlich, sie hatten einen Beruf, den sie erfüllt haben. Aber darf man jetzt noch jenen alten Götzenbildern der alten Verfassung Altäre errichten, Lieder und Witzworte widmen, kurz das zu Ehren bringen, was die Sittlichkeit, die Würde einer großen Nation verwirft? Wie? wenn die Rednerbühne des Volkes von den wichtigsten Gegenständen widerhallt, während man über Krieg und Frieden verhandelt und Weltenschicksale erörtert, sollen vierzig Personen eine lächerliche Versammlung halten, um den Gehalt einer Phrase abzuwiegen, einen Satz zu runden, schmeichlerische Verse zu messen? Nein! der Franzose soll lesen können; seine Einsicht sei frühzeitig durch die Bekanntschaft mit den großen Schriftstellern ausgebildet, die sich mit den Rechten und dem Glücke des Menschengeschlechts beschäftigt haben; er gewöhne sich an die ernsten Verhandlungen unserer beratenden Versammlungen; er verachte als eine geistige Erholung die Erbärmlichkeiten der Dichtkunst, die knechtischen Formen der akademischen Schreibart; er verbanne die Dichter, die ihre Muse nicht dem Vaterlande widmen, und die Lobredner des Hofes unter Gaukler und Histrionen, an denen man sich manchmal ergötzt, aber die man immer verachtet.
Ich will nicht behaupten, daß die Ansicht, welche ich hier aufstelle, genau dieselbe ist, welche ich 1783 hatte, aber ich weiß, daß ich schon damals keine besondere Achtung für die Akademien fühlte. Als Herr von Fosseux, der damals Präsident in der Akademie von Arras war, mich fragte, ob ich mich nicht wollte vorschlagen lassen, scherzte ich anfangs über diesen Antrag, da wir uns bereits in unsern heimlichen Zusammenkünften oft auf Kosten der würdigen Versammlung lustig gemacht hatten. Mein Entschluß war jedoch bald gefaßt, ich sagte zu.
Ich darf, ohne mich zu schämen, die Beweggründe eingestehen, die mich dazu bestimmt haben: es war eine Berechnung von meiner Seite, aber diese Berechnung entsprang aus einem edlen Ehrgeize aus einer glühenden Liebe zum Vaterlande. In der Akademie zu erscheinen, um dort als Schriftsteller zu glänzen; für den Intendanten, den Bischof, den Minister, den König ein zeitgemäßes Kompliment auszuarbeiten und dies besser oder weniger schlecht zu machen als meine ehrwürdigen Kollegen: das war freilich die Rolle nicht, zu der ich mich berufen fühlte. Ich strebte nach einer ruhmvollern Bestimmung; mein Name sollte unter meinen Mitbürgern so volkstümlich werden, daß zur Zeit der Wiedergeburt aller Augen sich gerade auf mich wenden mußten. Alles, was mich zu diesem Ziele führen konnte, schien mir wünschenswert. Die Akademie war schon eine Erhöhung, und ich war überzeugt, daß eine gute Zahl wackerer Leute mich höher achten würde, wenn ich zu ihr Zutritt gefunden hatte.
Ich wurde demnach von Herrn von Fosseux vorgeschlagen, und am 15. November 1783 nahm mich die Versammlung in ihren Schoß auf. Kein Haß war bis jetzt gegen mich aufgeregt; viele, welche die Geradheit meines politischen Lebens seither zu meinen Feinden gemacht hat, beeiferten sich, mir ihre Stimme zu geben und bezeigten mir ihre Freude, mich als Kollegen zu haben.
Der Gebrauch verlangte, daß der neugewählte Akademiker in einer öffentlichen Sitzung aufgenommen werde und eine Rede hielt. Seit der Neuerung, die Voltaire bei der Académie fransaise eingeführt, hatten sich auch einige Kandidaten in der Provinz erlaubt, das eingetretene Geleise zu verlassen und in ihren Antrittsreden, statt sich in pomphafte Lobeserhebungen eines abgeschiedenen Mitgliedes, des Stifters, der Verwalter zu versenken, interessante Gegenstände zu behandeln; dieser Gebrauch sprach meinen Geist zu sehr an, als daß ich ihn nicht angenommen hätte. Meine Rede drehte sich durchaus um das Vorurteil, welches die Schmach die auf der Todesstrafe ruht, auch auf die Verwandten des Verbrechers überträgt. Trotz der Kühnheit und Neuheit meiner Ansichten fand ich Beifall.
Diese Arbeit war nur der Auszug einer viel ausführlicheren, die ich soeben, und zwar bei folgender Gelegenheit, vollendet hatte.
Seit der bekannten Abhandlung Rousseaus, welche von der Akademie zu Dijon gekrönt wurde, hielten die Provinzialakademien es für eine Ehrensache und suchten dadurch mit der Hauptstadt selbst zu wetteifern, daß sie Probleme zur Diskussion stellten, welche die Aufmerksamkeit erwecken und die geschicktesten Ringer auf den Kampfplatz rufen sollten. Auf diese Art haben La Harpe, Chamfort und viele verdienstvolle Schriftsteller es nicht verschmäht, bei unbedeutenden Akademien sich um einen Preis zu bewerben und Kronen zu gewinnen. Die Mode mischte sich darein: man stritt sich um die Rose des Blumenspiels von Toulouse 25), um eine Medaille von La Rochelle. Der Merkur 26) zeichnete die Namen der Sieger auf, und für die Jugend war das schon ein Weg zum Ruhme.
Die Wahl der Gegenstände war nicht immer glücklich; aber da die Richtung zu dem Studium der Philosophie und der Staatswissenschaften in Frankreich damals vorherrschend war, da die wichtigsten Fragen täglich in Gesellschaften und Versammlungen in Anregung gebracht wurden, mußte die Literatur notwendigerweise den Charakter der Gesellschaft selbst annehmen und würdevoll, ernst werden.
Die Königliche Gesellschaft der Künste und Wissenschaften zu Metz hatte die Blicke auch auf ihre Arbeiten lenken wollen. Sie hatte zur Preisbewerbung folgende Fragen aufgestellt, über die im Jahre 1784 entschieden werden sollte: 1. Woher entspringt die Meinung, welche über alle Glieder einer Familie einen Teil der Schande verbreitet, die an den entehrenden Strafen eines Verbrechens klebt? 2. Ist diese Meinung mehr schädlich als nützlich? 3. Welcher Mittel bedarf es, die Bejahung dieser Frage vorausgesetzt, um den daraus hervorgehenden Übelständen vorzubeugen?
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