1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Dieser Prozeß gründete vollends meinen Ruf und breitete ihn selbst über den Bezirk meiner Geburtsstadt aus; der Kardinal Rohan, der übrigens ein eifriger Anhänger alles Neuen war, ließ sich schriftlich bei mir für die Zusendung meiner Druckschrift bedanken; er war für die Entdeckung Franklins ebenso voller Enthusiasmus, wie er es für Mesmers 20) wunderbaren magnetischen Kasten und für die Zaubereien Cagliostros 21) gewesen war. Bei einer Geistesrichtung, wie die seinige, findet man spät oder früh notwendigerweise einen Betrüger, von dem man geprellt wird 22).
Mein Geschäftszimmer bekam Zulauf; die Arbeiten nahmen überhand, ich hatte mich eines glücklichen Lebens zu freuen; meine Schwester wohnte bei mir und bewies mir, worin sie nie aufgehört hat, die zärtlichste Zuneigung. Ihr sanfter, hochherziger Sinn, ihre duldsame, aufgeklärte Frömmigkeit, die Reinheit ihrer Sitten hatten ihr Ansehen und Achtung bei allen ihren Bekannten verschafft und machten sie mir von Tag zu Tag teurer. Einige geistesverwandte Freunde bildeten unseren engeren Kreis. Ihrer unbedingten Vertrauenswürdigkeit durfte ich alle Ideen offenbaren, die in meinem Kopfe gärten; und bald bildete sich, sei es, daß ich ihrer Überzeugung folgte, sei es, daß dieselben Betrachtungen zu ähnlichen Schlüssen führten, eine völlige Gleichheit der Ansichten über politische Gegenstände unter uns.
Aus der Zahl derer, welche meine gewöhnliche Gesellschaft bildeten und am meisten mit mir übereinstimmten, muß ich die beiden Gebrüder Carnot hervorheben, welche vermöge der Vollmacht, die sie von den Wählern des Pas-de-Calais erhalten hatten, jetzt an der gesetzgebenden Versammlung teilnehmen. Beide zeichneten sich damals als treffliche Genieoffiziere durch eine Vaterlandsliebe aus, die sich niemals verleugnet hat. Der älteste, ein Mann von hervorragenden Verdiensten, hat über die Befestigungskunde eine bemerkenswerte Schrift herausgegeben. Seine gegenwärtigen Arbeiten beweisen, daß er in allen Zweigen der Kriegskunst gründlich erfahren ist, und daß man nicht General gewesen zu sein braucht, um eine Armee kommandieren zu können. Daß Carnot aber auch sehr hübsche Verse, selbst Liebes- und Trinklieder macht, wird das große Publikum, das ihn nur als den mit ernster Würde auftretenden Verwalter der öffentlichen Angelegenheiten kennt, vielleicht nie erfahren. Mein ehemaliger Professor der Rhetorik, Fosseux, befand sich zu dieser Zeit in Arras; im Kollegium hatte er sich für verpflichtet gehalten, seine patriotischen Meinungen, die dort nicht gang und gäbe waren, zu verbergen; als er aber wieder frei war, benutzte er auch sein Recht, wieder zu denken und in dem Kreise einiger Freunde seine nichts weniger als monarchischen Ideen zu propagieren. Er war ein hervorragender Schriftsteller, gleich begabt für Prosa wie für Verse, und die Akademie von Arras, der er angehörte, besaß kein glänzenderes Mitglied als ihn.
Unsere gewöhnlichen Zusammenkünfte mit den eben genannten Personen und einigen andern jungen Leuten, die die gleichen Ideen vertraten, wurden immer häufiger; um ihnen ein Siegel aufzudrücken und einen feierlichen, geheimnisvollen Charakter zu verleihen, der schwachen Geistern imponieren könne, hatte ich den Gedanken, aus unserer Gesellschaft eine Art Freimaurerloge zu bilden. Diese Art Vereine war damals geduldet, oder die Behörden druckten doch wenigstens ein Auge zu, um die Gefahr nicht zu sehen, die ihnen von dieser Seite drohte.
Schon der Name der Gesellschaft, die wir errichteten, war eine bittere Ironie. Man nannte sie die Gesellschaft der Rosati, als ob wir die aufgerufen hätten, welche mit rosenbekränzter Stirn in berauschendem Wohlgeruche schwelgen und nachlässig zum Feste gelagert, den Becher an die Lippen setzen und keine andere Sorge kennen als die, ihre Gelage zu verlängern und ein neues Bankett an das eben geendete anzuschließen! Aber nein, es war kein Aufruf an entnervte Schwelger — es war eine Verschwörung gegen sie.
Unsere Gesellschaft war nur zum Schein ausgelassenen Zusammenkünften gewidmet, man sang die unschuldigsten Lieder von der Welt, denn der Gott des Weines, die Göttin der Liebe, die Grazien, die Nymphen, Sylen, und was weiß ich, der ganze mythologische Troß mußte der Reihe nach herhalten; man hätte uns für die fröhlichen Schüler Collés halten können, und ich glaube wahrhaftig, wir hätten ihm Ehre gemacht. Der muntere Ton, der sich am wenigsten der Empörung nähert, ward ohne Schwierigkeit an unserer Tafel zugelassen. Ich erinnere mich in dieser Hinsicht eines Liedes von Carnot, es heißt, glaub’ ich, die Denn und die Aber, das in seiner Art ein kleines Meisterstück war; nur mußte er es nicht selbst singen; so sehr er sich anstrengte, er konnte aus seinem Ernste nicht herauskommen. Auch ich lieferte meinen Beitrag, zwar nur armselige Kleinigkeiten, aber ich erwähne ihrer, um denen, die ein wildes reißendes Tier aus mir gemacht haben, zu zeigen, daß ich niemals Feind einer unschuldigen Freude war, und daß auch ich mich aufheitern konnte. Aber dies war nur der scheinbare Zweck unserer Gesellschaft; wir hatten noch andere Sachen zu tun, als zu trinken, zu essen, zu singen. Die Eigenschaft eines Bürgers, deren Wert wir vollkommen fühlten, legte uns ganz andre Pflichten auf. An bestimmten Tagen kamen wir zusammen, um uns über die wichtigsten Gegenstände zu besprechen. Anfangs beschäftigten uns die Theorien; die Schriften der Philosophen, besonders die Rousseaus, boten uns deren eine große Anzahl, die zu großen Auseinandersetzungen führten. Darauf suchten wir die Mittel auf, welche den Bürgern zum Handeln freigelassen waren, um sich von einer nicht mehr zu ertragenden Lage loszumachen und der guten Sache und der Wahrheit den Sieg zu verschaffen. Als später für die Gewalt der Horizont sich verfinsterte, für das Volk aber aufklärte, brachten wir Streitsachen von dem regsten Interesse vor: über das Recht, Kopf für Kopf zu stimmen, die Verdoppelung des dritten Standes 23) und die Befugnisse der Generalstaaten. Da wir wenig Zutrauen zu den Grundsätzen der Staatsbeamten hatten, so setzten wir unter der Hand die Angriffspläne fort, die den Volks- rechten den Triumph sichern sollten, und bestrebten uns, unsern Mitbürgern die kraftvolle Vaterlandsliebe einzuhauchen, die in uns glühte; der Erfolg krönte unsere Bemühungen, die Mehrheit der Abgeordneten von Artois verteidigte in der Nationalversammlung die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit.
Unter den zahlreichen Ursachen, denen man den einmütigen Trieb des französischen Volkes nach seiner Wiedergeburt zuschreiben darf, sind, glaube ich, auch die Gesellschaften von großer Wichtigkeit, welche sich, nach Art der unsrigen, durch das ganze Reich verbreitet, gleichzeitig die Massen aufgeregt und eine große Anzahl Menschen an die Staatsgeschäfte gewöhnt haben. Freilich war der Weg noch weit von da bis zu unserm Jakobinerklub 24), seiner widerhallenden Rednerbühne und seinem überwiegenden Einflüsse auf unsre Versammlungen; aber es offenbarte und erhielt sich hier doch wenigstens das Bedürfnis der Tätigkeit, in welcher das Leben der freien Staaten besteht; hier bildete sich der Gemeingeist. Bei dem Charakter unserer Nation, die Widerstand anregt, Genuß ermüdet, mußten diese geheimnisvollen Gesellschaften bewundernswürdige Ergebnisse hervorbringen.
Wir hatten in Arras eine Akademie, wie es deren in jeder bedeutenden Stadt Frankreichs gab. Die unsrige war nicht besser, aber auch nicht schlechter als die übrigen in der Nachbarschaft, das heißt, sie bestand aus sehr wackern Leuten, als Kanonikern, Ärzten, Advokaten, Richtern, hohen Beamten, welche einmal wöchentlich zusammenkamen, um sich gelinden Beifall zu geben und sich untereinander bei verschlossenen Türen eine kleine Berühmtheit zu verleihen; übrigens war kein einziger Gelehrter dabei, und zwar aus dem einfachen Grunde, daß ein ausgezeichneter Gelehrter, der sich einzig und allein dieser Aufgabe gewidmet hätte, nicht in Arras geblieben wäre, sondern in Paris Ruhm und Vermögen gesucht haben würde. Dieser Mangel an hervorragenden Köpfen war nicht unserer Akademie bloß eigentümlich, sie hatte denselben mit allen Provinzialakademien gemein.
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