»Wenn es nur gelänge, ihre Sämlinge zu finden und sicher über den Ozean zu bringen …« Der Europäer murmelte mehr vor sich hin, als dass er zu den Anwesenden sprach. »Vielleicht könnten sie in einer Orangerie gedeihen. Die Apotheker würden mir die Quinarinde aus den Händen reißen. Ja, es wäre etwas, was die Leute vom Sinn der Expedition überzeugen würde. Auch wenn sie keine Ahnung haben.«
George übersetzte zwar die Worte des Mannes, doch so recht begreifen wollte Ife nicht.
Coba, die die ganze Zeit über geschwiegen hatte, bedachte ihn mit einem halb missbilligenden, halb erstaunten Blick. »Man kann einen Baum des Waldes nicht verpflanzen, Mister, er kann nur dort wachsen, wo sein Same zu Boden fällt. Der Kräuter und des Zuckerrohrs, derer nimmt sich die fremde Erde an, aber ein Baum will sich von anderen Bäumen umschmeichelt wissen. Aber ich bitte Sie, mir eine Sache zu sagen: Werden die Menschen in Ihrer Heimat nicht vom wechselhaften Fieber gequält?«
»Doch, das Fieber steigt auch in Europa aus manch fauligem Sumpf auf. Aber in den Tropen ist es weit verbreiteter als in den nordischen Lüften. Aber wer es einmal in sich trägt, bringt es mit von seiner Reise. Das Verpflanzen der Bäume lass getrost meine Sache sein, es ist schon anderen, weniger geschickten Botanikern gelungen. Aber ob sie mir den Export von Quina genehmigen würden?« Den letzten Satz sprach er wieder zu sich, warf dann einen sehnsüchtigen Blick hinaus.
»Wir müssen von dieser Plantage weg, sie birgt nur Monotonie und Dummheit. Da draußen liegt ein Reichtum an Pflanzen, der nur auf den ersten Blick unbeschreibbar ist. Wir müssen nun bald die Expedition zusammenstellen. Wir brauchen Indios, die uns über die Flüsse navigieren und uns den Weg durch den Wald weisen. Oder wir brauchen ein paar Mann von diesen Entlaufenen, diesen Buschnegern, die zwar ungebildet sind, aber sich doch in dieser Wildnis nach den Indios am besten auskennen. Wie gerne möchte ich in dieses Gebirge vordringen, diese unglaublichen Plateaus sehen, von denen La Condamine berichtet hat.« Die drei Sklaven standen etwas ratlos um seinen Tisch herum. Wen mochte er nur mit »wir« meinen?
Alle vier harrten eine ganze Weile schweigend aus. Ife schickte hilfesuchende Blicke zu Coba, deren Gesicht jedoch eine geschnitzte Maske war, die keinen Gedanken an die Oberfläche ließ. Coba, bitte erklär mir, was hier los ist, Coba, bitte führe mich an einen Ort, wo wir alleine sein können und ich dir von Adjoa und den anderen Waldleuten erzählen kann. Lass mich dir Adjoas Botschaft verkünden, auf dass ich wieder in diesem Wald verschwinden kann, für immer diesmal, solange immer auch währen mag.
»Wir müssen sie abliefern«, sagte der Mister schließlich zu George. Dann wandte er sich an Coba: »Ich brauche dich heute nicht mehr. Du kannst gehen.«
Nein, schrie Ife innerlich auf, du kannst sie nicht fortschicken, meine einzige Beschützerin, nicht bei dem, was mich erwartet.
Coba sagte nichts, sondern ging ohne einen Blick zurück langsamen Schritts aus der Hütte. Ife war erstaunt, wie sehr ihre Beine über den Boden schleiften. Ob es an dem lag, was sie Coba angetan hatten?
Wieder umklammerte George Ifes Arm, wieder gingen sie auf das weiße Herrenhaus zu, doch diesmal tat ihr der Mister nicht den Gefallen, daran vorbei zu laufen. Stattdessen nahm er die Treppe auf die hölzerne Veranda, die unter den ungewohnten Tritten ein hohes Quietschen von sich gab. Er bedeutete George, mit Ife am Fuß der Treppe zu warten. Ein schwarzes Mädchen öffnete die Tür einen Spalt breit, sah den Rotgesichtigen und winkte ihn ins Haus.
War nun nicht die Gelegenheit, sich mit George zu verbünden und zu laufen, so schnell die Beine sie tragen konnten? Komm, würde Ife ihm sagen, ich weiß, wo wir in Freiheit leben können, komm, diese Gelegenheit bietet sich nicht wieder. Doch sie vertraute George nicht, sein Klammergriff war auch in der Abwesenheit des Misters zu fest, seine Augen waren mitleidlos geblieben, seit sie ihm über den Weg gelaufen war. Ife beschloss zu schweigen und auf ihr Schicksal zu warten.
Stimmen drangen aus dem geöffneten Fenster, die des Misters, des fremden Misters und später noch eine dritte, die Ife als Pieters erkannte, und ihr Magen zog sich krampfartig zusammen.
»Ich kann sie nicht ungestraft lassen«, hörte sie den Mister sagen, »schon allein aus Prinzip. Wenn die anderen mitbekommen, dass sie zurückgekehrt ist, und es ihr gutgeht, kommen sie auf dumme Ideen. Schlimmer noch, wenn sie ihnen den Weg zu den Cimarrones verrät.«
»Einen guten Preis zahlen«, glaubte Ife aus den Worten des anderen auszumachen. Es wurden Zahlen ausgetauscht, dann beendete der Mister den Handel mit: »Gut, so soll es sein. Sie können sie morgen haben. Doch nur unter zwei Bedingungen: Sie muss öffentlich bestraft werden und sie darf kein Wort mehr mit den anderen Sklaven reden. Auch nicht mit der Alten. Sollte sie reden, muss ich ihr die Zunge herausschneiden.«
Der fremde Mister protestierte, sagte etwas von »brauchbar bleiben« und »sonst kein Geld«.
»Pieter, hast du verstanden, was zu tun ist?«, fragte der Mister in den Raum.
Mochten ihre Winti ihr beistehen.
Alles schmerzte. Sie konnte nicht stehen, aber auch auf keiner Seite ihres Körpers liegen, als ihr Peiniger sie zu Füßen des Misters warf. In ihren Ohren war nichts als Rauschen, der Mister und Pieter bewegten dazu stumm die Lippen. Sie schloss die Augen, denn sie mochte nicht länger die Stiefel des Misters betrachten.
Dann drang auf einmal die wütende Stimme des Fremden an ihr Ohr. Er beugte sich über sie, hob einen ihrer Arme an und ließ ihn wieder fallen. Der Arm war ein lebloser Gegenstand, der nicht zu Ife gehörte. Er schimpfte weiter, sagte wohl, dass er betrogen worden war. Dann hob jemand Ife auf seine Schultern und trug sie unter heftigem Schnaufen fort. Es war George, der Sklave des Fremden. Er brachte sie zu der Hütte mit den seltsamen Gerätschaften und den schweren Büchern. Jemand hatte eine Strohmatte zwischen die Utensilien gelegt, auf die der Junge Ife nun ablegte.
»Coba wird gleich kommen und dich versorgen«, sagte er nur. Es waren die ersten Worte, die er direkt an Ife richtete. Coba, aber ich darf doch nicht mit ihr reden, dachte Ife noch, dann versank sie in den Schlaf, die einzige Flucht, die ihr blieb.
Sie erwachte von einer feuchten Berührung. Coba war im Schein eines Talglichts über sie gebeugt und versorgte die schlimmsten Wunden mit Umschlägen aus feuchten Blättern.
»Coba, ich muss fantasieren«, flüsterte Ife, »eine Leiche ist es nicht wert, ihre Wunden zu versorgen.« Sie stöhnte und schloss die Augen, doch aus dem Dunkel kam Cobas raue Stimme.
»Der Schwede hat dich retten lassen. Er war sehr böse über deinen Zustand. Du sollst ihn auf seiner Expedition in den Wald begleiten, es hat ihn beeindruckt, dass du dort drei Wochen überlebt hast. Er möchte bald losgehen, deswegen soll ich dich so schnell wie möglich wiederherstellen, obwohl der Mister verboten hat, dass wir miteinander reden. Aber der Schwede hat gesagt, wenn ich dich nicht behandeln dürfte, dann würde er den vereinbarten Preis nicht zahlen. Der Mister hat eingewilligt, denn er hat Angst, du würdest die anderen aufwiegeln, wenn du hierbleibst.«
»Ich habe im Wald eine Frau getroffen, die Adjoa heißt«, sagte Ife. »Sie ist sehr stark und sieht jünger aus als du. Ihr Gesicht ist wie poliertes Holz. Sie war es, die mich mit den Blättern zu dir geschickt hat.«
Coba legte schweigend weitere Umschläge auf Ifes Körper. Sie presste fest die Lippen aufeinander, doch sie konnte nicht verhindern, dass es um ihren ganzen Mund zuckte.
»Was ist? Freust du dich nicht, dass deine Schwester am Leben ist?«
»Das Miststück! Nur um mir ein paar Pflanzen zu schicken, bringt sie dein Leben in Gefahr? Wenn sie mir etwas zu sagen hat, hätte sie selber kommen müssen.«
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