1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Es dauerte einige Monate, bis ich mit einem Lächeln daran zurückdenken konnte – nicht nur wegen des „Unglücks“, das meinem wertvollen Staubsauger widerfahren war, sondern auch wegen der Heftigkeit, mit der ich „durchgedreht“ war. Es war nicht das einzige Mal, doch daran erinnere ich mich besonders gut – wegen der Intensität meines „Ausrastens“. Das hatte auch damit zu tun, dass ich den Mann verlor, der jahrelang mein Partner war, der so vieles so gut konnte und inzwischen jemand ist, der alle Dinge auseinandernimmt, wenn ich nicht hinsehe.
In dieser Zeit hatte ich Schlafprobleme, kam nicht zur Ruhe und konnte nicht durchschlafen. Oft war ich um 5 Uhr morgens schon wieder wach und meine Gedanken kreisten um die Vergangenheit und die Zukunft und darum, ob ich etwas hätte ändern können, wenn ich die Krankheit früh genug entdeckt hätte.
Gartenarbeit
Steve hat immer gerne im Freien gearbeitet und überall da, wo wir wohnten wunderbare Gärten angelegt. Als die Alzheimerkrankheit ausbrach, verlor er das Interesse und unser Garten verwilderte. Doch er wollte nicht, dass ich eine Hilfe engagierte, und bestand darauf, alles selbst zu machen. Also arbeiteten wir gemeinsam und ich stellte fest, dass Gartenarbeit mir Spaß machte. Ich musste jedoch immer mehr übernehmen, denn Steve konnte es gar nicht mehr. Er konnte auch den Rasen nicht mehr mähen, denn er verlegte die Teile seines Traktormähers. Wir mussten „vorübergehend“ einen Mähdienst kommen lassen, den er heftig kritisierte. Innerhalb eines Jahres hatte sich sein Zustand erheblich verschlechtert; das frustrierte uns und stimmte uns traurig.
Nachdem wir mit der Ernährungsbehandlung angefangen hatten, wollte Steve wieder selbst mähen; wir ließen den Traktor reparieren und er schaffte es nach mehreren Jahren wieder selbst – voller Stolz. Dabei spielte es keine Rolle, dass der Rasen nicht mehr so gleichmäßig und ordentlich gemäht war wie früher. Er hat inzwischen auch aufgehört, an dem Mäher herumzubasteln.
Der Umgang mit der Depression
Im Winter 2008 waren es mindestens 8 Jahre, dass Steve mit einer Depression lebte. Seine frühen Gedächtnisprobleme wurden ihr zugeschrieben, doch Antidepressiva nützten nichts. Die Probleme wurden immer schlimmer und er musste die Nebenwirkungen der Medikamente auch noch ertragen. Er konnte zeitweise überhaupt nichts mehr tun, saß nur stundenlang in seiner Garage und brachte nichts zustande. Die meiste Zeit über war er traurig, zog sich von den Menschen zurück, wurde sehr still und man sah ihn selten lachen oder lächeln.
Das ging sogar so weit, dass er von Selbsttötung zu sprechen begann: Eine Stimme wie seine eigene (doch sie klang manchmal auch wie die seines Vaters, so erzählte er) sage ihm, sein Leben sei sinnlos geworden. Sein Psychiater verschrieb ein zusätzliches Antidepressivum; damit und mit regelmäßigen Therapiegesprächen hellte sich seine Stimmung auf; er sagte, „die Stimme“ sei weg, aber er war weit davon entfernt, glücklich zu sein.
KAPITEL 3
Auf der Suche nach klinischen Studien
Im März 2008 ließen wir Steve am Alzheimer-Institut von Tampa wieder einmal „begutachten“; außerdem hielt ich Ausschau nach neuen Studien, an denen er teilnehmen konnte. Damals gab es keine Studien mit Medikamenten, doch ich meldete ihn zu einer von den amerikanischen Gesundheitsbehörden finanzierten und am Alzheimer-Forschungsinstitut durchgeführten Studie an, die eine umfangreiche jährliche Untersuchung vorsah: mit ausgedehnten Gedächtnistests, Feststellung des Verhaltens im alltäglichen Leben, mit Evaluierung bezüglich Depression, körperlicher Untersuchung, Blutbild und Kernspintomografie. Man trat dort auch mit der Frage an uns heran, ob wir Steves Gehirn zu wissenschaftlichen Vergleichszwecken zur Verfügung stellen würden. Er war dazu noch nicht bereit, wollte jedoch darüber nachdenken.
Wir fuhren ziemlich bestürzt wieder nach Hause, denn es sah nach einer düsteren Zukunft aus und es bestand wenig Hoffnung, dass es für meinen Mann noch rechtzeitig ein wirksames Medikament geben würde. Die Ergebnisse der Kernspintomografie waren noch deprimierender ausgefallen; gegenüber der letzten, die ein paar Jahre vorher gemacht worden und normal gewesen war, zeigte sie einen erheblichen Schwund des Gehirns in den der Alzheimerkrankheit zugeordneten Arealen Hippocampus und Amygdala an: Auf der einen Seite waren sie mäßig, auf der anderen Seite schwer betroffen. Ebenfalls atrophiert war die Großhirnrinde (in der die höheren Gehirnfunktionen angesiedelt sind), und die Hirnkammern (die die Cerebrospinalflüssigkeit enthalten) waren vergrößert. Es war auch zu einem Schwund des normalerweise dort vorhandenen Hirngewebes gekommen. (Jedes Körperorgan kann atrophieren, wenn Zellen aufgrund mangelnder Blutversorgung, mangelnder Energieversorgung oder mangelnder Nutzung absterben.)
Es war klar, dass bei Steve „alles zu spät war“, wie wir unter uns Ärzten oft sagen. Er war immer weniger der Steve, den ich geheiratet hatte, und wurde immer mehr zu einer „Kreuzung“ aus einem gebrechlichen älteren Mann und einem Zweijährigen, jedoch ohne dessen Energie. Ich musste mir ständig Gedanken darüber machen, wo er war und was er gerade machte. Wenn er das Zimmer verließ und längere Zeit nicht wiederkam, suchte ich ihn und fand ihn meist, wie er seinen Schrank, die Garage oder die Schubladen seines Waschtischs nach etwas durchsuchte, aber nicht mehr wusste, was es war. Ein Gedicht von Lois Walsh beschreibt sehr schön die „Zweideutigkeit“, von der die Alzheimerkrankheit begleitet wird: Für ihn ist sie ein ungebetener Gast, der sich zunächst schlau wie ein Fuchs in sein Haus einschleicht und allmählich, aber bestimmt alles wegnimmt, die Persönlichkeit des betroffenen Menschen, der da und doch nicht da ist, dessen Selbst täglich ein Stück mehr verloren geht. Er schreibt über seine Schuldgefühle, dass es nicht ihn trifft, dass er loslässt und durchhält und versucht, mit dieser Zweideutigkeit zu leben.
Zwei neue Studien mit Medikamenten
Ein paar Monate später stieß ich auf die Ankündigung einer klinischen Studie mit Bapineuzumab (einem neuen Impfstoff), an der sich das Alzheimer-Institut beteiligte. Eine Internetrecherche ergab, dass Steve alle Voraussetzungen für die Teilnahme erfüllte.
Laura, eine der Forschungsassistentinnen, bei der wir uns zum Eignungstest einfanden, gestaltete den Prozess der Vorauswahl sehr angenehm und klärte uns über das neue Medikament auf, das in unterschiedlichen Abständen intravenös verabreicht werden würde. Eine vorherige Studie mit einem Impfstoff war abgebrochen worden, da bei einigen Probanden Entzündungen im Gehirn auftraten. Doch dieser war ein anderer, der auch Beta-Amyloide aus dem Gehirn entfernt, jedoch über einen anderen Mechanismus. Beta-Amyloid ist ein Protein, das normalerweise im Körper hergestellt wird, dessen Funktion man aber noch nicht ganz versteht. Wenn es sich im Übermaß im Gehirngewebe ansammelt, bildet es dichte Plaques, die ein Kennzeichen von Alzheimer sind. Sie scheinen toxisch auf die Gehirnzellen in der Umgebung zu wirken und die Kommunikation zwischen ihnen zu stören. Wir erfuhren auch, dass etwa 40 Prozent der Probanden ein Placebo erhalten würden, ein bei Medikamentenstudien typisches Vorgehen, das den Forschern erst ermöglicht, die Wirksamkeit und Sicherheit des Medikaments zu ermitteln. Mit der Einverständniserklärung für den Eignungstest kam Steve überhaupt nicht zurecht. Er sollte jede Seite abzeichnen und mit dem Datum versehen, wusste aber von Seite zu Seite nicht mehr, was er tun sollte, weder, wo er unterschreiben sollte, noch, welches Datum wir hatten. Man musste alles Schritt für Schritt mit ihm zusammen machen.
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