Alles an ihm wirkte anklagend: die geschürzten Lippen, die haselnussbraunen, um den Schlaf betrogenen Augen, die unattraktive Schlafanzugshose mit dem verwaschenen Streifenmuster und die Lederpantoffeln, die seine Schritte unhörbar gemacht hatten.
Sie hatte sich sorgfältig abgetrocknet und geschminkt. Mit einem hohen Geräusch im Kopf, das von Schläfe zu Schläfe reichte und ihre Empfindungen betäubte, war sie stumm durch die Wohnung gewandert, den Kästchenmann an ihrer Seite. Ihr Zeigefinger auf den Lippen verhinderte, dass er das Wort an sie richtete. Sie würde ihm ihr Geheimnis offenbaren, aber dazu bedurfte es einiger Vorbereitung. Wie eine Schlafwandlerin regelte sie die Beleuchtung und warf Licht und Schatten über die akkurate Anordnung fantasieloser Qualitätsmöbel. Alles war an seinem Platz. Alles, bis auf das Kästchen und den stumm geschalteten Mann.
Als sie im Schlafzimmer das Kästchen seinen Händen entwand und ihn sanft auf das Laken drückte, war sie sich nicht im Klaren, was sie als Nächstes tun würde. Früher, so erinnerte sie sich mit einem Schaudern, hatte seine dichte Körperbehaarung eine wohlige Faszination bei ihr ausgeübt. Geistesabwesend fuhr sie ihm mit spitzen Nägeln über die Brust. Er hatte die Augen geschlossen.
Sie nestelte an seiner Hose. Wahrscheinlich war es sein sonnengebräunter Optimismus, sein ungestümes Verlangen und seine Leichtigkeit gewesen, die sie in seinen Bann gezogen hatten. Aber unter der Oberfläche des Eroberers hatte sich der Mann mit den markanten Gesichtszügen als flach und ambitionslos erwiesen. Er war mit seinem Leben und der Frau an seiner Seite zufrieden, aß, arbeitete und sah fern, reihte Ignoranz an Bedürfnislosigkeit und ersäufte sie in einem Meer ehelicher Gleichförmigkeit, die nur von gelegentlichen Eifersuchtsszenen unterbrochen wurde. Ihm fehlte das Streben, der Ehrgeiz etwas Besonderes erreichen zu wollen, der Antrieb zu anderen Ufern aufzubrechen. Seine Zuneigung war zunehmend erstickend wie ein Schlinggewächs, das sich auf die Sinne legte und jede Wachheit erdrosselte. Sie nahm ihn hin wie eine Last, deren man sich nicht entledigen konnte, bis er das Kästchen auf sie richtete.
Mit dem Zeigefinger auf den Lippen war sie in den Abstellraum gehuscht und hatte gefunden, was sie suchte. Schon lange hatte sie sich ihm nicht mehr genähert. Er dünstete seine Dankbarkeit förmlich aus, als sie begann ihn zu kneten. Ihre sexuellen Erfahrungen erschöpften sich in den verschiedenen Spielarten des Koitus, die man voller Erwartung ausführt, ohne die erhoffte Belohnung zu erfahren. Der gebräunte Bauch zitterte unter ihrer Berührung. Er war ihr erster und einziger Mann gewesen und hatte sie gelehrt, dass der Geschlechtsverkehr ein weit überschätzter, gänzlich unzulänglicher, roher und schwächlicher Vorgang war, bei dem sich Körper ungelenk und stets am Rande von Muskelkrämpfen aneinander rieben und in lächerlichen Posen verharrten, um verbissen fortzufahren bis zu einem fadenscheinigen Erguss, der im schlimmsten Fall zur jahrzehntelangen Alimentierung eines undankbaren Balges führte.
Sie war bei seinem Schamhaar angelangt und knetete sein pralles Glied mit der Inbrunst, von der sie hoffte, dass sie ihn von dem durchdringenden Spiritusgeruch ablenken würde. Ihre Finger arbeiteten die Paste ein, die sie sich in die Handflächen gedrückt hatte. Er hielt den Atem an. Gleich würde er einen leisen, jammernden Ton der Befriedigung von sich geben, den sie schon zu Beginn ihrer Beziehung gehasst hatte. Es wurde Zeit. Sie führte seine Hände zu seinem Glied, wo sie sofort ihre Arbeit aufnahmen. Er hatte den Kopf zur Seite geworfen. Sein Körper war angespannt. Er schwitzte.
Das Sturmfeuerzeug setzte zuerst sein Schamhaar in Brand. Zuerst züngelte es dürftig, fraß sich dann rasend weiter und erfasste die Hautpartien und den Penis wie einen Flächenbrand. Entflammte Männerhände schwenkten die brennende Männlichkeit wie ein Opfertier. Die Frau hatte sich bis zur Wand des Zimmers zurückgezogen und wischte ihre Hände an ihrem Bademantel ab. Sie fühlte sich nicht verantwortlich für das Schauspiel.
Der Mann wälzte sich, schrie mit hervortretenden Adern, schrie mit sehnigem Hals, schrie mit überschnappender Stimme, schrie mit verbranntem Unterleib, auf den er mit einem Bettlaken fortwährend einschlug. Dann hörte er auf zu schreien. Glotzend wie ein Frosch kollabierte er und beschmutzte den rohweißen Hirtenteppich. Rosa Schaum quoll aus seinem Mund. Er hatte sich in dem vergeblichen Versuch, die Schmerzen zu kontrollieren, auf die Zunge gebissen.
Mit distanziertem Interesse sah sie auf ihn herab. Der Klang in ihrem Kopf war dumpfer geworden, nicht mehr so drängend. Sie hatte den ersten Schritt unternommen. Sie hoffte, dass er die Botschaft verstanden hatte. Es war ganz alleine ihr Kästchen und ihr Leben. An der Seite des Lakens machte sie eine feuchte Stelle aus. Sie zerrieb einen Überrest Sperma zwischen ihren Fingern. Irgendwie fand sie es beruhigend, dass er auf seine Kosten gekommen war.
Noch in der gleichen Nacht entsorgte sie das Kästchen samt Inhalt und schleppte den Winselnden zur Notaufnahme des Krankenhauses. Gleichmütig bekannte sie, dass es sich um einen Unfall gehandelt habe. „Sicher ein Unfall“, pflichtete der Arzt bei, dem über die Jahre das Staunen abhandengekommen war und für den es ein beinahe alltägliches Erlebnis war, Duschköpfe aus einer Vagina oder Champagnerflaschen aus einem Männerafter zu entfernen. „Ohne Zweifel ein Unfall“, wand sich der Verletzte, dem noch zahlreiche Operationen bevorstanden und dessen Narben an der Seele erst zu verblassen begannen, als die zerstörten Schwellkörper durch ein funktionierendes Implantat ersetzt wurden. Das Kästchen ruhte in einem Abfallcontainer des Krankenhauses. Es war nie mehr aufgetaucht, aber seine Geschichte stahl sich in die Nacht hinaus.
Ein anonymer Hinweis erreichte die Polizei, die zögerlich ihre Ermittlungen aufnahm. Die Pflegerin musste geahnt haben, dass ihre Maßnahmen nicht ausreichend sein würden, um sich abzusichern. Seit dem Tag, an dem sie das Band der Ehe versengt hatte, wurde sie kummervoll und nachlässig. Sie sah zweifelnd auf ihre Hände, die Dinge vollbrachten, vor denen sie zurückschreckte. Sie meldete sich krank und verbrachte die Tage in einem Dämmerzustand. Die Wohnung wurde nicht mehr gelüftet und aufgeräumt. Zeitungen und Müll stapelten sich neben den Türen. Gebrauchte Kleidung fiel auf dem Boden übereinander her und Nahrungsmittel verdarben halb aufgegessen in der Küche.
Der Mann, dem sie das Schweigevermächtnis eingebrannt hatte, verbat sich jeglichen Besuch und setzte seine Mutter wie einen Zerberus vor sein Krankenzimmer. Offiziell blieb er bei der Unfallversion, aber er konnte schreiben und wahrscheinlich hatte er Gebrauch davon gemacht. So wartete sie auf das Unvermeidliche, kam mit strähnigen Haaren und glasigen Augen zum Dienst, während um sie herum das Getuschel zunahm und die Leitung des Pflegeheimes ihre Suspendierung verfügte. Die Festnahme erfolgte wenig später.
Man fand sie über ein halb aufgetautes Kaninchen gebeugt vor, in das sie ihre Zähne schlug. Sie hatte mit einem Kaffeelöffel Honig darüber verteilt und Estragon darauf gestreut. Sie schätzte die moderne Gourmetküche und war nur momentan nicht in der Verfassung, ihre Ideen in die Praxis umzusetzen. Um sie herum faulte der Müll. Die Polizisten forderten Atemmasken an. Sie senkte den Kopf, als man ihr Handschellen anlegte. Dann übernahmen die Kameras und die Blitzlichter.
Der Todesengel galt als Prototyp der massiv Gestörten. Die Dokumentation transportierte den Gedanken erfolgreich nach draußen und eine Entlassung auf Bewährung war bei entsprechender geistiger Gesundung durchaus denkbar. Sie war in aller Stille geschieden worden, nachdem sie eingewilligt hatte, dass ihr Mann den gesamten Erlös aus dem Verkauf der Eigentumswohnung für sich vereinnahmen konnte. Sie würde wieder auf die Beine kommen. Geduld war eine ihrer Stärken.
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