1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Aktuell wird das problematische Verhältnis der Kirche zur medialen Öffentlichkeit besonders deutlich am Kontrast zwischen Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. War Ersterer Liebling der Medien und ein begnadeter Selbstdarsteller und Event-Regisseur, der sich der medialen und massenmedialen Mittel für die Zwecke der Kirche gezielt bediente, glaubt Benedikt XVI. die Kirche und ihre Botschaft von der Öffentlichkeit nicht nur missverstanden, sondern in vielfacher Hinsicht angegriffen, in unfairer Weise kritisiert und immer wieder verleumdet. Stellt sich bei Johannes Paul II. die Frage, ob seine gekonnte PR-Arbeit der Öffentlichkeit in Bezug auf seine tatsächlichen Positionen nicht Sand in die Augen streute, wird bei Benedikt XVI. derselbe Effekt, nämlich ein schiefes Bild der Kirche, durch mangelhafte Kommunikationskompetenz und einen naiven Medienbegriff erzeugt. Eine Öffentlichkeit, die die Kirche von farbenfrohen und fernsehtauglichen Liturgie-Großspektakeln her beurteilt, wird ihr deshalb ebenso wenig gerecht werden wie diejenigen, die ihr Verhältnis zum Islam an einer aus dem Kontext gelösten Regensburger Äußerung des gegenwärtigen Papstes festmachen.
Die zunehmenden Probleme der Kirche mit ihrer inneren Öffentlichkeit sind nicht von denen mit der äußeren Öffentlichkeit zu trennen. Wer als gläubiger Zeitgenosse seine Freiheit der Meinungsäußerung in der äußeren Öffentlichkeit uneingeschränkt wahrnimmt, trägt dieses Selbstverständnis in die innere Öffentlichkeit der Kirche hinein. Wie nicht nur der Missbrauchsskandal zeigt, herrscht dort allerdings verbreitet noch die Auffassung, man könne und dürfe die interne Öffentlichkeit von der äußeren abschotten. Ebenso glaubt man, den Glauben in der Gegenwart dadurch sichern zu können, dass man die Konfrontation mit den Entwicklungen der Moderne verhindert oder als unnötig qualifiziert. Viele Gläubige retten sich aus dieser widersprüchlichen Situation entweder durch Flucht in die eine oder die andere Richtung (Säkularismus oder Fundamentalismus), durch Selbstspaltung (bewusst oder unbewusst) oder durch eine ironische Loyalität, die nur das ernst nimmt, was sie selbst für relevant hält.
Es ist offensichtlich, dass die angesprochenen Probleme mit beiden Öffentlichkeiten durch reine PR-Arbeit, so gekonnt sie auch sein mag, allenfalls zu kaschieren, nicht aber zu beheben sind. Nimmt man in der Kirche die im ersten Petrusbrief geforderte prinzipielle Bereitschaft des christlichen Glaubens zur öffentlichen Auseinandersetzung mit anderen Positionen ernst („Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“, 1 Petrus 3,15), dann kann die Lösung nur in der Ausarbeitung einer Theologie liegen, die sich der Aufklärung, den Positionen der Postmoderne, den Ansätzen der Naturwissenschaften und den Konsequenzen der digitalen Revolution tatsächlich gestellt hat. Ihre Aufgabe ist es, die christliche Botschaft für die unterschiedlichen Horizonte gegenwärtigen Lebens so umzusetzen und zu formulieren, dass sie dort jeweils auch verstanden werden können. Der Petrusbrief verlangt keine Öffentlichkeit, die der Glaubensbotschaft gegenüber besondere Nachsicht oder ein besonderes Wohlwollen walten lässt. Im Gegenteil: Er ist sich seiner Sache sicher und sucht im Vertrauen auf die eigenen Argumente die Konfrontation, ebenso wie Paulus auf dem Areopag in Athen den Einwänden der Bürger Athens nicht ausgewichen ist.
Deshalb ist die professionelle Nutzung vorhandener und neu sich entwickelnder Kommunikationsformen wie dem Internet und seinen Möglichkeiten eine notwendige, aber keine ausreichende Bedingung, um das Öffentlichkeitsdilemma der Kirche zu lösen. Selbst wenn alle Forderungen des „Pastoralplans für soziale Kommunikation“ im Anhang der Pastoralinstruktion Aetatis Novae (1992) tatsächlich bereits umgesetzt wären, bliebe die Frage offen, ob der christliche Glaube auf dem Markt der weltanschaulichen Möglichkeiten dann bereits als eine argumentative und lebenspraktische Alternative erscheint, die die Menschen der Gegenwart zu ihm bekehren kann.
4. Von der Religion in den Medien zur Medienreligion
Klaus Müller, Direktor des Seminars für Philosophische Grundfragen der Theologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Noch komplexer als die anderen Buchreligionen Judentum und Islam ist das Christentum eine Religion der Medien: Die seit Abraham ergehende Selbstmitteilung Gottes, gebrochen im Prisma der alttestamentlichen Gattungen, wird Fleisch – was für ein Medium! Ein Mensch, geboren zwischen Tieren, gestorben an einem Schandpfahl, wird zur lebendigen Metapher des unbegreiflichen Gottes. Dieser Mensch selbst übersetzt (!) sein Wesentliches ins Medium eines heiligen Zeichens (die Eucharistie), seine Gefolgeleute und noch Spätere falten diese Medialisierung weiter aus (in den Sakramenten und Sakramentalien). Zugleich kommt es zu einer neuerlichen Übersetzung des fleischgewordenen Wortes ins Gesprochene und Geschriebene – das Neue Testament. Und dieses wiederum zielt zusammen mit den materiellen Zeichen(handlungen) auf nichts anderes, als dass Hörende und Feiernde das Gehörte und Gefeierte rezipieren und ins Medium erstpersönlichen Lebens übersetzen. Das Christentum – eine einzige Medienkette.
Natürlich haben die christlichen Verkünder seit je auch die medialen Kanäle menschlicher Kommunikation genutzt: Von den Briefen des Apostels Paulus (den ältesten Medienspuren des Christentums) über die unendlich reiche Bilderwelt der Mosaiken, Fresken, Plastiken bis hin zu Druckerzeugnissen, Radio Vaticana, den Zeitungen und Magazinen und heute natürlich den zahllosen Netzauftritten von Gemeinden, Bistümern, Verbänden bis hin zu den offiziellen Sites des Vatikan.
Das alles ist eigentlich gar nicht groß der Rede wert. Ein anderes dafür umso mehr: die Tatsache nämlich, dass das Phänomen der Neuen Medien als solches oft eine ganz eigenartige religiöse Aura mit sich führt. Zwischen beiden Seiten kann es zu brisanten Interferenzen kommen, auch zu Spannungen bis hin zur Unverträglichkeit: dass sozusagen die Eigenbotschaft, die das Medium ja immer auch schon allein kraft seiner eigenen Struktur und seines Rhythmus sendet, den transportierten Inhalt regelrecht dementiert.
Technische Errungenschaften waren seit je und sind bis heute von religiöser Mystifikation begleitet – und am meisten dort, wo technische Rationalität sich mit dem Anspruch verbindet, Mythisches oder Religiöses überwunden zu haben. Aber kaum ein anderes Feld der Technokultur ist davon intensiver geprägt als dasjenige, das die heute wirtschaftlich tonangebenden Weltgegenden durchherrscht und ihr Emblem – ihr Totem – im Computer gefunden hat: die postindustrielle Informationstechnik in Gestalt der Telematik, also dem Zusammenschluss herkömmlicher elektronischer Kommunikationstechniken mit den Neuen Medien. Religiöse Semantik, meist aus dem jüdisch-christlichen Traditionsstrom geschöpft, und der Rekurs auf einschlägige philosophisch-theologische Theoriestücke bestimmen in einem Maß die Selbstbeschreibung und Selbsttheoretisierung der Cyberwelt, dass es in einer Öffentlichkeit, die wie die derzeitige westeuropäische in Richtung eines religiösen Analphabetentums unterwegs ist, unschwer zu Verwechslungen zwischen technisch Projektiertem und religiöser Rhetorik kommt. 59Und es sind genau dies – die Entdifferenzierung von Technik und Theologie samt den zwangsläufigen Folgen – die Koordinaten, an denen entlang sich die religiöse Semantik und Theoriebildung der Cyberwelt entwickelt.
Technische Errungenschaften waren seit je und sind bis heute von religiöser Mystifikation begleitet – und am meisten dort, wo technische Rationalität sich mit dem Anspruch verbindet, Mythisches oder Religiöses überwunden zu haben.
Das lässt sich gut an der Weise verfolgen, wie dazu biblische Motive aufgegriffen und geweitet, dann aber auch sozusagen revisionär in Gegengeschichten transformiert werden, die ausdrücklich dem biblischen Sinngehalt widersprechen. Prinzipiell lässt sich sagen, dass die kulturelle Selbstbeschreibung der Computerwelten das Gesamtrepertoire der jüdisch-christlichen Erzählung von Heilsgeschichte in Anspruch nimmt, angefangen vom Schöpfungsgedanken der Genesis bis zur Apokalypse, also dem letzten, so visionären Buch der Bibel, das in einer Geschichtstheologie aufgipfelt, die beansprucht, den letzten Sinn und das Ziel von allem offenzulegen. Genau diese eschatologisch-apokalyptische Ambition ist der gesamten Cybertheorie als strukturelles Grundmuster eingeschrieben: Sie ist ein einziges glühendes Versprechen der bevorstehenden Heraufkunft eines Reiches des Geistes und nimmt folgerichtig auch intensiv Bezug auf den, der wie kein anderer in der geschichtsphilosophisch-theologischen Tradition für diese Denkfigur steht: der mittelalterliche Abt Joachim von Fiore (1145–1202). 60Für ihn war nach dem Reich des Vaters (Altes Testament) und des Sohnes (Neues Testament) mit dem Auftreten des benediktinischen Mönchtums ein „drittes Zeitalter“ angebrochen, das Reich des Geistes, das alte Regeln und Grenzen hinter sich lässt, durch nichts aufzuhalten ist und eine ins Hier und Heute gezogene Erlösung gewährt. Viele maßgebliche Programmschriften über die Chancen der informationstechnischen Kulturrevolution beziehen sich auf dieses Denkmuster. 61Unter welchen komplexen Voraussetzungen das geschieht, kann besonders gut an der cyberianischen Neufassung des Eröffnungsgedankens der biblischen Tradition zur Geltung gebracht werden: am theologischen Theorem der Schöpfung.
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