Die erste N.W.A-Show fand am 11. März 1988 im Skateland statt. „Mein Homeboy Eazy-E und die ganze N.W.A-Posse sind am Start“, verkündete MC Ren und hinterlegte die Pausen zwischen den Strophen von „Boyz“ mit seinen Shout-outs. Viele der Texte waren abgeändert worden, um Schimpfwörter zu vermeiden. Die Gruppe trat schon bald auch auswärts auf und quetschte sich dafür in Eazys blauen Minivan, einen Ford Aerostar, und teilte sich billige Motelzimmer. Zuerst traten sie noch vor einer von Alonzo neu aufgestellten Formation der World Class Wreckin’ Cru auf, was in Anbetracht der unterschiedlichen Styles sowie der Tatsache, dass Dre und Yella ebendort ausgestiegen waren, eher unangenehm war. Aber ab 1988 teilten sich N.W.A schließlich die Bühne mit Acts wie Salt-N-Peppa, MC Hammer, Heavy D und UTFO. Mit ihren Jheri-Curl-Frisuren ernteten sie verwirrte Blicke. „Wer zum Geier seid ihr Niggas?“, wurden sie etwa gefragt. Als Cube im Laufe des Jahres 1988 zurückkehrte, blieb Ren der Gruppe erhalten.
Ein letzter Strohhalm
Obwohl N.W.A auf Tour Fuß fassten, halfen Jerry Heller seine Kontakte in der Musikbranche nicht viel weiter. Ende 1987 stand die Gruppe immer noch ohne Plattenvertrag da. Die Gründe dafür waren nicht allzu schwer zu verstehen. Zwar regierten schwarze Stars wie Michael Jackson und Prince die Charts, doch wurde von ihnen erwartet, dass sie sich artig verhielten. Die eine oder andere versteckte Anzüglichkeit wurde akzeptiert, doch N.W.A waren einfach zu brutal und zu real.
Rap war noch nicht einmal vor einem Jahrzehnt im Mainstream angekommen und viele Labels hielten es immer noch für einen vorübergehenden Trend. Der Vorstandsvorsitzende von Capitol erklärte Heller, dass N.W.A nie Platten verkaufen würden. David Geffen hingegen störte, wie sich N.W.A über Schwule äußerten. (Die weiße Geffen-Band Guns N’ Roses sollte sich auf ihrem Track „One in a Million“ schon bald selbst homophober und rassistischer Ausdrücke bedienen.)
Schließlich klammerte sich Heller an seinen letzten ihm verbliebenen Strohhalm und ließ sich im August 1988 auf ein Meeting mit Bryan Turner und Mark Cerami von Priority Records ein. Obwohl sie über einen tollen Vertrieb verfügten, war Priority nicht gerade eine Top-Adresse. Ihr größtes Zugpferd waren die California Raisins, getrocknete Weintrauben aus Knetmasse, mit denen regionale Rosinen beworben wurden. Wenn sie Motown-Klassiker und andere nostalgische Hits sangen, lieh ihnen Buddy Miles, der einst mit Jimi Hendrix gearbeitet hatte, seine Stimme. Der Look der Truppe variierte dabei zwischen einer Soul-Gruppe, im Trend liegenden B-Boys und einer Ansammlung von Scheißhaufen.
Die Raisins sollten letztlich über drei Millionen Tonträger absetzen. Dabei war dieser Erfolg alles andere als ein Zufallsprodukt. Turner und Cerami hatten beide bei K-Tel Records gearbeitet, wo sie alte Hits in Genre-Compilations neu verpackten, die spätnachts im Fernsehen beworben wurden. Heller vertraute auf Prioritys Fähigkeit, Musik abseits des Radios zu vermarkten, wo N.W.A aufgrund ihrer Kraftausdrücke chancenlos waren. Und so trafen er und seine Crew sich schließlich in einem verrauchten Konferenzzimmer in Hollywood mit Vertretern von Priority Records. Eazy, dessen Pager in seinen Hosentaschen surrten, platzierte lässig seine Air Jordans auf dem Tisch, während Ren finster aus der Wäsche blickte. Irgendwann gesellte sich Dre dazu und legte ein Tape mit „Gangsta Gangsta“, dem aktuellsten und bis dahin wohl auch derbsten und fokussiertesten Track der Gruppe, ein. Drinkin’ straight out the eight bottle, rappt Ice Cube nach einem Polizeisirenen-Intro über einen Midtempo-Beat und ein funkiges Gitarrenriff, das man sich bei Steve Arrington geborgt hatte.
Do I look like a muthafuckin role model?
To a kid lookin’ up to me: Life ain’t nothin’ but bitches and money.
Der Kanadier Turner fand sich nicht sofort damit zurecht. „Ich konnte nicht glauben, dass die Dinge, über die sie da sprachen, tatsächlich passierten“, sagte er später. Doch nach einem Auftritt der Gruppe auf einer Rollschuhbahn in Reseda war auch er hundertprozentig überzeugt. Das Publikum sang „Fuck tha Police“ wie aus einer Kehle – dabei war diese kontroverse Street-Hymne gar nicht offiziell veröffentlicht worden: Stattdessen verteilten Straßenteams, die aus Kids bestanden, die N.W.A in der ganzen Stadt bewarben, kostenlose Kopien an potenzielle Fans. Priority stimmte zu, sowohl Eazy-Es Solo-Album als auch das Debütalbum von N.W.A unter der Schirmherrschaft von Ruthless Records zu finanzieren und zu vertreiben. „Es war das beste aus beiden Welten – die Schlagkraft eines Major-Labels mit effektivem Indie-Vertrieb“, schrieb Heller.
„Sie hatten Leute fürs Marketing, einen ganzen Stab. Sie brachten die Platten in die Läden. Fast wie eine Westcoast-Version von Def Jam“, sagt Violet Brown von Wherehouse Records. „Sobald Priority mit von der Partie war, ging die Post ab.“
Mit einer selbstsicheren Ansage eröffnete Dr. Dre 1988 das bahnbrechende N.W.A-Debütalbum Straight Outta Compton und versprach darauf die detaillierte Schilderung eines jugendlichen Lebens, das geprägt war von Überlebenskampf und institutionalisierten Erniedrigungen: You are now about to witness the strength of street knowledge.
Dre, Eazy, Cube, Ren, DJ Yella und Arabian Prince waren die ultimativen Antihelden, Rockstars, die Amerika auf die Ära nach Reagan einstimmten, in der die Unterscheidung zwischen Gut und Böse nicht mehr so eindeutig sein würde. Die Zeile ist echt dope – und auch prophetisch. Nichts sollte mehr so sein wie zuvor.
Die denkwürdigsten Songs des Albums bestechen mit jeder Menge aggressiver Texturen, marschierenden Drums, Sample-Fragmenten und Breakbeats, die sich direkt zum Roadium Swap Meet zurückverfolgen ließen. Der bombastische Sound auf Straight Outta Compton nimmt es problemlos mit der Rhetorik des Albums auf. In Armut heranwachsende Kids konnten hier zustimmend nicken, während privilegiertere Bürger vor Schrecken nach Luft rangen. MC Ren hat die Tracks 3 bis 13 als Füllmaterial bezeichnet. Ich widerspreche ihm. Doch es stimmt, dass die ersten beiden Songs, „Straight Outta Compton“ und „Fuck tha Police“, am meisten Power ausstrahlen. Die selbstbezogenen Protagonisten, bei denen die Grenze zwischen Rapper und Kunstfigur verschwimmt, sind schwer bewaffnete Raubeine, die die Korruption erkennen und sich zur Wehr setzen. Am meisten schockiert dabei aber, dass sie zugleich politische Soldaten und nihilistische, mörderische Kriminelle sind.
Amerika war dafür noch nicht bereit. Aber es hatte keine andere Wahl, als sich anzupassen. Die aggressive Rhetorik des Albums ist so unbarmherzig eloquent, dass sie bis heute nicht an Wirkung eingebüßt hat: Police think they have the authority to kill a minority, rappt Ice Cube bei „Fuck tha Police“, bevor er hinzufügt:
Fucking with me ’cause I’m a teenager
With a little bit of gold and a pager
Searching my car, looking for the product
Thinking every nigga is selling narcotics.
Die Zeit für vernünftige Debatten war vorüber. Aber Cubes Feinde waren nicht nur die Cops. Jeder, der ihm in die Quere kam, musste sich in Acht nehmen. So warnte er in „Straight Outta Compton“:
Crazy motherfucker named Ice Cube
From the gang called Niggaz With Attitudes
When I’m called off, I got a sawed-off
Squeeze the trigger and bodies are hauled off.
Was machte es da schon, dass sein Gönner Eazy-E tatsächlich mit Drogen dealte? War es nicht egal, dass Ice Cube nichts mit Gangs am Hut hatte und nicht der Irre war, der er vorgab zu sein? Der Zorn und der aufgestaute Frust, die er im Namen aller Leidensgenossen zum Ausdruck brachte, war echt.
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