„Du kannst eine Weile bei mir unterkommen, wenn du magst“, sagte ich zu ihm. Er hatte etwas in seinen Augen, das mich ihm vertrauen ließ. Er kam mit mir nach Hause und schlief ein paar Tage lang auf unserem Sofa. Wir spielten ziemlich viel zusammen – er war ein großartiger Bluesgitarrist. Er hatte einen breiten Cockney-Akzent und einen hintergründigen Humor. Wir entdeckten sogar eine gemeinsame Leidenschaft für B. B. King. Er nahm jedoch für meinen Geschmack zu viele bewusstseinsverändernde Substanzen, und dann war er eines Tages einfach verschwunden, sodass nichts aus unserer Zusammenarbeit wurde. Ich hörte später, dass er nun ganz auf dem religiösen Trip sei und den Rest seines Geldes für wohltätige Zwecke gespendet habe.
Ich fand einen Job für fünfzig Dollar die Woche in einem preiswerten Tonstudio namens Triple A. Meine Aufgabe war es, die Sessionmusiker für die Aufnahmen zu buchen, darunter viele Studenten des Berklee College of Music. Einer von ihnen war Abraham „Abe“ Laboriel, der seitdem zu einem der gefragtesten Studiobassisten im Jazz und Pop geworden ist. Wenn er zu spielen begann, spitzten alle die Ohren. Abe und ich wurden Freunde, und ich buchte ihn, so oft ich konnte.
Joe, der Eigentümer, betrieb das Studio wie ein Uhrwerk. Er war ein Meister der Überredungskunst, wenn es darum ging, Leuten weiszumachen, dass ihnen eine Karriere als Sänger bevorstünde – selbst wenn er wusste, dass sogar ein Hund besser sang. Er schaltete Anzeigen in Zeitungen, in denen er nach neuen Talenten suchte. Darauf meldeten sich alle möglichen Leute, von der gelangweilten Hausfrau bis zum Stadtbusfahrer. Er überzeugte sie allesamt davon, dass sie die neue Streisand oder der neue Sinatra seien und es ihre beste Chance auf Erfolg sei, ein Soloalbum bei ihm aufzunehmen. Wenn sie das Studio verließen, schwebten sie förmlich auf dem Traum, dass er sie zu Stars machen würde.
Abends und am Wochenende hatte ich noch zwei weitere Jobs in zwei anderen Studios, wo ich Werbejingles für Autohäuser und Fabrik-Outlets schrieb. Ich spielte Gitarre und dazu ein bisschen Klavier und Schlagzeug, dann erfand ein Jinglesänger einen Text zu meiner Aufnahme. Eines der Studios hieß Ace. Der Sohn des Eigentümers, ein Jugendlicher namens Shelly Yakus, kam oft vorbei und fegte zusammen, rollte die Kabel auf und sah mir bei der Arbeit zu. Heute ist er einer der besten Tontechniker im Musikgeschäft, der Platten mit Größen wie Bruce Springsteen und U2 macht. Jahre später liefen wir einander über den Weg, und wir erkannten uns sofort.
Ich arbeitete Tag und Nacht, verdiente aber praktisch kein Geld. Den ganzen Tag lang arbeitete ich bei den Sessions und spielte dann noch von neun bis zwei in einem Club Rhythm and Blues. Es war ein elendes Leben, nicht zuletzt deshalb, weil ich nie Zeit für Susan hatte. Ich begann mich ernsthaft zu fragen, ob ich nicht meinen ersten Job als Musiklehrer wieder aufnehmen oder sogar etwas vollkommen anderes machen sollte. Ich weiß auch nicht, wie ich auf die Idee kam – vielleicht durch das schwierige Verhältnis zu meinem Vater –, aber ich begann, Abendkurse in Kinderpsychologie an der Universität von Boston zu besuchen. Es war nicht leicht, wieder die Schulbank zu drücken, aber mein Bruder Jerry – zu dem ich wenig oder gar keinen Kontakt hatte – erfuhr von meiner Mutter, was ich machte, und schickte mir aus heiterem Himmel einen Scheck über fünfhundert Dollar.
„Ich dachte, du könntest das gut gebrauchen, um dich die nächsten paar Monate über Wasser zu halten“, schrieb er. „Ich weiß, wie schwer man es als Student manchmal hat.“ Diese Geste der Zuneigung werde ich nie vergessen. Ich rief ihn an, dankte ihm aus tiefstem Herzen und versprach, ihm das Geld eines Tages zurückzuzahlen. (Viele Jahre später tat ich das tatsächlich und berechnete sogar die Zinsen, die er für das Geld, das er mir geliehen hatte, bekommen hätte, doch er sendete mir den Scheck mit der Notiz zurück, er sei stolz darauf, in meine Karriere investiert zu haben.)
Hin und wieder kam Bernie in die Stadt, und ich freute mich stets, ihn zu sehen. Er hatte eine Weile in Linda Ronstadts Begleitband gespielt, doch der entscheidende Wendepunkt in seiner Karriere kam erst, als er sich einer Gruppe namens The Flying Burrito Brothers anschloss, die von Gram Parsons geleitet wurde. Sie hatten bereits ein erfolgreiches Album eingespielt und waren nun im Rahmen einer bundesweiten Tournee unterwegs an der Ostküste. Susan und ich gingen zu ihrem Konzert. Sie waren großartig.
„Du musst hier raus, Mann“, sagte Bernie nach dem Konzert zu mir auf dem Rückweg zu seinem Hotel. „Du hast was Besseres verdient, als Autojingles zu schreiben. Du bist ein klasse Gitarrist, Don. Du musst in den Westen gehen.“ Susans Gesicht sagte mir alles, was ich wissen musste. Sie stammte aus Boston, sie war gern in der Nähe ihrer Familie, und wenn ich weiterhin mit ihr zusammenbleiben wollte, dann musste ich eben in Boston bleiben.
„Ich habe eine tolle kleine Doppelhaushälfte in Hingham gefunden, Schatz“, erzählte sie mir an einem Winterabend im Januar 1971. „Es liegt ganz in der Nähe von dem Haus, wo ich aufgewachsen bin.“
„Weiß nicht“, sagte ich. „Ich bin nicht sicher, wie lange ich dieses Arbeitstempo noch durchhalten kann, und ich möchte auch nicht unbedingt aus der Stadtmitte von Boston wegziehen und noch mehr Miete bezahlen.“
Sie sah zu mir auf und blickte mich mit ihren großen blauen Augen an. Ich konnte nicht widerstehen. „Okay“, stimmte ich zu. „Wenn du unbedingt willst.“
Susans Mutter, die mich immer gemocht hatte und stets freundlich zu mir gewesen war, fand plötzlich, dass dies nun einen Schritt zu weit ging. Hingham war ein schmucker Vorort von Boston fünfundzwanzig Kilometer weiter südlich an der Küste – und, was noch wichtiger war, sie lebte immer noch dort.
„Du ziehst mir nicht wieder zurück in deine Heimatstadt, um hier in Sünde zu leben!“, sagte sie entsetzt zu Susan, als wir ihr die Nachricht überbrachten. „Entweder du heiratest und lebst ein anständiges Leben, oder du kannst dir einen anderen Platz zum Leben suchen.“
Wir hatten die Doppelhaushälfte bereits besichtigt und zugesagt, sie zu nehmen. Außerdem hatten wir unsere alte Wohnung gekündigt. Draußen war es bitterkalt, es schneite, und ich wusste, dass es unwahrscheinlich war, dass wir für unser Budget zu dieser Jahreszeit etwas vergleichbar Hübsches finden würden.
Ich sagte nichts, borgte mir fünf Dollar von Susan und ging in ein Juweliergeschäft in der Nähe von Harvard. Als sie später am Abend von der Arbeit nach Hause kam, zog ich einen Verlobungsring aus der Tasche und platzte heraus: „Willst du mich heiraten?“
„Ja, natürlich will ich, du Dussel“, war ihre lachende Antwort. Es war sehr unromantisch und so ganz und gar nicht, was sie oder ich uns vorgestellt hatten. Ich hatte das Gefühl, dass wir es nur ihrer Mutter zuliebe taten. Bis zum heutigen Tag bin ich mir nicht sicher, ob Susan und Mistress Pickersgill das Ganze nicht gemeinsam ausgeheckt hatten, um mich dazu zu bewegen, Nägel mit Köpfen zu machen. Wie auch immer, es funktionierte, und ich habe es nie bereut.
Die Hochzeit wurde für den 23. April 1971 festgelegt. Meine Eltern, die ich nicht gesehen hatte, seit ich von zu Hause weggegangen war, wollten gemeinsam mit meinem Bruder Jerry von Gainesville herfahren. Ich hatte Jerry gebeten, mein Trauzeuge zu sein. Außer ihnen würde auf meiner Seite der Kirche sonst wohl niemand sitzen – Bernie konnte nicht kommen, weil er auf Tournee war, und die meisten meiner alten Freunde aus Gainesville hatte ich aus den Augen verloren. Susan hingegen hatte an die einhundert Gäste eingeladen.
Mein Vater hielt vor unserem Apartment. Er fuhr einen weißen, viertürigen Oldsmobile, für den er den grünen Pontiac in Zahlung gegeben hatte. Ich stand da, mit schulterlangem Haar, Koteletten und einem Schnurrbart, und fühlte mich wie ein unartiges Kind, als er mir auf dem Bürgersteig entgegenkam, um mich zu begrüßen. Genau in diesem Augenblick kreuzten zwei der freizügigsten Homosexuellen, die ich je gesehen hatte, unseren Weg. Einer trug rote Hotpants und hochhackige Schuhe und hatte den Arm um die Hüfte des anderen gelegt. Ich hatte sie noch nie in meinem Leben gesehen. Meinem Vater fiel die Kinnlade fast bis auf den Asphalt.
Читать дальше