Das Album erhielt den Titel Flow. Auf dem Cover war der Bandname abgedruckt; von den Buchstaben triefte Seifenlauge. Wir hassten es. Es sah aus wie eine Waschmittelwerbung. Ich war einerseits stolz auf das Album, weil es mein erstes war, doch gleichzeitig war ich bitter enttäuscht. Ich hatte erwartet, dass ich es aus der Hülle nehmen und auflegen würde und dann ebenso hingerissen wäre wie damals bei der Platte von Quincy Jones. Ich hatte dieselbe Aufnahmetechnik, denselben Tontechniker und denselben Produzenten zur Verfügung gehabt. Ich konnte nicht verstehen, warum es mir beim Hören meiner eigenen Platte nicht genauso kalt den Rücken hinunterlief. Die Enttäuschung wurde sogar noch größer. Wir hatten zwar eine stattliche Menge von Radioeinsätzen im Großraum New York, aber wir waren nicht „UKW-tauglich“, sodass uns viele Radiostationen wegen unserer langen Jazzsoli nicht spielten. Es machte schnell die Runde, dass wir schon ganz in Ordnung seien, aber eben nicht die Young Rascals. Mag sein, dass wir ein bisschen wie sie klangen und aussahen, aber in Sachen Vermarktung waren wir ein Albtraum, weil es keine Schublade für uns gab. Wir scharten eine eklektische Schar von Jazzfans um uns, anstatt die Massen anzusprechen, die in die Clubs gingen und Schallplatten kauften.
Niemand sprach mehr von einem Nachfolgealbum, und plötzlich wurden die Phasen ohne Arbeit immer länger. Obwohl wir einen gewissen Erfolg gehabt hatten, war dieser letztlich doch nicht durch die Musik, sondern von Drogen inspiriert gewesen. Unsere Manager waren frustriert. Sie hatten die begrenzten Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung standen, mehr oder weniger abgegrast. Wenn wir einmal ein paar Auftritte an Land zogen, dann mussten wir am Ende hauptsächlich Coverversionen von fremden Songs spielen, um unsere Rechnungen bezahlen zu können. In der Hoffnung, dass die Leute begriffen, worum es uns ging, versuchten wir, ein paar von unseren eigenen Stücken im Programm unterzubringen. Manchen schienen sie zu gefallen, die Meisten jedoch wollten nur tanzen.
Ich begriff, dass wir New York verlassen und uns in einem Umfeld niederlassen mussten, das dem Songwriting zuträglicher war, um die Band einen Schritt weiter zu bringen. Mike war in der Woche zuvor nach Poughkeepsie gefahren, um einen Freund zu besuchen, und hatte in einer Kleinstadt namens Dover Plains ein kleines Schild mit der Aufschrift „Zu vermieten“ am Straßenrand entdeckt. Er notierte sich die Telefonnummer. Nachdem wir mit dem Eigentümer gesprochen und festgestellt hatten, dass wir uns die Miete leisten konnten, packten wir unsere Siebensachen in unseren Dodge-Lieferwagen und fuhren nach Norden. Bob Dylans Begleitband, The Band, war in ein modernes rosa Haus in West Saugerties in den Catskills gezogen und hatte dort ihr erstes Album, Music From Big Pink, aufgenommen. Das Haus, das wir vorfanden, war nicht rosa. Es war weiß, lag auf einem eineinhalb Quadratkilometer großen Gelände und wirkte wie aus Vom Winde verweht. Es kostete uns einhundertfünfzig Dollar im Monat – weitaus weniger als das winzige Apartment in New York.
Das Haus war riesig. Vier weiß getünchte dorische Säulen standen vor der Eingangstür, durch die man in eine beeindruckende Diele und ein großzügiges Treppenhaus gelangte. Es gab eine Bibliothek, fünf offene Kamine und einen Hauswirtschaftsraum. Den Dachboden hatte man zu einem Ballsaal für Partys umfunktioniert, mit Bühne und allem Drum und Dran. Das umliegende Land war zum größten Teil verwildert. Einiges davon war jedoch offensichtlich irgendwann einmal landwirtschaftlich genutzt worden, denn alles, was nun darauf wuchs, waren Zucchini in rauen Mengen. Verarmt und konstant hungrig, wie wir waren, gab es Zucchinibrei zum Frühstück, Zucchinibrote zum Mittagessen und mit Käse überbackene Zucchini zum Abendessen.
Wir lebten achtzehn Monate in dem Haus und wurden mit jedem Monat ärmer. Unsere Auftritte in New York schrumpften auf ein Minimum zusammen, und die Hälfte der Zeit konnte sich die Band ohnehin nicht dazu aufraffen, für lausige einhundert Dollar die beschwerliche Reise von insgesamt drei Stunden in die Stadt und wieder zurück auf sich zu nehmen. Oft hatten wir noch nicht mal ein Transportmittel. Wenn jemand den Lieferwagen nahm, um ein paar Drogen zu besorgen oder seine Freundin zu besuchen, stand der Rest von uns ohne Auto da.
Eines Tages waren Chuck Newcomb und ich im Haus, als uns der Tabak ausging und der Lieferwagen wieder einmal nicht da war. Da wir beide starke Raucher waren, blieb uns nichts übrig, als zu Fuß in die Stadt zu gehen und welchen zu kaufen. Wir machten uns auf in Richtung Dover Plains und versuchten nicht einmal zu trampen, da wir beide aus Erfahrung wussten, dass nur wenige Leute aus der Gegend zwei langhaarige, bärtige Hippies mitnehmen würden. Als wir in die Stadt schlenderten, fuhr der Sheriff an Chuck und mir vorbei. Er hielt an, drehte um und verhaftete uns. Man warf uns Gehen auf der falschen Straßenseite vor. Die Strafe betrug fünfundzwanzig Dollar.
Schließlich fuhr uns der Sheriff zurück zum Haus, wo unsere überraschten Bandkollegen sahen, wie der Streifenwagen in der Einfahrt hielt. Schnell rannten sie umher und versteckten alle Drogen. John Winter trat mit einer Flöte in der Hand aus dem Haus. „Was ist denn los?“, fragte er. Der Sheriff gab keinerlei Erklärung, sondern durchsuchte mit seinen Leuten das gesamte Haus von oben bis unten. Es dauerte eine Weile, bis er wieder rauskam, und man konnte ihm im Gesicht ablesen, wie enttäuscht er darüber war, dass er nicht Badewannen voller LSD gefunden hatte. Ich versuchte, die mittlerweile extrem angespannte Situation aufzulockern, wendete mich an John und sagte: „Hey, warum spielst du dem Polizisten zum Abschied nicht ein kleines Ständchen?“
„Hä?“, fragte John und schien rein gar nichts zu begreifen.
„Deine Flöte“, sagte ich und deutete auf das Instrument in seiner Hand. „Warum spielst du nicht etwas, um zu zeigen, dass niemand sauer zu sein braucht?“
John schüttelte den Kopf. „Nein, nicht jetzt. Meine Lippen fühlen sich nicht gut an, Mann. Ich kann jetzt gar nichts spielen.“
„Ach, komm schon“, drängte ich ihn, weil ich seinen Widerwillen und die Unzufriedenheit des Sheriffs gleichermaßen spürte. „Nur ein paar Töne.“
„Ja, spiel uns was“, ermunterte ihn nun auch der Sheriff. „Ihr behauptet doch, Musiker zu sein. Also lass mal was hören.“
John wich nicht einen Millimeter. „Nein“, sagte er mit fester Stimme. „Tut mir leid, ich bin gerade nicht in Stimmung.“
Als der Sheriff und seine Männer abzogen, waren Chuck und ich von den Strapazen des Tages fix und fertig. Alles, worauf wir uns nun noch freuten, waren ein Zucchiniomelett und eine elende Nacht, in der wir wieder einmal die Stummel aus den Aschenbechern klauben mussten. Gereizt, wie ich war, lief ich im Hausflur John über den Weg und schnauzte ihn an: „Wenn du auf deiner verdammten Flöte etwas für den Sheriff gespielt hättest, wäre das alles vielleicht nicht passiert“, sagte ich.
John zuckte mit den Achseln. „Es ging nicht, Mann“, erklärte er und zeigte auf ein zusammengeknülltes Etwas, das aus der Flöte herauslugte. „In der Eile haben wir den ganzen Stoff darin versteckt.“
SECHS
Im August 1969 hörten wir per Mundpropaganda, dass auf einer zweieinhalb Quadratkilometer großen Milchfarm unweit von Dover Plains ein großes Musikfestival stattfinden sollte. Es wurde mit dem Slogan „Drei Tage des Friedens und der Liebe“ angekündigt und sollte in einem Ort namens Bethel in der Nähe von Woodstock stattfinden.
„Hey, da sollten wir hinfahren“, schlug ich meinen Zimmergenossen eines Morgens vor, nachdem jemand ein Flugblatt unter den Scheibenwischer des Lieferwagens geklemmt hatte. „Mehr oder weniger alle, die wir kennen, werden dort sein. Es kommen ein paar Jungs aus New York rauf, und vielleicht sogar aus Florida. Die Besetzung ist unglaublich: Janis Joplin, The Band, The Who, Jefferson Airplane, Joe Cocker, The Grateful Dead. Sogar Hendrix spielt.“
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