Eine weitere Woche später begleitete die komplette Familie Wenninger den Jungstar von Rot-Schwarz Dornbusch zu seinem ersten offiziellen Auftritt. Während sich meine Frau beim Trainer als Mutter von Niklas vorstellte, legte sich meine Tochter Emma auf den Rasen und las. Sie wäre viel lieber zu Hause geblieben und hätte Blockflöte geübt, doch heute würde sie Zeuge eines historischen Ereignisses werden, daher hatte ich auf ihre Anwesenheit gepocht.
Während sich Niklas umzog, kam unvermeidlicherweise Gabi auf uns zu, in der Hand ein Weizenbier. Alkoholfrei, nahm ich an.
„Tag die Herren … oh … und Damen“, begrüßte sie uns. „Seid ihr heute mit der ganzen Familie angereist, das ist ja süß. Dann hoffen wir doch mal, dass Niklas heute auch spielen wird, hm?“
„Das steht nach seinem spielentscheidenden Tor letzte Woche wohl außer Frage.“
„Ja, bestimmt. Wenn Max das genauso sieht. Oh, wie schön, Niklas, du hast ja schon ein eigenes … Moment mal, was ist denn das da?“
Gabis Gesichtsausdruck verhärtete sich, als sie Niklas’ Trikot in Augenschein nahm.
„Das ist mein Trikot“, antwortete Niklas wahrheitsgemäß.
„Das sehe ich. Ich meine … das da. Dreh dich mal.“
„Das ist seine Rückennummer. Die Zehn“, klärte ich sie auf.
„Wir haben hier keine Rückennummern.“
„Naja, ihr vielleicht noch nicht, aber Niklas schon. Hab ich ihm extra aufflocken lassen.“
„Sorry, aber das geht auf gar keinen Fall. Damit kann Niklas nicht spielen. Und überhaupt: Wenn hier einer ein Trikot mit der Nummer Zehn verdient hätte, dann ja wohl Oskar. Der spielt schließlich auf dieser Position.“
„Ich denke, das entscheiden nicht Sie.“
„Und Sie erst recht nicht, mein Lieber.“
Damit zog sie wutentbrannt ab und stampfte Richtung Max, während Niklas die Tränen in die Augen schossen und er mich fragte, ob es stimmte, dass er heute nicht spielen dürfe.
„Natürlich darfst du spielen, Niklas. Dafür werde ich schon sorgen. Das hat nicht die böse Hexe zu entscheiden, sondern dein Trainer.“
Hexe und Trainer standen derweil am Spielfeldrand. Gabi sprach wild gestikulierend auf Max ein und deutete dabei abwechselnd auf meinen Sohn und auf mich, bis sich schließlich beide auf den Weg zu uns machten.
„Hi“, begrüßte mich Max. „Ich hab gehört, dass es Schwierigkeiten mit dem Trikot von Niklas gibt.“
„Keine Schwierigkeiten, nur ein paar mütterliche Eifersüchteleien. Kinderkram“, antwortete ich.
„Zeig doch mal, Niklas“, sagte Max und betrachtete das Hemd seines Schützlings. „Tolles Hemd“, befand er. Triumphierend lächelte ich Oskars Mutter an. „Aber leider kannst du das nicht anziehen.“
„Wie jetzt?“, fuhr ich ihn an.
„Sorry, aber wir haben hier keine Nummern. Bei unseren Bambinis gibt es keine festgelegten Positionen. Bei den ganz Kleinen ist das noch alles spielerisch, die Trikots tragen sie nur, damit sie wissen, dass sie zu einem Team gehören. Von mir aus könnten sie auch T-Shirts tragen. Und das hier … das geht leider gar nicht.“
Max deutete auf den Schriftzug, den ich eigens auf Niklas’ Brust hatte aufdrucken lassen: Anwaltskanzlei Wenninger & Partner. Von Fall zu Fall an Ihrer Seite .
„Hab ich doch gesagt, Max. Unmöglich, echt“, mischte sich Gabi ein.
„Tut mir leid, Werbung auf den Trikots möchten wir bei uns nicht. Komm, Niklas, ich hab bestimmt noch ein anderes Hemd für dich.“
„Aber Niklas spielt doch auf der Zehn, oder?“
„Wenn einer die Zehn spielt, dann Oskar.“
„Halten Sie sich da mal raus“, bremste ich die Furie.
„Was erlauben Sie sich? Sie und ihr gänseblümchenpflückender, herumturnender Spross?“
„So, jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder“, versuchte der Trainer zu beschwichtigen, doch inzwischen hatte Niklas bereits zu heulen begonnen, was meine Frau wiederum in großen Aufruhr und schnellen Trab versetzte. Sie hatte sich gerade am Getränkestand mit demselben – Gabis unmöglichem Verhalten nach zu urteilen wohl doch alkoholischen – Getränk versorgt, das mir Oskars Mutter just in diesem Moment über mein nicht eben günstiges Ralf Lauren Polohemd schüttete, was auch Gabis Sohn mitbekam, der daraufhin ebenfalls aufgeregt zu uns gelaufen kam und, als er des Geschreis der Erwachsenen und des Geheules seines Mitspielers gewahr wurde, ebenfalls zu plärren anfing.
„Schluss jetzt!“, fuhr uns der Trainer an, doch da hatte er bereits Sybilles Weizenbier im Nacken, das eigentlich für die hysterische Mutter des Mitspielers bestimmt gewesen war.
„Oh Entschuldigung Max, das war so nicht …“
„Schluss! Aus!“, rief der ebenso triefende wie überforderte Juniorentrainer. „Oskar und Niklas, ihr beiden bleibt erst einmal draußen, bis sich eure Eltern wieder beruhigt haben. Und ihr …“ Max fuchtelte mit dem Finger zwischen Gabi, meiner Frau und mir hin und her, scheinbar abwägend, welchen der Erwachsenen er als Hauptübeltäter identifizieren sollte, bis der Finger – natürlich – bei mir Halt machte.
„Euch alle will ich heute nur noch in ganz, ganz weiter Distanz sehen, verstanden? Ihr solltet euch schämen, euren Kindern so den Spaß zu verderben. Ihr seid wirklich eine Schande.“
Damit ließ er uns zugegebenermaßen etwas bedröppelt stehen und begab sich zu den anderen Kindern, während die Eltern der beteiligten Vereine, aber auch die Trainer der Turniermannschaften kopfschüttelnd zu uns herübersahen, als wären sie gerade Zeuge eines drittklassigen Kampfes im Schlammcatchen geworden.
„Gratuliere“, fauchte ich Gabi an.
„Leck mich“, antwortete sie und zog von dannen, während meine Frau ihre Sachen packte, Emma schnappte und mich mit den Worten verließ, dass ich das ja schön hingekriegt hätte und dass sie es ihrerseits vorzöge, den Rest des Nachmittags zu Hause zu verbringen, und ich könnte mich ja melden, wenn der Spuk vorbei sei.
Nach diesem für alle Unbeteiligten unschönen Verlauf des Events begann das Turnier dann schließlich doch noch, wenn auch mit leichter Verspätung. Max machte seine Drohung wahr und ließ die unschuldigen Kinder der Streithähne im ersten Spiel außen vor. Ein, wie ich fand, pädagogisch ausgesprochen fragwürdiges Unterfangen, aber gut, was konnte man von einem unerfahrenen, vermutlich schlecht oder gar nicht ausgebildeten Hilfstrainer schon erwarten?
Niklas und Oskar hatten den Zwist ihrer Eltern hingegen schnell vergessen und feuerten sämtliche am Turnier beteiligten Mannschaften gleichermaßen an. Elf Freunde sollt ihr sein, ging es mir durch den Kopf und erfreute mich am Fairplay der Kinder. Das war echter Sportsgeist.
Ein Verhalten, das auch Oskars Mutter gut zu Gesicht gestanden hätte, doch die Furie würdigte mich während des Turnierverlaufs keines Blickes mehr. Selbst da nicht, als Niklas und Oskar beim nächsten Spiel gemeinsam zum Einsatz kamen und Oskar auf Vorlage meines Sohns ein zugegebenermaßen sehenswertes Tor schoss und der Mannschaft von Rot-Schwarz nicht nur zum Sieg, sondern auch zum dritten Platz in der Abschlusstabelle verhalf.
Als das letzte Spiel vorbei war und sich die Mannschaften unter dem Applaus der Zuschauer ihre Medaillen abgeholt hatten, trottete Niklas mit hängendem Kopf auf mich zu. Oje, die Enttäuschung über den verpassten Turniersieg schien ihn offenbar tief zu treffen.
„Hey Sportsfreund“, versuchte ich ihn aufzubauen. „Der dritte Platz beim ersten Turnier ist ein schöner Erfolg. Beim nächsten Mal spielst du von Anfang an, und dann gewinnt ihr, du wirst sehen.“
Niklas nickte stumm und wirkte weiterhin bedrückt. Oder war Gabis peinlicher Ausraster der Grund für seine Laune?
„Du, und Oskars Mutter … weißt du, manchmal sind Mamas so. Die wollen unbedingt, dass ihr Kind das Beste ist, auch wenn sie froh sein können, wenn es den Ball überhaupt trifft, und dann sind sie neidisch auf so ungewöhnliche Talente wie dich.“
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