Andreas Heinzel
Frankfurter Short Storys
eISBN 978-3-948987-20-6
Copyright © 2021 mainbook Verlag
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Covergestaltung: Olaf Tischer
Covermotiv: © istockphoto_lovely_
Abdruck von „Fahrt ins Glück“ und „Die Stippvisite“ mit freundlicher Genehmigung des Charles Verlags, Imprint der Bedey Media GmbH
Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher: www.mainbook.de
Hätten Sie gedacht, dass die Eintracht Teil einer riesigen Verschwörungstheorie ist, ein Autokauf die innerfamiliäre Demokratie gefährdet und man auch ohne Lottogewinn Lottomillionär sein kann? Wussten Sie, dass ein Parkhausbesuch möglicherweise zum Großeinsatz der Polizei führt und dass es sich in einem Sarg leicht stirbt? Und haben Sie schon einmal davon gehört, dass ein blutiger Kleingartenzwist auf einen Schlag endet – genau wie die Karriere eines Jahrhunderttalents, noch bevor sie begonnen hat? Oder dass jemand aus all dem die Konsequenz zieht und uns zu guter Letzt zurück auf Los schickt?
In Eine Stadt dreht durch knöpft sich Andreas Heinzel das Leben und Treiben in seiner Heimatstadt vor: Die Bandbreite reicht von abstrusen, grotesken Geschichten voller Wahnwitz bis zu lustigen Alltagsbegebenheiten, die jeder von uns so oder so ähnlich schon erlebt hat.
„Eigentlich habe ich gedacht, dass mittlerweile alle Eintracht-Geschichten geschrieben sein müssten, und dass es schwierig werden dürfte, sich noch was wirklich Neues, Originelles zu dem Thema auszudenken. Bis ich Reingelegt gelesen habe.“
Henni Nachtsheim
Andreas Heinzel wurde 1962 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Studium und einer langen Karriere als Texter, Sprecher und Kreativdirektor veröffentlichte er 2016 seinen Debütroman Die Monarchos . Mit der schrägen Provinzposse Herr Neumann will auf den Olymp folgte drei Jahre später sein zweiter satirischer Roman. Zum dritten und vierten Teil der Anthologie „Ein Viertelstündchen Frankfurt“ trug er Kurzgeschichten bei und initiierte 2020 gemeinsam mit Susanne Reichert und Meddi Müller das literarische Online-Projekt „Der Nächste, bitte!“, an dem sich siebzehn bekannte Autorinnen und Autoren beteiligten.
Mit Eine Stadt dreht durch legt er nun seinen ersten Band satirischer Short Storys vor.
Andreas Heinzel hat zwei Kinder und lebt mit seiner Frau in Frankfurt.
Für Jonas und Pauline, die mit dieser Welt
noch sehr viel länger zu tun haben werden als ich.
Reingelegt REINGELEGT
Das Jahrhunderttalent DAS JAHRHUNDERTTALENT
Der Flügelschlag des Schmetterlings DER FLÜGELSCHLAG DES SCHMETTERLINGS
Ein Ei gegen Bielefeld
Der Glückspilz
Fahrt ins Glück
Der Laubenkrieg
Die Stippvisite
Die Grenzen der Demokratie
Svenja aus Dublin
Bis einer weint
Der achte Tag
REINGELEGT
Bereits vor Jahren, nein, vor Jahrzehnten hatten mein Mann und ich aufgehört, uns etwas zu Weihnachten zu schenken. Wir waren in der glücklichen Lage, uns alles kaufen zu können, sollten wir denn einen Wunsch hegen, doch derlei passierte schon lange nicht mehr. Im Grunde hätten wir auch die Schenkerei zu den Geburtstagen einstellen können, doch aus unerfindlichen Gründen behielten wir es bei. Joachim bekam von mir meist etwas Nützliches, das er gewohnt unangemessen hektisch auspacken durfte. Etwas, das er möglicherweise sogar gebrauchen konnte, eine digitale Körperwaage oder einen elektrisch betriebenen Rasenmäher, während er mir im Gegenzug im Laufe des Geburtstags eine der Karten überreichte, die er zu Dutzenden in seinem Schreibtisch hortete. Darauf war ein Blumenstrauß vor einer Wiese zu sehen und handschriftähnlich Alles Gute zum Geburtstag aufgedruckt, sodass er auf der Innenseite nur noch mit Joachim zu unterschreiben und einen Hundert-Euro-Schein beizulegen brauchte.
„Kauf dir etwas Schönes, Ursula“, sagte er, während er mir den Umschlag in die Hand drückte, und variierte diese Empfehlung auch nur sehr selten. Ich bedankte mich mit ähnlich gleichförmigen Worten, begab mich ins Schlafzimmer in der oberen Etage, zog den Geldschein heraus und legte ihn zu den anderen, die sich gleich hinter der Bibel in der Schublade meines Nachttischs stapelten. Bestimmt hatte ich inzwischen mehr als zweitausend Euro angehäuft, die ersten Geldgeschenke musste ich nach der Jahrtausendwende noch in die neue Währung umtauschen. Ohne dass mein Mann es bemerkte, wollte ich das Geld für den Moment aufsparen, in dem ich mehr als das Haushaltsgeld benötigte, das mir Joachim am Monatsanfang zugestand. Dieser Moment war nun gekommen.
Joachim war am achten Mai fünfundvierzig geboren worden, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation. Er war überhaupt nur gezeugt worden, da sein Vater Karl, der an die Westfront abkommandiert worden war, das Glück hatte, trotz der Invasion in der Normandie einen letzten kurzen Heimaturlaub antreten zu dürfen. Das Elternhaus in Sachsenhausen war bei den schweren Bombenangriffen im Jahr zuvor nicht getroffen worden und so konnte Karl noch einmal unbeschwerte Tage mit der Mutter und seiner Frau Hildegard verbringen, die er vor dem Aufbruch Richtung Paris, einem Impuls folgend, geehelicht hatte.
Neun Monate später galt Karl als vermisst, genau wie sein Vater, von dem die Steinhoffs seit Stalingrad nichts mehr gehört hatten. Als die Wehen einsetzten, konnten sie so schnell keinen Doktor ins Haus holen, und so war es an der Mutter sowie der Haushälterin Luise, den kleinen Sohn an einem derart hoffnungsfrohen Tag zur Welt zu bringen. Wegen des Glückstags, an dem er geboren worden war, gab ihm seine Mutter den Zweitnamen Fortunato, den Joachim aber Zeit seines Lebens peinlich fand und schon zu Gymnasialzeiten hinter einem verschämten F. versteckte. Hildegard hatte die Entscheidung der Namensgebung alleine treffen müssen, denn zu ihrem Unglück kehrte auch Joachims Vater nicht aus dem Krieg zurück. Beim Rückzug der deutschen Einheiten war er von der Offensive der Alliierten in Form eines amerikanischen Sherman-Panzers überrollt worden und konnte erst Jahre später durch die unermüdliche Suche des Roten Kreuzes gefunden und der Familie Steinhoff zugeordnet werden.
Das Schicksal wollte es demnach, dass Joachim in einem reinen Frauenhaushalt aufwuchs. Nach der mit Bestnoten bestandenen Reifeprüfung und dem im Anschluss daran abgelegten Wehrdienst ging er zum Studium der Jurisprudenz nach Heidelberg. Er galt als fleißig, strebsam und konnte den damals beginnenden Unruhen unter den Studenten nichts abgewinnen. Im Gegenteil schien er ein festes Regelwerk geradezu zu suchen und fand es in Form einer schlagenden Verbindung, der er noch im ersten Semester beitrat und die ihm neben dem Respekt der Kommilitonen einen prächtigen Schmiss an der linken Wange einbrachte. Im Kreise seiner Kameraden galt Joachim als leidenschaftslos und ging höchstens bei den regelmäßig stattfindenden Gelagen aus sich heraus. In der Tat konnte er sich nur für sehr wenige Dinge begeistern, in erster Linie für Fußball, insbesondere die Mannschaft seiner Heimatstadt, die Frankfurter Eintracht.
Der Wagen des Bestattungsinstituts bog in die Einfahrt unseres Anwesens in der Mörfelder Landstraße ein und fuhr leise durch den knöchelhohen Schnee. Ich beobachtete das Ganze hinter dem Vorhang des Salons, denn ich erwartete die Herren bereits. Ich hatte sie eigens darum gebeten, erst nach Einbruch der Dunkelheit zu erscheinen, da ich die Neugier der wenigen Nachbarn nicht unnötig wecken wollte. Womöglich dächten sie sonst noch, im Hause Steinhoff sei jemand verstorben.
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