Diese Teilgebiete sind nicht strikt voneinander zu trennen, sondern es gibt vielfältige Überschneidungen. Zahlreiche Ergebnisse aus den Bereichen der Neuen Institutionenökonomik, z.B. über bestimmte Vertragsgestaltungen, über die Auswirkungen asymmetrischer Information oder über die interne Organisation von Unternehmen sind in die Industrieökonomik eingeflossen und Resultate z.B. über oligopolistische Märkte finden Verwendung in der Informations- und Transaktionskostenökonomik. Im Vergleich zur Theorie des allgemeinen Gleichgewichts sind diese Ansätze deutlich realistischer, allerdings unterliegen sie der Einschränkung, dass in der Regel nur ein einzelner Markt betrachtet wird. Es handelt sich also um so genannte partialanalytische Modelle. Das komplexe System einer Volkswirtschaft mit allen Wechselwirkungen und Rückkoppelungseffekten zwischen den Märkten bleibt unbeachtet. Für viele Fragen, die im Bereich der Wettbewerbstheorie im Zentrum des Interesses stehen, sind diese Effekte in aller Regel nur von untergeordneter Bedeutung.
Die letzte wichtige Einschränkung im Zusammenhang mit der Theorie des allgemeinen Gleichgewichtes ist der statische Charakter des Modells. Es werden keinerlei Veränderungen z.B. bezüglich der Zahl der Unternehmen und Konsumenten, der verwendeten Technologien oder der Anzahl der verschiedenen Güter betrachtet. Das Verhalten von Konsumenten und Unternehmen wird bei gegebenen Rahmenbedingungen untersucht, mit ausschließlicher Konzentration auf Gleichgewichtszustände. Anpassungsprozesse an ein Gleichgewicht und die dabei ablaufende Zeit spielen keine Rolle – es handelt sich um ein statisches, atemporales Modell. Veränderungen der Rahmenbedingungen, d.h. dynamische Aspekte, wie z.B. Marktein- und -austritte, Innovationen, technischer Fortschritt oder die Entwicklung und Vermarktung neuartiger Produkte werden im Modell des allgemeinen Gleichgewichts systematisch ausgeblendet. Dies ist jedoch, insbesondere für Fragen der dynamischen Effizienz, deren zentraler Aspekt ja gerade derartige Änderungen in den Rahmenbedingungen ist, eine erhebliche Einschränkung.28 Für die Teilgebiete der Neuen Institutionenökonomik und der Industrieökonomik gilt diese Einschränkung in deutlich geringerem Maße. Im Rahmen dieser Forschungsbereiche werden Modelle zu Innovationen, Forschung und Entwicklung, Marktein- und Marktaustritten oder zeitlich sequentiellen Entscheidungen entwickelt. Allerdings ist auch bei den Versuchen, intertemporale oder dynamische Aspekte zu erfassen, eine starke Betonung des Gleichgewichtsgedankens unverkennbar.
Vollkommene Konkurrenz und Allokationseffizienz.Trotz dieser zahlreichen und restriktiven Annahmen stellt die Wirtschaftstheorie weiterhin auf das Modell der vollkommenen Konkurrenz als zentralen Bezugspunkt ab, weil ein Wettbewerbsgleichgewicht eine Reihe von wünschenswerten Eigenschaften besitzt, die in den beiden Hauptsätzen der Wohlfahrtstheorie zusammengefasst werden. Der erste Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie besagt, dass die Allokation im allgemeinen Gleichgewicht pareto-effizient ist. Alle Tauschgewinne sind ausgeschöpft und es gibt keine Möglichkeit, ein Wirtschaftssubjekt besser zu stellen, ohne gleichzeitig ein anderes schlechter zu stellen. Allerdings könnte die im Gleichgewicht realisierte Allokation jedoch sehr ungleich und aus verteilungspolitischen Erwägungen nicht akzeptabel sein. Der zweite Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie besagt nun, dass unter bestimmten Voraussetzungen durch geeignete Eingriffe, wie z.B. Umverteilungsmaßnahmen, jeder gewünschte pareto-effiziente Zustand als ein Wettbewerbsgleichgewicht erreicht werden kann.29
Die Theorie des allgemeinen Gleichgewichts, wie sie von Arrow und Debreu entwickelt wurde, geht von einer festen Anzahl von Unternehmen aus, eine Annahme, die zur Beschreibung langfristiger Entwicklungen auf einem Markt häufig nicht geeignet ist. Daher wird in einem alternativen Modell unterstellt, dass eine potentiell unendliche Anzahl von Unternehmen gebildet werden kann, die in einen Markt eintreten, wenn dort positive Gewinne erwirtschaftet werden können.30 Diesen Unternehmen steht die effizienteste Produktionstechnologie zur Verfügung. Realisieren Unternehmen jedoch Verluste, werden sie den Markt verlassen. Ein langfristiges Wettbewerbsgleichgewicht ist dadurch charakterisiert, dass Angebot und Nachfrage auf diesem Markt ausgeglichen sind, die Unternehmen ihren Gewinn maximieren und keine weiteren Marktein- oder Marktaustritte erfolgen. Letzteres ist dann der Fall, wenn Unternehmen weder Gewinne realisieren noch Verluste machen, d.h. jedes Unternehmen produziert im Minimum seiner Stückkosten.31 Da in den ökonomischen Kosten, den Opportunitätskosten, der kalkulatorische Unternehmerlohn und die Kapitalverzinsung bereits enthalten sind, bedeutet die Null-Gewinn-Bedingung, dass jedes Unternehmen den Normalgewinn realisiert. Weiterhin hat das langfristige Gleichgewicht die Eigenschaft, die volkswirtschaftliche Rente zu maximieren, d.h. es ist pareto-optimal.
Vollkommene Konkurrenz und Produktionseffizienz.Die einzelwirtschaftliche Produktionseffizienz ist im Modell des allgemeinen Gleichgewichts gewährleistet. Da im Arrow-Debreu-Modell die Zahl der Unternehmen kurzfristig jedoch fest gegeben ist und keine Marktein- und Marktaustritte stattfinden, ist ein Gleichgewicht mit positiven Gewinnen möglich. Langfristig jedoch werden diese positiven Gewinne durch Markteintritte verringert und es wird ein Zustand erreicht, in dem alle Unternehmen im Minimum ihrer langfristigen Stückkosten produzieren, d.h. jeweils die optimale Betriebsgröße erreicht haben. Dabei wird angenommen, dass die neu in den Markt eintretenden Unternehmen Zugang zur effizientesten Technologie haben und es keine Marktzutritts- oder Marktaustrittsschranken gibt. Aufgrund der zusätzlichen Unternehmen im Markt würde die angebotene Menge steigen und könnte, bei gegebener Nachfrage, nur zu einem geringeren Preis abgesetzt werden. Ineffiziente Unternehmen müssten den Markt verlassen, bis schließlich alle Unternehmen die effizienteste Technologie verwenden. Ein entsprechender Zusammenhang zwischen der Produktivität und Marktein- und Marktaustritten konnte in einigen Untersuchungen auch empirisch bestätigt werden.32
Vollkommene Konkurrenz und dynamische Effizienz.Da es sich beim Modell des allgemeinen Gleichgewichtes um ein statisches, atemporales Modell handelt, erlaubt es keine Aussagen über dynamische Aspekte des Wirtschaftsprozesses. Selbst wenn man ein Gleichgewicht als Resultat eines nichtmodellierten Anpassungsprozesses auffasst, kann diese Theorie zur Erklärung des zeitlichen Ablaufs von Wettbewerbsprozessen nur wenig beitragen. Zwar wurden auch Versuche unternommen, die Theorie des allgemeinen Gleichgewichtes intertemporal zu formulieren, indem man Güter mit einem Zeitindex versehen hat, aber sie bleibt trotz dieser Modifikation weiterhin eine statische Theorie, denn alle Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte werden einmalig und für die gesamte Zukunft getroffen. Auch die Theorie des langfristigen Gleichgewichts ist, trotz Berücksichtigung von Marktein- und Marktaustritten, dem Gleichgewichtskonzept verhaftet. Zwar können Unternehmen den Markt betreten oder ihn verlassen, aber es werden keine Innovationen durchgeführt, keine neuen Güter auf den Markt gebracht und keine neuen Technologien entwickelt. Auch in diesem Modell vollziehen sich keine Prozesse, sondern es wird ein Zustand betrachtet, in dem keine Veränderungen mehr stattfinden.
Neben diesem methodischen Argument kann man die Frage untersuchen, ob und in welchem Maße Unternehmen bei vollkommenem Wettbewerb Investitionen in Forschung und Entwicklung tätigen. Dabei hat es sich als sinnvoll erwiesen, zwischen Prozess- und Produktinnovationen zu unterscheiden. Dabei handelt es sich bei ersteren um neue, kostengünstigere Herstellungsverfahren und bei letzteren um verbesserte oder neuartige Produkte. Der Anreiz, z.B. durch eine Prozessinnovation günstiger als die Konkurrenz zu produzieren, ist für ein Unternehmen auf einem Wettbewerbsmarkt groß, denn dann könnte es zumindest für einen gewissen Zeitraum deutlich höhere Gewinne realisieren oder versuchen, durch eine Unterbietung der Konkurrenten eine temporäre Monopolstellung zu erlangen.33 Bei einer Produktinnovation hätte das Unternehmen wenigstens für die Zeit des Patentschutzes eine Monopolstellung mit den entsprechenden größeren Gewinnen. Wettbewerb zwischen Unternehmen auf einem Markt mit vollkommener Konkurrenz findet also hinsichtlich der dynamischen Effizienz nicht mittels des Preises als Wettbewerbsparameter, sondern durch Innovationen statt. Dies gilt vor allem in Märkten, die durch raschen technischen Wandel gekennzeichnet sind. Allerdings erzielen Unternehmen bei vollkommenem Wettbewerb zumindest langfristig keine höheren als die Normalgewinne, d.h. es stehen ihnen oftmals keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, um in riskante Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu investieren.34 Dies legt die Vermutung nahe, dass die vollkommene Konkurrenz für die dynamische Effizienz des Wirtschafts- und Wettbewerbsprozesses nicht besonders geeignet ist.
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