Zumeist werden für den Gesamtwohlfahrtsstandard die folgenden Argumente angeführt: Die Berücksichtigung sowohl der Konsumenten- als auch der Produzentenrente sorge dafür, dass eine größere Zahl effizienzerhöhender Entwicklungen ermöglicht werde als bei einer Beschränkung auf die Betrachtung der Konsumentenrente. Viele Unternehmen gehörten Aktionären, die gleichzeitig Konsumenten seien, sodass eine Erhöhung der Produzentenrente letztlich auch den Konsumenten zugute komme. Weiterhin wird argumentiert, dass eine Erhöhung der Produzentenrente die Unternehmen in die Lage versetze, einen größeren Betrag in Forschung und Entwicklung zu investieren, von der mittel- und langfristig auch wieder die Konsumenten profitierten.14
Für die Konzentration auf die Konsumentenrente als Beurteilungskriterium hingegen spreche die Tatsache, dass es im Unterschied zu den Unternehmen den Konsumenten im Allgemeinen nicht möglich sei, ihre Interessen zu bündeln, um im politischen Prozess hinreichend Berücksichtigung zu finden. Daher müssten die Interessen der Konsumenten bereits institutionell, im Rahmen des Wettbewerbsrechts bzw. der Wettbewerbspolitik Beachtung finden, was durch den Konsumentenwohlfahrtsstandard gewährleistet sei. Auch können bei Anwendung dieses Standards Unternehmen mögliche Informationsvorteile gegenüber den Wettbewerbsbehörden nicht mehr ausnutzen. Ein weiteres, pragmatisches Argument für diesen Standard ist, dass er einfacher anzuwenden sei, da wettbewerbsrechtliche bzw. -politische Maßnahmen bereits anhand einer zu erwartenden Preisänderung beurteilt werden könnten und Änderungen der Produzentenrente nicht berücksichtigt werden müssten. Ein weiteres Argument, das für den Konsumentenwohlfahrtsstandard angeführt wird, ist, dass das Ziel der Gesamtwohlfahrt besser erreicht wird, wenn die Wettbewerbsbehörden sich am Konsumentenwohlfahrtsstandard orientieren. So wurde gezeigt, dass eine Ankündigung der Wettbewerbsbehörden, sich am Konsumentenwohlfahrtsstandard zu orientieren, dazu führt, dass vor allem solche Zusammenschlüsse stattfinden werden, die die Gesamtwohlfahrt erhöhen.15 Wenn Unternehmen durch Lobbying das Ergebnis eine Fusionsentscheidung beeinflussen können, dann führt ein gewichteter Durchschnitt von Produzenten- und Konsumentenrente mit einem größeren Gewicht für letztere zu einem Ausgleich des Einflusses der Unternehmen auf die Wettbewerbsbehörden.16
Die Entscheidung über den Standard zur Beurteilung wettbewerbsrechtlicher bzw. -politischer Maßnahmen ist letztlich normativer Natur.17 Die meisten Wirtschaftswissenschaftler neigen dem Gesamtwohlfahrtsstandard zu, da sie sich in aller Regel an der gesamten Wohlfahrt orientieren und Verteilungsfragen anderen Politikbereichen zuweisen.18 Der Gesamtwohlfahrtsstandard lässt die Verteilung der volkswirtschaftlichen Rente zwischen Produzenten- und Konsumentenrente bewusst unberücksichtigt, entscheidend ist nur ihre absolute Höhe. Die Aufteilung auf Konsumenten und Unternehmen könnte durch eine entsprechende Verteilungs- oder Steuerpolitik geregelt werden. Verteilungsfragen werden also anderen Politikbereichen als der Wettbewerbspolitik zugeordnet.19 Verwendet man hingegen den Konsumentenwohlfahrtsstandard, dann wird über die Verteilung der volkswirtschaftlichen Rente bereits im Rahmen der Wettbewerbspolitik bzw. des Wettbewerbsrechts mitentschieden: Nur solche Maßnahmen und Entwicklungen sind unproblematisch, die die Konsumenten an den Vorteilen teilhaben lassen. Die normative Frage, welcher Wohlfahrtsstandard anzuwenden sei, wird in verschiedenen Jurisdiktionen unterschiedlich beantwortet. So wird in Europa und in den USA tendenziell der Standard der Konsumentenwohlfahrt herangezogen, während in Ländern wie z.B. Kanada, Australien und Neuseeland auch die Produzentenrente mitberücksichtigt wird.20
1Benannt nach dem italienischen Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto (1848–1923). 2Es kann theoretisch auch der Fall eintreten, dass die Nachfragefunktion in bestimmten Bereichen auch einen steigenden Verlauf hat. Derartige so genannte Giffen-Güter konnten jedoch empirisch bisher noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. 3Das in der Wirtschaftstheorie verwendete Kostenkonzept entspricht zumeist nicht den buchhalterischen Kosten, sondern es handelt sich um sogenannte Opportunitätskosten. Diese enthalten z.B. auch den kalkulatorischen Unternehmerlohn und die marktübliche Kapitalverzinsung. 4Allerdings kann auch der Fall abnehmender Grenzkosten auftreten. In diesem Fall liegt ein sogenanntes natürliches Monopol vor, denn in einer solchen Situation wäre es am kostengünstigsten, die gesamte Produktionsmenge nur in einem einzigen Unternehmen herzustellen. 5Bei langfristiger Betrachtung ist die Produzentenrente gleich dem Gewinn des Unternehmens, in kurzfristiger Betrachtung differieren Produzentenrente und Gewinn um den Betrag der Fixkosten, die ja in diesem Fall nicht in die Grenzkosten eingehen. 6Vgl. S. 20–22. Der Begriff der „dynamischen Effizienz“ hat deshalb in der ökonomischen Theorie nicht den gleichen theoretischen Status wie die Konzepte der Allokations- und Produktionseffizienz. 7Allerdings gibt es theoretische Modelle, die zeigen, dass in bestimmten Situationen zuviel in Forschung und Entwicklung investiert wird, als für die Gesellschaft optimal wäre. 8Auf dieses Problem haben bereits Hayek und Hoppmann in ihrer Diskussion von Wettbewerb als ergebnisoffenem Prozess aufmerksam gemacht. Vgl. Hayek (1968) sowie Hoppmann (1988). 9Vgl. Farrell/Katz (2006), Heyer (2006). 10Zum Konsumentenwohlfahrtsstandard vgl. Cseres (2006). 11Dabei ist zu berücksichtigen, dass „Konsument“ nicht nur den Endverbraucher bezeichnet, sondern Nachfrager allgemein. Vgl. hierzu Akman (2008). 12Vgl. Williamson (1968) sowie Farrell/Shapiro (1990). Vgl. auch S. 620–623. 13Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei Anwendung des Gesamtwohlfahrtsstandards unterstellt ist, dass eine Umverteilung, d.h. eine Änderung der Einkommensverteilung, selbst keine Wohlfahrtseffekte bewirkt. Dies gilt jedoch nur unter sehr spezifischen Voraussetzungen. 14Vgl. hierzu S. 9–11. 15Vgl. Friedolfsson (2007); Lyons (2002). 16Vgl. Neven/Röller (2005). 17Die Frage nach dem anzuwendenden Wohlfahrtsstandard ist im Kontext des „New Brandeis Movements“ in der US-amerikanischen Wettbewerbspolitik in jüngerer Zeit wieder thematisiert worden. Vgl. hierzu S. 638f. und die dort angegebene Literatur. 18Vgl. z.B. Farrell/Katz (2006). 19Dieses Argument setzt jedoch implizit voraus, dass die Höhe der volkswirtschaftlichen Rente unabhängig von einer möglicherweise später erfolgenden Umverteilung ist. Vgl. auch Fn. 9. Die Frage der Umverteilung von volkswirtschaftlicher Rente von den Konsumenten auf die Produzenten gehörte zu den traditionellen Argumenten der Wettbewerbspolitik. Dieser Aspekt wurde von Pittman (2007) wieder aufgegriffen. 20Lyons (2002) sowie Motta (2004), 20.
B. Wettbewerb und Effizienz
Bisher wurden die ökonomischen Ziele des Wettbewerbsrechts bzw. der Wettbewerbspolitik nur in abstrakt-genereller Form dargestellt, ohne deutlich zu machen, in welcher Weise der Wettbewerb dazu beiträgt, diese Effizienzkriterien zu erfüllen. Im Folgenden sollen nun die wirtschaftstheoretischen Grundlagen dargestellt werden, mit deren Hilfe Aussagen darüber getroffen werden können, inwieweit Wettbewerb dazu führt, die genannten Ziele zu erreichen. Dabei werden die in der Wirtschaftstheorie untersuchten Marktformen der vollkommenen Konkurrenz, des Monopols sowie des Oligopols diskutiert. Auf den Fall des Monopsons sowie des Oligopsons wird ebenfalls kurz eingegangen.
I. Vollkommene Konkurrenz
Wie oben beschrieben, liegt eine effiziente Allokation auf einem Markt nur dann vor, wenn der Preis des Gutes den Grenzkosten seiner Herstellung entspricht und Angebot und Nachfrage sich ausgleichen. In diesem Fall sind alle Tauschgewinne, die auf diesem Markt erzielt werden können, ausgeschöpft. Betrachtet man nicht nur einen einzelnen Markt, sondern eine gesamte Volkswirtschaft, dann muss diese Bedingung simultan für alle Märkte erfüllt sein, damit die gesamte volkswirtschaftliche Rente maximiert wird. Es stellt sich daher die Frage, ob und unter welchen Bedingungen in einer Marktwirtschaft eine Situation existieren kann, bei der simultan auf allen Märkten eine effiziente Allokation vorliegt, d.h. ein allgemeines Gleichgewicht. Diese zentrale Frage der Wirtschaftstheorie konnte in allgemeiner Form erst in den 1950er Jahren durch die Arbeiten von Arrow, Debreu und McKenzie positiv beantwortet werden.21 Für die Existenz eines allgemeinen Gleichgewichts, das auch als Walras-Gleichgewicht22 oder als Gleichgewicht bei vollkommener Konkurrenz bzw. Wettbewerbsgleichgewicht bezeichnet wird, müssen jedoch eine Reihe restriktiver Bedingungen erfüllt sein, die in der Realität, wenn überhaupt, nur in einer sehr geringen Anzahl von Märkten vorliegen. Es sei in diesem Zusammenhang deutlich darauf hingewiesen, dass die Theorie des allgemeinen Gleichgewichtes sich nicht als realistische Beschreibung einer existierenden Marktwirtschaft versteht und auch keineswegs so interpretiert werden sollte. Auch ist ein Wettbewerbsgleichgewicht kein anzustrebendes Ziel der Wettbewerbspolitik. Vielmehr handelt es sich bei diesem Konstrukt um eine Idealvorstellung der Wirtschaftstheorie, das in erster Linie dazu dient, die Funktionsweise einer Marktwirtschaft, insbesondere die allokative Rolle von Preisen, zu verdeutlichen.
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