Alternativ zur Kreuzpreiselastizität kann die Umlenkungskennziffer (diversion ratio) verwendet werden, um zu ermitteln, welches die engsten Substitute eines gegebenen Produktes sind. Die Umlenkungskennziffer bezüglich der Produkte 1 und 2 gibt an, wie viel vom Nachfragerückgang bei Produkt 1, der durch eine Preiserhöhung dieses Produkts verursacht wird, auf Produkt 2 umgelenkt wird. Die Umlenkungskennziffer zwischen den Produkten 1 und 2 ist definiert als Quotient aus der Kreuzpreiselastizität von Produkt 1 bezogen auf eine Preisänderung von Produkt 2 ( ε 21) und der Preiselastizität der Nachfrage für Produkt 1 ( ε 1):
Dabei bezeichnen p 1bzw. p 2die Preise und Q 1bzw. Q 2die Mengen der Produkte 1 und 2. Die Umlenkungskennziffer gibt an, wie groß der Anteil der Nachfrage ist, den das Produkt 1 bei einer Preiserhöhung an das Produkt 2 verliert. Wenn die Umlenkungskennziffer der Produkte 1 und 2 z.B. 0,75 wäre, dann würden 75 % des Nachfragerückgangs bei einer Preiserhöhung des Produktes 1 zum Produkt 2 gehen. Die restlichen 25 % verschieben sich auf andere Produkte. In diesem Fall ist Produkt 2 das engste Substitut und sollte als nächstes in den Kandidatenmarkt aufgenommen werden.82
Manchmal ist es sinnvoll, die Umlenkungskennziffer mit dem Relativpreis der beiden Produkte zu gewichten. Dies ergibt die Umlenkungskennziffer in Bezug auf den Erlös:
Diese Umlenkungskennziffer gibt an, wie viel an Erlös durch eine Erhöhung des Preises von Produkt 1 auf das Produkt 2 umgelenkt wird. Die Höhe des umgelenkten Umsatzes hängt natürlich von den Preisen der beiden Produkte ab.
Beide Konzepte können herangezogen werden, um mögliche Substitute entsprechend ihrer Kreuzpreiselastizität bzw. ihrer Umlenkungskennziffer bezogen auf ein bestimmtes Gut zu ordnen, sodass im Zuge des hypothetischen Monopolistentests die nächstbesten Substitute dem Kandidatenmarkt hinzugefügt werden. Dabei kann der Fall eintreten, dass Kreuzpreiselastizitäten und Umlenkungskennziffern nicht zur gleichen Rangfolge der Produkte führen, da die Umlenkungskennziffer auch von den abgesetzten Mengen der beiden Produkte abhängt. Sind diese Mengen sehr verschieden, dann kann dies zu unterschiedlichen relevanten Märkten führen, je nachdem ob die nächstbesten Substitute mit der Kreuzpreiselastizität oder der Umlenkungskennziffer ermittelt wurden.
Für die Entscheidung des hypothetischen Monopolisten für oder gegen eine Preiserhöhung ist vor allem die Preiselastizität der Nachfrage von Bedeutung, die Kreuzpreiselastizitäten spielen dabei nur insoweit eine Rolle, als sie einen Einfluss auf die Preiselastizität haben. Aus diesen Gründen ist die häufige Verwendung der Kreuzpreiselastizitäten für Fragen der Marktabgrenzung verfehlt.83 Das Konzept ist nur insoweit von Interesse, als es dazu beitragen kann, im Zuge des hypothetischen Monopolistentests die jeweils engsten Substitute zu identifizieren.84
Wenn keine empirischen Belege für das Substitutionsverhalten der Verbraucher vorliegen, sodass Elastizitäten und Umlenkungskennziffern quantitativ nicht ermittelt werden können, muss das nächst beste Substitut, das dem Kandidatenmarkt hinzugefügt wird, anhand der besten zur Verfügung stehenden qualitativen Indikatoren ausgewählt werden. Dabei könnten Kriterien wie funktionelle Austauschbarkeit, physische Eigenschaften, Verwendungszweck und Preislage Anhaltspunkte dafür liefern, welche Produkte als enge Substitute in Frage kommen. Für das Problem der Marktabgrenzung selbst sind sie jedoch nicht geeignet.85
Um die Marktmacht eines gewinnmaximierenden hypothetischen Monopolisten durch Nachfragesubstitution zu beschränken, ist es im Allgemeinen nicht notwendig, dass ein großer Teil der Konsumenten oder zumindest mehr als die Hälfte der Nachfrager auf Substitute ausweichen muss. Es reicht aus, dass eine hinreichende Zahl von Konsumenten substituiert. Selbst wenn es größere Konsumentengruppen gibt, die nicht in der Lage sind, das Gut durch ein anderes zu substituieren, bedeutet dies nicht, dass ein Unternehmen Marktmacht ausüben kann. Entscheidend für die Frage der Marktmacht sind die marginalen Konsumenten, denn diese bestimmen die Preiselastizität der Nachfrage.
Neben den Ausweichreaktionen der Nachfrager kann der Marktmacht eines hypothetischen Monopolisten auch durch eine Angebotssubstitution Schranken gesetzt werden.86 Hebt der hypothetische Monopolist den Preis des Gutes an, dann könnte es für andere Anbieter attraktiv sein, ebenfalls dieses Produkt anzubieten, um aufgrund des gestiegenen Preises höhere Gewinne zu erwirtschaften. Eine solches Produkt kann im Prinzip durch Unternehmen angeboten werden, die bereits auf einem anderen sachlichen bzw. räumlichen Markt tätig sind, aber ihr Angebot sehr flexibel umstellen bzw. umleiten können. Bei differenzierten Gütern könnte eine Angebotssubstitution mittels einer Repositionierung existierender Güter durch Änderung einiger ihrer Eigenschaften erfolgen. Zusätzliches Angebot könnte aber auch von Unternehmen stammen, die erst nach entsprechenden Investitionen, z.B. in die Produktionsanlagen, in den Markt eintreten können. Im ersten Fall handelt es sich um Angebotssubstitution, während man beim zweiten Fall eher von Marktzutritt sprechen würde. Die Unterschiede betreffen zum einen die Zeit, die ein Unternehmen benötigt, um auf dem betrachteten Markt tätig zu werden. Kann ein Unternehmen sehr schnell, d.h. innerhalb weniger Monate auf eine Preiserhöhung reagieren und das Produkt anbieten, dann setzt dies der Marktmacht des hypothetischen Monopolisten Schranken in vergleichbarer Weise wie eine Nachfragesubstitution.87 Zum anderen unterscheiden sich Angebotssubstitution und Markteintritt dadurch, dass erstere dann vorliegt, wenn ein Unternehmen auf dem Markt tätig werden kann, ohne dass erst erhebliche versunkene Kosten anfallen, d.h. es die Möglichkeit eines „uncommitted entry“ hat und sehr schnell auf aktuelle Preiserhöhungen reagieren kann. Sind jedoch erst erhebliche Kosten zu versenken, um in den Markt eintreten zu können, dann handelt es sich um einen „committed entry“, der meist erst nach längerer Zeit erfolgen kann und daher auch vom erwarteten Marktergebnis nach erfolgtem Eintritt abhängt. Beim hypothetischen Monopolistentest sollte daher die Angebotssubstitution im Rahmen der Marktabgrenzung berücksichtigt werden, während Marktzutritt bzw. potentieller Wettbewerb nach Abschluss der Marktabgrenzung bei der Analyse des Wettbewerbs auf dem relevanten Markt erfolgen sollte.88
Um die Angebotssubstitution systematisch bei der Marktabgrenzung zu berücksichtigen, wurde eine modifizierte Form des hypothetischen Monopolistentests, der Full Equilibrium Relevant Market (FERM) Test vorgeschlagen. Dieser Test berücksichtigt die Angebotsreaktionen anderer Unternehmen auf eine Preiserhöhung seitens des hypothetischen Monopolisten. Dieser Test wurde auf den Markt für Computer-Server angewandt. Es zeigte sich, dass sich ein kleinerer relevanter Markt ergab als bei Anwendung des üblichen hypothetischen Monopolistentests. In der Anwendungspraxis hat sich dieser Test jedoch bislang noch nicht etablieren können.89
Um der Marktmacht eines hypothetischen Monopolisten durch eine Angebotssubstitution Schranken zu setzen, muss ein Unternehmen vor allem über die entsprechenden Produktionsanlagen und das technische Knowhow verfügen, um ein Substitut herstellen zu können. Darüber hinaus müssen auch die notwendigen Distributionskanäle und das Marketing zur Verfügung stehen. Die Angebotsumstellung sollte schnell und ohne Kosten erfolgen können und die Kapazitäten, die für die Herstellung und den Vertrieb des Substitutes umgewidmet werden sollen, dürfen nicht durch längerfristige Verträge gebunden sein. Eine Angebotsumstellung wird von einem Unternehmen nur dann durchgeführt werden, wenn dadurch eine Erhöhung des Gewinns zu erwarten ist.90 Wenn eine dieser Bedingungen nicht erfüllt ist, dann wird das Unternehmen kaum in der Lage sein, durch eine Angebotssubstitution eine Preiserhöhung zu verhindern.
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