II. Indirekte Erfassung von Marktmacht
Die indirekte Erfassung von Marktmacht basiert darauf, dass von den Marktanteilen, die ein Unternehmen hat, ein Rückschluss auf die Marktmacht gezogen wird. Analog kann anhand von erwarteten Änderungen in den Marktanteilen aufgrund einer Fusion eine Aussage über die Änderung von Marktmacht, d.h. die Entstehung oder Veränderung einer marktbeherrschenden Stellung, getroffen werden. Wenn der Marktanteil als Indiz für Marktmacht verwendet wird, dann sollte der Markt so abgegrenzt sein, dass die Marktanteile ein möglichst präzises Bild der Marktmacht bzw. des Grades der Marktbeherrschung geben. Ein exaktes Bild kann es aus konzeptionellen Gründen nicht sein, da auch bei großen Marktanteilen eines Unternehmens nicht notwendig Marktmacht vorliegen muss, z.B. wenn die Nachfrage sehr preiselastisch reagiert. Bei der indirekten Ermittlung von Marktmacht geht man also in drei Schritten vor: Zuerst wird ein Markt abgegrenzt, dann werden die Marktanteile der Unternehmen bestimmt und schließlich müssen diese Marktanteile unter Berücksichtigung der Wettbewerbsbedingungen auf diesem Markt interpretiert werden, um eine Aussage darüber treffen zu können, ob Marktbeherrschung vorliegt, bzw. ob durch einen Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird.42 Dabei sind neben den Marktanteilen als Maß für die Konzentration und als Indiz für das Vorliegen von Marktmacht noch weitere Aspekte bei der Beurteilung der wettbewerblichen Situation auf einem Markt zu berücksichtigen. So könnte z.B. eine erhebliche Nachfragemacht dazu führen, dass selbst bei hohen Marktanteilen ein Unternehmen die Preise nicht signifikant über das Wettbewerbsniveau anheben kann. Eine ähnliche Rolle kann der potentielle Wettbewerb spielen. Die Abgrenzung des relevanten Marktes ist also aus ökonomischer Sicht nur ein Instrument, Hilfsmittel und Zwischenschritt, um das eigentliche Ziel zu erreichen, die Feststellung und Beurteilung von Marktmacht.43
42„... that the analysis does not end when the market has been defined and that simpleminded measures of market power or concentration, like simple-minded binary treatments of market definition, are unlikely to be adequate substitutes for a full analysis.“ Fisher (1987), 28. 43Vgl. Bishop/Walker (2010), 108; Werden (1983), 516 sowie Werden (1992), 197.
1. Abgrenzung von Märkten – Ökonomische Marktkonzepte
In der Wirtschaftstheorie werden, je nach Frage und Erkenntnisinteresse, unterschiedliche Marktkonzepte verwendet. So wird für Fragen der Preisbildung und der Analyse von Gleichgewichten vor allem das Konzept eines ökonomischen Marktes (economic market) herangezogen. Hierbei werden Güter und Märkte identifiziert, sodass ein solcher Markt nur ein einziges homogenes Gut umfasst und Arbitrage dazu führt, dass auf diesem Markt nur ein einziger Preis für das Gut existiert. Da in der Wirtschaftstheorie Güter nach physischen Eigenschaften, Ort und Zeitpunkt der Bereitstellung unterschieden werden, führt ein entsprechender Marktbegriff dazu, dass, z.B. bei differenzierten Gütern, für jedes Gut ein eigener Markt vorliegt.44 Ein solches Marktkonzept ist für Fragen der Existenz von Gleichgewichten oder der Funktionsweise des Preismechanismus sinnvoll, ist allerdings für wettbewerbspolitische Zwecke ungeeignet, denn hier ist festzustellen, ob ein Unternehmen oder eine Gruppe von Unternehmen in der Lage ist, Marktmacht auszuüben bzw. zu ermitteln, wodurch der Marktmacht von Unternehmen wettbewerbliche Schranken gesetzt werden.45
Das Konzept des ökonomischen Marktes hatte sich in der Wirtschaftstheorie als geeignetes Instrument erwiesen, um die Marktformen der vollkommenen Konkurrenz, sowohl partialanalytisch als auch in Modellen des allgemeinen Gleichgewichtes, sowie des Monopols zu analysieren. Bis in die 1930er Jahre konzentrierte sich die Wirtschaftstheorie auf die Analyse dieser polaren Marktformen. Erst mit den Arbeiten von Sraffa , Robinson , Chamberlin und Triffin wurde begonnen, Märkte mit differenzierten Gütern zu analysieren, in denen sowohl Elemente des Wettbewerbs als auch des Monopols auftreten.46 Hierbei stellte sich das Problem, den Markt festzustellen, in dem ein solcher monopolistischer Wettbewerb stattfindet, und es wurden im Zuge dieser Überlegungen erstmalig Marktabgrenzungen vorgenommen. Die seinerzeit entwickelten Konzepte der Substitutionslücke ( Robinson , Chamberlin ), oder das im Rahmen eines Modells des allgemeinen Gleichgewichts von Triffin verwendete Konzept der externen Interdependenz waren als Instrumente und Hilfsmittel gedacht, eine bestimmte Marktform, die der monopolistischen Konkurrenz, näher zu analysieren und Gleichgewichte auf solchen Märkten zu beschreiben. Sie sind daher für die wettbewerbspolitisch relevanten Fragen nach der Marktmacht von Unternehmen und ihrer wettbewerblichen Schranken keine idealen Werkzeuge. Dies gilt auch für andere im Zusammenhang mit differenzierten Gütern vorgeschlagene Konzepte der Marktabgrenzung.
Im Rahmen einer Analyse der Qualitätsbestimmung auf Wettbewerbsmärkten hat Abbott das Konzept eines Bedarfsmarktes nahegelegt, indem er zwischen den psychologisch unscharfen Begriffen der Grundbedürfnisse und der abgeleiteten Bedürfnisse unterscheidet.47 Eine ähnliche Argumentation verwendet Arndt in einem Aufsatz zur Gleichgewichtsanalyse und zum Monopolkonzept und führt zur Analyse das Konzept des Bedarfsmarktes ein.48 Ein Bedarfsmarkt ist der Deckung eines bestimmten „gesellschaftlichen Bedarfes“ gewidmet. Auf ihm werden heterogene Güter mit unterschiedlichen Preisen gehandelt und er bildet nur einen Teilmarkt innerhalb der Volkswirtschaft.49 Allerdings sind auch diese Konzepte dafür entwickelt worden, Gleichgewichte auf Märkten mit monopolistischer Konkurrenz zu analysieren, nicht aber für die zentralen Fragen der Wettbewerbspolitik. Andere Methoden zur Marktabgrenzung gehen stattdessen eher vom Konzept einer Industrie aus, wie der auf Marshall zurückgehende Ansatz von Bain , der die Unternehmen in einem Sektor in Untergruppen gliedert, die er als Industrie definiert.50 Unternehmen in einer solchen Industrie stellen enge Substitute her, die die Nachfrage einer bestimmten Gruppe von Abnehmern bedienen. Dabei sind enge Substitute Varianten eines Gutes, die sich in Form und Funktion ähneln und ein spezifisches Bedürfnis der Konsumenten befriedigen.
Diese Formen der Marktabgrenzung wurden von den Wirtschaftswissenschaften für andere Zwecke als für Analysen von Marktmacht oder Marktbeherrschung entwickelt und sind daher als Instrument zur Untersuchung dieser Fragen nur bedingt geeignet. Allerdings muss sich die Wirtschaftswissenschaft den Vorwurf gefallen lassen, sich lange Zeit nicht um das Problem der Marktabgrenzung für Fragen der Wettbewerbspolitik gekümmert zu haben. So klagt Stigler noch 1982: „My lament is that this battle on market definitions, which is fought thousands of times what with all the private antitrust suits, has received virtually no attention from us economists. Except for a casual flirtation with cross elasticities of demand and supply, the determination of markets has remained an undeveloped area of economic research at either the theoretical or empirical level.“51
Da sich aber in der Praxis das Problem der Marktabgrenzung beständig stellte, war man gezwungen, sich anfänglich mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten wie dem Bedarfsmarktkonzept zu behelfen. Hierzu wurde eine Reihe von Kriterien zur praktischen Marktabgrenzung entwickelt. So ordnete man Produkte dem gleichen Markt zu, wenn sie hinsichtlich ihrer Funktion, ihren Eigenschaften, ihrer Preislage und ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck als austauschbar oder substituierbar angesehen werden. Diese Kriterien stammen eher aus dem Bedarfsmarktkonzept oder der Bainschen Form der Marktabgrenzung und sind für eine Marktabgrenzung, die eine möglichst präzise Antwort auf die Frage nach Marktmacht bzw. Marktbeherrschung ermöglichen soll, aus mehreren Gründen eher skeptisch zu beurteilen.52
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