Konzeptionell wird bei Fusionskontrollverfahren wie folgt vorgegangen: Es wird mit einem Kandidatenmarkt begonnen, der nur die Produkte der fusionierenden Unternehmen enthält, und es wird untersucht, ob das Unternehmen nach dem Zusammenschluss bei gewinnmaximierendem Verhalten eine kleine, aber signifikante Preiserhöhung durchführen wird.70 Die Preiserhöhung muss nicht die gleiche für alle Produkte im Kandidatenmarkt sein. Wenn sich die Gewinnmargen der Produkte erheblich unterscheiden, dann könnten auch produktspezifische Preiserhöhungen unterstellt werden. In einer symmetrischen Situation mit ähnlichen Gewinnmargen und vergleichbarer Nachfrage ist eine einheitliche Preiserhöhung jedoch eine sinnvolle Annahme. Weiterhin wird angenommen, dass Unternehmen, die nicht im Kandidatenmarkt sind, nicht auf diese Preisänderung reagieren. Wenn also ein hypothetischer, gewinnmaximierender Monopolist eine solche Preiserhöhung durchführen würde, dann ist der relevante Markt abgegrenzt. Die Marktanteile können ermittelt und, unter Berücksichtigung der Wettbewerbsbedingungen auf dem so abgegrenzten Markt, interpretiert werden. Kann jedoch das fusionierte Unternehmen bei gewinnmaximierendem Verhalten keine derartige Preiserhöhung durchsetzen, dann ist der Markt zu klein für einen Antitrustmarkt, dem hypothetischen Monopolisten sind durch den Wettbewerb, d.h. durch Ausweichreaktionen der Nachfrager bzw. Reaktionen anderer Anbieter, Grenzen gesetzt. Eine Variante des hypothetischen Monopolistentests geht nicht von einer Preiserhöhung bei gewinnmaximierendem Verhalten aus, sondern fragt, ob eine Preiserhöhung von z.B. 5 % für den hypothetischen Monopolisten profitabel wäre. Dies kann zu unterschiedlichen relevanten Märkten führen, wenn z.B. ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist den Preis nur um 3 % erhöhen würde, eine Preiserhöhung um 5 % aber noch profitabel wäre.
An dieser Stelle kann zwischen der sachlichen und der räumlichen Marktabgrenzung unterschieden werden. Im Rahmen der sachlichen Marktabgrenzung müssen dem Kandidatenmarkt weitere Produkte hinzugefügt werden, während ihm bei der räumlichen Marktabgrenzung weitere Gebiete hinzugefügt werden.71 Dann wird der Test wiederholt, solange bis ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist eine solche Preiserhöhung durchführen würde.72 Der relevante Markt ist also der kleinste sachliche und räumliche Markt, für den diese Bedingung erfüllt ist. Nur wenn man den relevanten Markt auf diese Weise abgrenzt, hat man die zentralen wettbewerblichen Schranken erfasst, die der Ausübung von Marktmacht gesetzt sind, und nur dann können die Marktanteile der Unternehmen ein brauchbares Indiz für Marktmacht sein.73 Entscheidend für die Frage, ob ein hypothetischer Monopolist eine kleine aber signifikante Preiserhöhung durchführen wird, sind die Reaktionen der Nachfrager und der Anbieter. Beide werden im Weiteren näher betrachtet.
c) Einzelaspekte der Marktabgrenzung
Im Folgenden werden die wesentlichen Aspekte behandelt, die bei Abgrenzung des relevanten Marktes zu berücksichtigen sind. Bei der Gedankenführung wird aus den zuvor genannten Gründen (oben S. 89–93) jeweils vom Konzept des hypothetischen Monopolistentests ausgegangen.
Sämtliche Ausweichreaktionen der Nachfrager bei einer Preiserhöhung werden, wie auf den Seiten 67–70 bereits beschrieben, durch die Preiselastizität der Nachfragefunktion erfasst.74 Ist diese Preiselastizität gering, dann würde eine kleine, aber signifikante Preiserhöhung nur zu einem geringen Rückgang in der Nachfrage führen und der hypothetische Monopolist könnte hierdurch einen höheren Gewinn erzielen. Dies ist immer dann der Fall, wenn den Konsumenten keine ausreichenden Substitutionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.75 Reagiert die Nachfrage hingegen sehr preiselastisch, dann führt eine Preiserhöhung zu keiner Erhöhung des Gewinns, da bereits eine kleine Anhebung des Preises einen großen Nachfragerückgang induziert.76 In diesem Fall stehen den Nachfragern hinreichend sachliche und räumliche Substitute zur Verfügung, auf die sie bei einer Preiserhöhung ausweichen würden.77 Wenn sich nun herausstellt, dass sich der hypothetische Monopolist einer sehr preiselastischen Nachfrage gegenübersieht, dann müsste der relevante Markt durch Einbeziehung weiterer Güter und Gebiete erweitert werden. Dabei sollten zuerst die in sachlicher und räumlicher Hinsicht engsten Substitute der betrachteten Güter und Gebiete berücksichtigt werden, da vor allem durch diese die Ausübung von Marktmacht verhindert würde. Werden diese nun dem Kandidatenmarkt hinzugefügt, dann werden diese hohen Schranken entfernt und die nächst niedrigeren Schranken werden relevant.
Um die engsten Substitute, die gegebenenfalls dem Kandidatenmarkt hinzuzufügen sind, zu ermitteln, können die Konzepte der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage oder der Umlenkungskennziffer (diversion ratio) herangezogen werden. Die Kreuzpreiselastizität gibt an, um wie viel Prozent sich die Nachfrage nach einem Gut ändert, wenn der Preis eines anderen Gutes um 1 % erhöht wird. Eine hohe positive Kreuzpreiselastizität zwischen zwei Gütern deutet darauf hin, dass zwischen diesen Gütern eine enge Substitutionsbeziehung vorliegt, während eine Kreuzpreiselastizität von Null bedeutet, dass zwischen den betrachteten Gütern keine nähere Beziehung besteht.78 Eine negative Kreuzpreiselastizität macht deutlich, dass die beiden Güter in einer komplementären Beziehung stehen, d.h., wird das eine Gut teurer, wird auch vom anderen weniger nachgefragt. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Kreuzpreiselastizität zwischen zwei Gütern A und B a priori wenig darüber aussagt, ob ein Gut eine wettbewerbliche Schranke für die Ausübung von Marktmacht darstellt. So kann selbst im Falle einer geringen Kreuzpreiselastizität keine Marktmacht vorliegen, wenn es viele Güter gibt, auf die die Nachfrager bei einer Preiserhöhung ausweichen können. Produkte mit niedriger Kreuzpreiselastizität können also im gleichen relevanten Markt liegen. Aber andererseits ist auch ein hoher Wert der Kreuzpreiselastizität mit dem Vorliegen erheblicher Marktmacht vereinbar, d.h. auch Produkte mit hoher Kreuzpreiselastizität stellen nicht immer wettbewerblichen Schranken dar.79 Dies gilt z.B. dann, wenn die Marktvolumina der Güter sich deutlich unterscheiden. So kann ein Gut, das nur in sehr geringer Menge konsumiert wird, also kein wichtiges Substitut darstellt, eine hohe Kreuzpreiselastizität aufweisen. Werden z.B. von einem Gut A 1.000.000 Einheiten im Jahr verkauft, von einem anderen Gut B jedoch nur 1.000, so würde bei einer Preiserhöhung des Gutes A um 5 % und einer Kreuzpreiselastizität von 25 die Nachfrage nach dem Gut B um 1.250 zunehmen. Dies bedeutet jedoch nur einen Rückgang der verkauften Menge des Gutes A um 0,125 %. Betrug der Preis pro Einheit des Gutes A vor der Preiserhöhung 1 Euro, so war der Gewinn 1.000.000 Euro. Nach der Preiserhöhung beträgt der Gewinn trotz verringerter Menge jedoch 1.048.687 Euro, liegt also um 48.687 Euro höher. Dies macht deutlich, dass weder hohe noch niedrige Kreuzpreiselastizitäten etwas über Marktmacht aussagen. Selbst die Kenntnis aller Kreuzpreiselastizitäten reicht nicht aus, um einen Rückschluss auf die Marktmacht zu ziehen, da es von zentraler Bedeutung ist, ob das Produkt einen großen oder geringen Anteil am Gesamtbudget hat.80 Die Preiselastizität der Nachfrage enthält all diese Informationen, denn sie setzt sich aus den Kreuzpreiselastizitäten mit allen anderen Gütern zusammen, wobei berücksichtigt ist, mit welchem Gewicht diese anderen Güter im Durchschnitt in das Budget der Nachfrager eingehen.81 Allerdings kann in vielen Fällen davon ausgegangen werden, dass zwischen zwei Produkten, die demselben relevanten Markt angehören, eine hohe Kreuzpreiselastizität besteht.
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