Und er wusste, dass seine Uhr ablief. Er war auf der Höhe seiner körperlichen Attribute. In ein paar Jahren würde kein Hahn mehr nach ihm krähen und dann wäre es um ihn geschehen. Also gab er stets sein Bestes, um perfekt auszusehen. Er wusste, dass die Kunden nur die mitnahmen, die ihnen auf Anhieb gefielen. Schon vier Mal war der weiße Tiger in die Endausscheidung gekommen und doch war er immer noch hier. Ein wenig Glück und die Fähigkeit sich zu präsentieren, gehörten eben auch dazu.
Ein neuer Kunde war vielversprechend. Je mehr Käufer kamen, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, gewählt zu werden. Aber neue Kunden waren auch problematisch, stellten einen Risikofaktor dar. Wie würde der neue Besitzer seine Sklaven behandeln? Was waren die Vorlieben dieses Menschen? Diese und noch viel mehr Fragen wurden insgeheim diskutiert, solange die Wesen unter sich waren, fernab der wachsamen Augen ihrer Peiniger. Schon so einige Wesen hatten die Gunst eines Käufers erregt und waren dem Schlächter Ursay entkommen. Ob es ihnen allerdings besser erging als den Zurückgebliebenen, wusste keiner. Also blieb ihnen nur die Hoffnung. Hoffnung auf ein besseres Leben. Hoffnung auf einen guten Meister.
Der Primär kam zurück in den Raum und stellte die Reihe nach seinem Willen um. Nun war der Tiger weit hinten und würde als letztes drankommen. Auch wenn ihm das nicht zusagte, verzog er keine Miene. Für die Wesen war der Primär des Händlers nicht einer der ihren, sondern eine Abscheulichkeit, ein Verräter und ein Monster, der wie alle Menschen, den Tod verdiente.
Mit wachsamen gelben Augen prüfte die rechte Hand des Schlächters die Ware , wobei er penibel Haltung und Aussehen begutachtete.
»Du«, keifte der Teufel und zeigte auf einen Hundesklaven. »Dein Blick gefällt mir nicht und dein Aussehen ebenso wenig. Raus aus der Reihe oder muss ich nachhelfen?«
Gehorsam trottete der angesprochene Sklave aus der Reihe und zu seinem Strohhaufen.
»Mach dich nützlich, Sklave. Wenn ich wiederkomme, hast du alles Stroh hier erneuert, sonst…« Mit einem dämonischen Grinsen im Gesicht wandte der Primär sich ab. »So, alle anderen der Reihe nach und zeigt euch von eurer besten Seite.«
Im Vorzimmer angekommen, mussten alle warten, um dann einzeln durch den Vorhang zu treten. Der weiße Tiger spitzte die Ohren und versuchte, die Kommentare des Kunden zur präsentierten Ware aufzuschnappen. Allerdings konnte er nur vereinzelte Wörter hören.
»Also die Otter …«
»… mein Herr … nicht zu verkaufen … schlechte Ware …«
Oh, die Otterbrüder. Ja, von denen hatte der Tigersklave gehört. Sie waren verkauft und zwei Tage später wieder zurückgebracht worden. Was genau vorgefallen war, wusste er nicht. Zu viel Neugierde war gefährlich. Am Ende war es auch egal, denn er kannte die Strafe für Misserfolg: den Tod.
Der Primär hatte also einen Fehler gemacht und dem Kunden schlechte Ware präsentiert. Sein Herz machte einen schadenfrohen Sprung, wobei er darauf achtete, seine Maske aufrecht zu erhalten. Es geschah diesem Sadisten recht, auch einmal gezüchtigt zu werden. Für diesen Fehler würde der gelbe Tiger leiden müssen, das stand fest. Er verkniff sich ein Grinsen, denn er konnte die wachsamen gelben Augen auf sich gerichtet spüren. Der weiße Tiger wusste, nur ein kleiner Fehler und er hätte keine Chance, sein Glück bei dem Kunden zu versuchen. Sekunden wurden zu Stunden und als sich der Primär von ihm abwandte, atmete er erleichtert aus. Das war nochmal gut gegangen.
Plötzlich kam Bewegung in das Monster und es stürzte sich auf eines der Wesen. »Was gibt es denn da zu grinsen, Abschaum?«, frage der Primär wütend. Der gelbe Tiger war allen anderen was Größe und Muskeln betraf deutlich überlegen und hatte keine Mühe, sein Opfer mit einer seiner Pranken gegen die Wand zu pressen. Ohne eine Antwort abzuwarten, traf die Faust des Monsters den wehrlosen Sklaven und dieser sackte bewusstlos zu Boden.
»Du, räum den Müll hier weg und stell dich wieder in die Reihe«, schnauzte er das nächstbeste Wesen an. Sein Blick glitt über die verängstigten Wesen und nun zeigte sich auf seinem Gesicht ein dämonisches Grinsen. Der Primär war die rechte Hand des Teufels und das zeigte er auch. Schnell wurde sein Befehl umgesetzt, während das Monster an seinen Platz am Vorhang zurückging.
»Der Nächste«, knurrte der gelbe Tiger und sofort trat der erste in der Reihe durch den Vorhang.
»Hm…«, war alles was der Tigersklave vom Kunden hören konnte. Einer nach dem anderen stieg durch den Vorhang und wurde abgelehnt. Der Kunde war offenbar sehr wählerisch.
Als der vorletzte Sklave zum Vorzeigen ging, konnte der weiße Tiger einen schnellen Blick auf den Kunden erhaschen. Ein Junge, ein halbes Kind. Na, wenn das nicht seine Chance war, endlich hier herauszukommen und zu fliehen. Angestrengt dachte er über seine Möglichkeiten nach.
»Du bist dran, Kleiner«, schnaubte der Primär abfällig und drängte ihn, sich zu beeilen.
Guten Mutes schritt er majestätisch durch den Vorhang. Nach vier Schritten hatte er die Plattform direkt vor den beiden Menschen erreicht. Die Augen des Jünglings fixierend streckte er sich und zeigte seinen Körper. Der Kunde ließ den Blick über ihn wandern. Ein seltsamer Ausdruck lag in diesen blauen Augen, aber das störte ihn nicht und so wartete er geduldig ab. Genau in dem Moment, als der Blick des Knaben auf seinem Lendenschurz ruhte, setzte er seinen Plan um. Mit einer eleganten Bewegung durchschnitt der Tiger mit einer seiner scharfen Krallen den dünnen Stoff und entblößte sich völlig.
Dazu räkelte er sich ausgiebig und schenkte dem Knaben einen verführerischen Blick. Früher hätte er sich geschämt, nackt vor einem anderen so zu posieren. Früher… Das war lange Vergangenheit. Vor der Gefangenschaft; vor dem, was man ihm angetan hatte. Scham war das erste, was sie einem als Frischfleisch austrieben und heute wusste er, dass sein Körper seine einzige verbleibende Waffe war. Diesen Trumpf auszuspielen, war jedoch ein gefährliches Unterfangen. Bei einem Misserfolg würde er lange nicht vorzeigbar sein.
Aus den Augenwinkeln sah er die Zornesröte im Gesicht des Händlers. Jetzt konnte er nur still beten und hoffen, erwählt zu werden. Stille kehrte ein und nichts geschah. Dann errötete der Junge und hob den Blick. Der weiße Tiger konnte einen Schauer nicht unterdrücken. Diese kristallblauen Augen, dieser wissende, unergründliche Ausdruck, das passte überhaupt nicht zur Schamesröte des Menschen.
Nach wenigen Momenten wandte sich der Kunde an den Händler und stammelte: »Den, ähm, nehme ich.«
Erleichtert atmete der weiße Tiger aus. Er hatte es geschafft. Dieser Knabe würde nicht lange zwischen ihm und seiner Freiheit stehen. Innerlich begann er bereits Fluchtpläne zu schmieden. Noch einmal schenkte sein alter Meister ihm einen bösen Blick, dann wandte sich der Geschäftsmann dem Kunden zu und beachtete den Sklaven nicht weiter.
»Eine vortreffliche Wahl, mein Herr«, schmeichelte er. Mit einer schnellen Geste schickte er den erwählten Sklaven auf ein Podest. Demütig und mit gesenktem Kopf stellte der junge Tiger sich auf den ihm zugewiesenen Platz.
»Wünscht der Herr vielleicht noch ein paar exquisite Spielsachen ?«, fragte der Händler, schnippte mit den Fingern und der Vorhang der kleinen Bühne wurde hochgezogen. Zum Vorschein kamen allerlei Dinge. Vom Netzhemd über diverse Dildos und Mundknebel, bis hin zu Peitschen und chirurgisch aussehenden Werkzeugen. Die Augen des Jungen weiteten sich. Nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, stand er auf, um sich die Spielsachen genauer anzusehen. Der Kunde stöberte ein wenig und besah sich die Lederfesseln genauer.
»Ich nehme die hier. Das hier. Und oh Gott…, was ist denn das ?«
Читать дальше