Fast drei Stunden lang ritt, taumelte und rollte sie von einer Seite zur anderen, hob den Achtersteven, stellte sich mit dem Bug fast in den Himmel und wurde gebeutelt.
Dann klang der schwere Sturm unmerklich ab, und die Männer erschienen wieder an Deck. Dort unten war es fast noch schlimmer gewesen als hier oben.
Shane hielt sich an dem Manntau fest und blickte voraus. In der dunklen Wand erschienen hellere Flecken, der Schaum nahm ab, und die hohen tintenschwarzen Wasserberge färbten sich grau.
„Daß sie das überstanden hat“, sagte er kopfschüttelnd, „grenzt ja direkt an ein Wunder.“
Er mußte immer noch laut brüllen, um verstanden zu werden, aber er sah den Seewolf nicken.
„Das Gröbste ist vorbei!“ rief er laut. „Aber wir haben Unmengen Wasser gezogen und liegen ziemlich tief.“
Das bedeutete wiederum pumpen, pumpen und nochmals pumpen, bis zum Umfallen, aber selbst daran hatten sie sich nun schon gewöhnt.
„Ihr könnt die Spiere und die Tampen wieder einholen“, sagte Hasard. „Wir setzen wieder das Focksegel und gehen auf unseren Kurs zurück.“
Spürbar flaute der Wind ab, seine Heftigkeit ließ nach, und nachdem die Fock gesetzt worden war, jagte die Feluke fast gierig über das Meer.
Die See dünte langgezogen. Immer noch tauchte das Schiff hart ein, aber im Vergleich zu vorhin war das nur ein Klacks.
„Dem Himmel sei Dank“, sagte Dan O’Flynn erleichtert. Dann sah er plötzlich in Hasards ratlos wirkendes Gesicht. Gleichzeitig scherte die Feluke leicht aus dem Kurs. Von achtern war im selben Augenblick ein leichtes Krachen zu hören.
Die Männer sahen sich entgeistert an.
„Das Ruderblatt ist gebrochen“, sagte Hasard fassungslos. „Kein Druck mehr, das ist ja unglaublich.“
„Nachwehen sind das“, knurrte Shane gereizt. „Jetzt hat sie diesen verdammten Sturm überstanden, und jetzt, nachdem das Wasser fast ruhig ist, da bricht das verdammte Ding weg.“
Auf dem Ruder lag tatsächlich kein Druck mehr. Hasard bewegte es ungläubig hin und her. Nichts, die Feluke begann zu gieren, das Ruder ließ sich mühelos bewegen wie ein Schwengel, dem der Widerstand fehlt.
Er hörte seine Männer erbittert fluchen und konnte es ihnen nicht verdenken, denn er fluchte lauthals mit. Wenn sie diesen lausigen Teppichhändler jetzt …
„Diesen verdammten Mistkahn soll doch der Teufel holen!“ brüllte Shane voller Wut. Er hob die riesigen Fäuste und drohte aufs Meer hinaus. „Ja, geht das denn immer so weiter, verdammt noch mal?“
Dan O’Flynn und Batuti rannten über das schwankende Deck nach vorn, ohne daß es einer Aufforderung bedurft hätte. Erneut begann der Nervenkrieg mit diesem Höllenschiff, das auf den ersten Blick so prächtig ausgesehen hatte, so daß sie alle darauf hereingefallen waren. Hasard ärgerte sich schwarz, daß man ihn derart übers Ohr gehauen hatte.
Aber was half’s? Sie mußten wieder ranklotzen und improvisieren, nur stand ihnen diesmal eine Heidenarbeit bevor.
Erneut wurde die Fock eingeholt und anschließend ein Treibanker ausgebracht, der die Feluke vor dem Wind hielt. So trieben sie nochmals zwei Stunden, ehe der Schaden besichtigt werden konnte, und das Ergebnis verblüffte sie doch. Das verdammte Ruderblatt hatte den gewaltigen Sturm überstanden. Es war erst gebrochen, als sich das Meer wieder beruhigt hatte, und es war so gebrochen, daß sie damit lange Zeit beschäftigt sein würden.
Erst als die See sich beruhigt hatte, gingen sie daran den Schaden mit unzulänglichen Bordmitteln zu beheben. Dabei fluchten sie, was das Zeug hielt.
Es war ein Kreuz mit diesem Kahn. Kaum war der eine Schaden behoben, da tauchte der nächste auf.
Dazwischen mußte gepumpt werden, denn die Wassereinbrüche waren ganz beträchtlich. Diesmal klotzten die Zwillinge hart mit ran, denn an Deck wurde jetzt jede Hand gebraucht.
Hasard sah auf den Schimpansen, der lustlos auf dem nassen Deck hockte und ein grämliches Gesicht zog. Schade, daß sie dem das Pumpen nicht auch beibringen konnten, dachte er. Sie brauchten wirklich jede Hand. Konnte man einem Affen das nicht doch beibringen, überlegte er. Arwenack war einigermaßen intelligent. Allerdings war er auch so intelligent, daß er sich dafür als gänzlich ungeeignet erwies, denn als der Seewolf es probehalber einmal versuchte, da fletschte Arwenack nur sein Gebiß und begann wie ein alter Hund zu knurren.
Aber die anderen taten das auch. Sie fluchten und brummten vor sich hin, und ihre Laune befand sich auf einem absoluten Tiefpunkt. Jede Minute dachten sie an den Teppichhändler und bezogen ihn in ihre Verwünschungen mit ein. Aber der Halsabschneider und Schnapphahn war weit weg. Ganz sicher lachte er sich eins ins Fäustchen, daß er ein paar Dumme gefunden hatte, die ihm den Mistkahn auch noch vergoldeten.
Für die Seewölfe-Gruppe unter Hasard aber ging es ums nackte Überleben, denn diese Feluke war wie ein Sarg, der sie bald alle auf Tiefe ziehen würde.
Sie hatten es nur Big Old Shane und seinen handwerklichen Künsten zu verdanken, daß sie wieder weitersegeln konnten. Die Reparatur war nur notdürftig ausgeführt worden, aber das Ruder hielt, und so wurde die Reise unter lauten Flüchen und Verwünschungen fortgesetzt.
Am neunten Juni stand die Feluke nördlich von Bengasi in See, und an diesem Nachmittag geschah einiges.
Der Wind wehte beständig aus Nord, und die Feluke lief gute Fahrt. Der Himmel war wieder blau, das Meer dünte nur leicht, und der Ärger über das Schiff wurde langsam in der Erinnerung verdrängt. Aber immer noch zog sie Wasser, und die Pumperei nahm kein Ende.
Dan O’Flynn hatte in der See einen winzigen Punkt entdeckt, stecknadelkopfgroß nur, aber er war ihm nicht entgangen. Jetzt griff er zum Spektiv und konzentrierte sich auf diesen Punkt.
„Eine zweimastige Feluke“, sagte er zu Hasard. „Sie kreuzt von Süden auf. In einer halben Stunde dürften wir mit ihr zusammentreffen.“
„Von Feluken habe ich langsam die Nase voll“, sagte der Seewolf. Dann schwiegen beide wieder, nur Dan griff hin und wieder nach dem Kieker und warf einen langen Blick hindurch.
Langsam erkannte er Einzelheiten. Als die Feluke noch näher heran war, da preßte er den Kieker immer stärker ans Auge und schüttelte ein paarmal ungläubig den Kopf.
Hasard war das seltsame Gebaren nicht entgangen, er sah auch, daß es ständig um Dans Mundwinkel zuckte.
Er warf einen Blick auf die ankreuzende Feluke, dann schaute er wieder Dan O’Flynn an, der den Kieker ungläubig absetzte und sich das Auge rieb, das rötlich entzündet schien.
Wieder sah er durch den Kieker, dann hörte Hasard ihn leise murmeln: „Geister gibt’s keine, nein, es gibt keine Geister.“
„Dein Alter behauptet aber das Gegenteil“, meinte Hasard. „Überhaupt – von welchen Geistern faselst du denn?“
Dans Gesicht war erschreckend lang geworden, und in seinen Augen lag ein drohender Ausdruck. Bevor er eine Antwort gab, warf er nochmals einen Blick durch den Kieker, und dann hatte er die Gewißheit.
Auf dem Achterdeck der Feluke stand Uluch Ali, älter geworden zwar, aber unverkennbar der alte Schnapphahn und Piratenknochen, mit dem sie so hart zusammengerasselt waren, und der als längst tot und erledigt galt.
„Uluch Ali ist an Bord der Feluke“, stieß Dan hastig atmend hervor.
„Du bist ja verrückt“, sagte Hasard lachend. „Uluch Ali! Den hat längst der Scheitan geholt, das ist nicht einmal sein Geist.“
Dan reichte ihm das Spektiv und zeigte noch einmal ungläubig und voller Staunen auf die Feluke.
„Sieh dir die Schnapphähne an. Und sieh dir ganz besonders diese bärtige Ratte auf dem Achterdeck an. Ich täusche mich nicht.“
Diese Ungeheuerlichkeit, die Dan da eben behauptet hatte, erwies sich als tatsächlich wahr. Sie war so unglaublich, daß der Seewolf betroffen den Kopf schüttelte.
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