Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-671-9
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Irland erschien an diesem späten Vormittag als blaßgrauer Strich an der Kimm und mutete aus der Ferne wie der Rücken eines auf dem Bauch liegenden Giganten an.
Der Ruf des Ausgucks hatte die Männer an Bord der spanischen Galeone aus ihren recht eintönigen, brütenden Gedanken hochgeschreckt, und jetzt standen sie fast alle am Schanzkleid der Kuhl oder auf der Back und winkten dem Land jubelnd entgegen.
Philip Hasard Killigrew war in den Luvfockwanten aufgeentert und hing etwa einen halben Yard über Dan O’Flynn, der sich ebenfalls an den Webeleinen festhielt.
„Kein Zweifel!“ rief Dan. „Das ist wirklich Irland! Die lieben Dons haben uns also doch nicht hinters Licht geführt!“
Natürlich sprach er vorsichtshalber Englisch, das verstand keiner der Spanier. So hatten sich Hasard und seine Männer während der Zeit der Überfahrt immer dann ihrer Muttersprache bedient, wenn es etwas zu bereden galt, das nicht für die Ohren der regulären Schiffsbesatzung bestimmt war.
Hasard blickte nach unten und streckte die Hand nach dem Spektiv aus, das Dan ihm jetzt zuwarf. Geschickt fing er es auf, hob das Okular ans Auge und spähte hindurch. Ja, auch er erkannte nun einwandfrei, daß das, was sich vor ihnen erstreckte, nur die grüne Insel sein konnte. Zu eindeutig gab die Beschaffenheit dieser sanft geschwungenen Hügel Auskunft darüber, daß man sie nicht belogen hatte und in Wirklichkeit vielleicht woanders hinführte, nach Frankreich etwa oder in die Niederlande.
So wurde Hasard aller Bedenken enthoben, die er über die Person Juan Bernardo Oroscos gehabt haben mochte, über den Kapitän der Galeone „Rosa de los Vientos“.
Hin und wieder hatte sich der Seewolf ausgemalt, daß es für den spanischen Kapitän nicht schwer gewesen wäre, ihm und seinen Männern hinsichtlich der jeweiligen Position, an der sie sich befanden, etwas vorzuschwindeln. Tagsüber wurde strikt nördlicher Kurs gehalten, doch was geschah nachts? Wie nun, wenn die Spanier sie an einen entlegenen Platz gebracht hätten, um sie dort in eine Falle zu locken und auszuplündern oder aber einfach nur, um ein paar verhaßte Engländer über die Klinge springen zu lassen.
Nichts von alledem – Don Juan Bernardo Orosco hatte sich als eine ehrliche Haut entpuppt. Mehr als das Geld, das Hasard ihm schon in Cadiz für die Reise von Spanien nach Irland gegeben hatte, wollte er nicht, und er war auch kein England-Hasser, der nur auf eine Gelegenheit wartete, um einen verdammten Briten aus dem Weg zu räumen.
„He!“ schrie Big Old Shane, der sich gerade auf der Back umgedreht hatte. „Hasard, freust du dich gar nicht? Endlich kriegen wir wieder ein paar ordentliche Gallonen Bier in den Bauch! Wie lange ist es jetzt schon her, daß wir kein Bier mehr getrunken haben!“
„Wenn du das verdammte irische Bier meinst, pfui Teufel, darauf kann ich auch verzichten“, sagte Matt Davies neben ihm. „Da ist mir sogar der ägyptische Wein noch lieber.“
Shane, der ehemalige Schmied von Arwenack, stieß einen saftigen Fluch aus und fuhr zu dem Mann mit der Eisenhakenprothese herum. „Hör mal, Mister Davies, wir hatten doch vereinbart, daß wir Ägypten vorläufig mit keinem Wort mehr erwähnen, oder irre ich mich?“
„Du irrst dich nicht“, erwiderte Matt. „Tut mir leid. Also: Mir ist der Rotwein lieber, den wir an Bord dieses Kahns haben, als das irische Bier.“
„So klingt das schon besser“, sagte Shane. „Aber was hast du eigentlich gegen das Bier der Iren?“
„Es ist mir zu bitter.“
Sie stritten noch eine Weile über das Bier herum, aber weder Hasard und Dan noch Gary Andrews, Batuti und die Zwillinge, die unten am Schanzkleid des Hauptdecks standen, hörten richtig hin.
Ägypten – ja, das war ein Wort, das Stiche in ihren Herzen hervorrief und sie in Wut versetzte. Ägypten war eine Niederlage auf der ganzen Linie für sie gewesen. Dort hatten sie ihr Schiff, die „Isabella VIII.“, für immer eingebüßt, und dort hatte es sie auseinandergerissen und in alle Himmelsrichtungen verstreut.
So konnte der Seewolf nicht froh sein, wenngleich sie nun doch endlich wieder in Englands unmittelbarer Nähe waren und die Heimat in fast greifbare Nähe gerückt war.
Immer wieder mußte er an seine Männer denken, die jetzt nicht mehr bei ihm weilten und über deren Schicksal sie im ungewissen waren – Ben Brighton und all die anderen sechzehn Männer. Wie war es ihnen ergangen? Wo mochten sie stecken? Wenn er darüber nachsann, fühlte er, wie Sorge und Schuldbewußtsein sich auf ihn senkten und ihn unter ihrer Last fast erdrückten.
Lebten die Männer überhaupt noch?
Nach Cadiz war Hasard mit denen gelangt, die sich jetzt auch an Bord der „Rosa de los Vientos“, der „Windrose“, befanden: Shane, die Zwillinge Philip und Hasard, Dan, Batuti, Gary und Matt. Mit dabei war außerdem noch Arwenack, der Schimpanse. Dies war der klägliche Überrest der einst so stolzen „Isabella“-Mannschaft.
Und doch mußte Hasard noch froh sein, daß wenigstens sie es bis nach Spanien geschafft hatten und nach all den durchstandenen Abenteuern und Strapazen an Bord dieses Kauffahrers gelangt waren. Hundertfach hätten sie sterben können, niemand hätte sie gerettet, und bald wären die Erlebnisse des Seewolfs nur noch eine Legende gewesen, die man sich an den Biertischen der Hafenkneipen erzählte.
Dans Stimme holte Hasard in die Realität zurück. Er ließ das Fernrohr sinken und sah nach unten.
„Sir“, sagte Dan. „Der Kapitän wünscht dich zu sprechen.“
Tatsächlich stand auf dem Backbordniedergang, der die Back mit der Kuhl verband, der Aufklarer und gestikulierte zu Hasard und Dan hoch.
„Señor Killigrew!“ rief er. „Don Juan erweist Ihnen die Ehre, Sie in seiner Kammer zu empfangen!“
„Danke“, sagte Hasard. „Ich bin schon unterwegs.“
Er enterte ab und reichte Dan im Vorbeiklettern das Spektiv zurück. Wenn Kapitän Orosco nach ihm verlangte, wollte er ihn nicht warten lassen. So, wie der Aufklarer sie vorgetragen hatte, mochte Don Juans Einladung eher herablassend klingen, aber der Seewolf wußte, daß dies die unerläßliche äußere Form war, ein wenig umständlich, wie es nun mal der Art der. Spanier entsprach, aber im Grunde doch nicht arrogant und herabwürdigend.
Noch einmal blickte Hasard zu seinen. Männern und las in ihren Mienen. Die Stimmung war nach wie vor nicht rosig, wie sollte sie es auch sein? Die Sorgen, die man sich um das ungewisse Schicksal der anderen „Isabella“-Besatzungsmitglieder bereitete, wurden zwar gern durch Gespräche überspielt wie das, das gerade zwischen Shane und Matt Davies stattfand – doch im Grunde wußten sie alle ja nur zu gut, daß sie sich gegenseitig nichts vorzuerzählen brauchten.
Die Zeit der Überfahrt hatten sie dadurch verkürzt, daß sie – obwohl zahlende „Passagiere“ an Bord der etwa zweihundert Tonnen großen Galeone – bei der Decksarbeit kräftig mit zugepackt hatten.
„In die Hände spucken und reinhauen“, hatte Shane das genannt. „Wenn ich nicht ständig was um die Ohren habe, wird mir hundeelend zumute.“
So ging es nicht nur ihm, so empfanden auch Hasard und die anderen Männer und sogar die Zwillinge. Je länger man beschäftigt war und je erschöpfter man nach dem Dienst an Deck in die Koje sank, desto seltener stellten sich die deprimierenden Gedanken über das Schicksal der anderen Kameraden ein.
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