Die Zwillinge, die das hörten, waren sofort empört.
„Dieses liebe und verspielte Tier wollen Sie abknallen, Mister Brighton?“ rief Hasard junior. „Der ist ja schon fast wie ein Mensch.“
„Der Delphin kann nichts dafür, wenn der Händler ihn mißbraucht“, schaltete sich nun auch Philip ein. „Der weiß bestimmt nicht, was er tut.“
„Nein, auf den Delphin schießen wir nicht“, sagte auch der Seewolf sehr bestimmt. „Gerade diese Tiere scheinen eine gewisse Intelligenz zu haben, und es geht mir gegen den Strich, auf diese freundlichen Meeresbewohner zu feuern.“
„Du mußt es ja wissen, Sir“, sagte Ben. „Später, wenn dieser lausige Händler uns überlistet hat, werden wir sicher bereuen, nicht auf den Delphin gefeuert zu haben.“
„Wir kennen das Geheimnis der Feluke“, entgegnete Hasard. „Und wir sind auf diesen schlitzohrigen Händler eingestellt. Er weiß nicht, daß wir es wissen, und aus diesem Grund wird es ihm auch nicht mehr gelingen, uns zu übertölpeln. Das habe ich schon einmal betont, falls du dich erinnerst.“
Hasard sah nach den Flögeln. Die „Isabella“ lief wieder gute Fahrt, seit sie die Kalme hinter sich hatten, und so hatten sie sich eine Menge Knochenarbeit erspart.
„Von nun an werden wir wenigstens immer wissen, wo die Feluke steht“, sagte Hasard zur Verblüffung der anderen. „Der Mann im Ausguck wird mit einem Spektiv darauf achten, wann der Delphin achteraus wieder auftaucht. Dann loggen wir unsere Geschwindigkeit, und die des Delphins, falls uns das gelingt. Aber annähernd läßt sich das schon schätzen. Er umkreist uns, kehrt zurück und erscheint wieder. Anhand der Zeit können wir die Strecke errechnen. Das wird für dich eine prächtige Aufgabe sein, Dan. Du rechnest doch so gern.“
„Mann, das ist ein Ding“, sagte Big Old Shane staunend. „Eine verdammt gute Idee.“
Der Delphin blieb jetzt ein regelmäßiger Gast, und Hasards Theorie hatten sich alle anderen längst angeschlossen. Es gab keinen Zweifel mehr daran, daß sie es hier mit einem fast menschlichen Fühlungshalter zu tun hatten, der schnell heranjagte, das Schiff ein paarmal umkreiste und dann pfeilschnell wieder zurückschwamm. Dort wurde er wahrscheinlich jedesmal mit einem Fisch belohnt, und der Delphin mochte es vielleicht als ganz bequem empfinden, die Futtersuche los zu sein.
Doch etwas später konnten sie sich nicht mehr um ihn kümmern, denn weit voraus wurde ein Schiff gesichtet, das die Flagge der Sieben Provinzen führte. Ziemlich angeschlagen, soweit man das von hier aus beurteilen konnte, trieb es mit nur ganz wenigen Segeln in der See.
Es war ungefähr auf der Höhe des fünfunddreißigsten Breitengrades, wo die viermastige Galeone trieb.
Durch das vergrößernde Spektiv ähnelte sie einem Totenschiff, denn an Deck zeigte sich kein Leben, auch stimmte die Segelstellung nicht mit dem Kurs überein.
Dem Viermaster fehlte der Besan, eine Rah war zersplittert, das Schanzkleid aufgerissen, Planken zerfetzt und verbogen. Kurzum, das Schiff der Sieben Provinzen befand sich in einem erbarmungswürdigen Zustand.
„In einen Sturm kann es nicht geraten sein“, sagte Dan O’Flynn. „Der zertrümmert ein Schiff anders. Die Holländer scheinen Piraten in die Hände gefallen zu sein, oder sie haben sich in einem Gefecht mit jemandem angelegt, der ihnen überlegen war.“
Hasards Mißtrauen war wieder erwacht. Immer, wenn ihnen Schiffe dieser Art begegneten, hatte er ein ungutes Gefühl, und auch den anderen erging es so.
Aber der Seewolf wollte sich nicht dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung aussetzen. So beschloß er, wenigstens bis auf Rufweite an die halbwrakke Galeone heranzusegeln. Es war immerhin möglich, daß jemand Hilfe brauchte, genauso wie es möglich war, daß sich das alles nur als Falle entpuppte.
„Wir gehen bis auf Rufweite heran“, sagte er. „Dann sehen wir ja was es mit der Galeone auf sich hat. Pete, du drehst nachher so, daß wir parallel an dem Schiff vorbeilaufen.“
„Aye, aye, Sir“, sagte der Gefechtsrudergänger Pete Ballie, und wiederholte den Befehl noch einmal.
Die Segelflächen wurden verkleinert, so daß die Fahrt rapide zurückging. Pete Ballie drehte bei, und die „Isabella“ trieb jetzt langsam in einem Abstand von sechzig, siebzig Yards auf Parallelkurs dem Holländer entgegen.
Das Schiff sah wirklich zum Fürchten aus. Überall waren schwere Kugeln eingeschlagen und hatten große Verwüstungen angerichtet. Aus der Nähe sah es noch schlimmer aus. Selbst das Achterkastell war aufgerissen, und um die Schäden auszubessern, bedurfte es schon einer Menge Arbeit.
„Verwundete und Tote an Deck!“ brüllte Matt Davies aus dem Großmars, der es aus seiner luftigen Höhe besser und deutlicher als die anderen erkennen konnte. „Aber ein paar leben noch!“
Als hätte die Stimme sie herbeigezaubert, erschienen drei abgerissene Gestalten auf der Kuhl des Holländers.
Eigentlich müßten sie uns längst gesehen haben, dachte Hasard, aber anscheinend war das nicht der Fall gewesen, denn die drei Männer, grobschlächtige Kerle, schienen außer sich vor Freude zu sein. Sie umarmten sich, schlugen sich auf die Schultern und winkten herüber, dabei riefen sie gleichzeitig um Hilfe.
„Was ist passiert?“ rief Hasard auf Englisch.
Auf Englisch mit dem harten holländischen Akzent wurde ihm auch geantwortet. Als die „Isabella“ noch etwas dichter an dem Holländer vorbeiglitt, sah er die Gesichter der drei deutlicher, und er sah auch, daß an Deck viele Verwundete lagen und einige sogar tot zu sein schienen.
Er fragte sich allerdings mit gesundem Mißtrauen, warum man die Toten nicht über Bord gegeben hatte, wie das üblich war.
„Bitte, helfen Sie uns, Mijnheer!“ schrie der größte der drei Kerle zurück. „Segeln Sie nicht vorbei, ich bin der Kapitän dieses Schiffes, und wir leiden bittere Not.“
Einige der Gesichter waren blutverkrustet, wie Hasard deutlich sah. Selbst der Kapitän hatte einen gehörigen Teil abgekriegt, das sah man an seinen verschrammten Wangen und dem dunkel angelaufenen rechten Auge.
„Was denkt ihr darüber?“ fragte Hasard.
„Sieht wirklich ernst aus“, meinte Dan O’Flynn. „Ich würde ihnen Hilfe geben, unter der nötigen Vorsicht allerdings.“
„Selbstverständlich würde ich auch helfen“, sagte der ehemalige Schmied von Arwenack Castle. „Aber ich würde nicht an Bord anlegen, sondern ein Boot schicken.“
Das Ganze sah verblüffend echt aus, denn die Verwundeten dort drüben erhoben und bewegten sich. Manche von ihnen sanken ermattet wieder an das zersplitterte Schanzkleid.
„Hören wir erst einmal weiter, was sie zu sagen haben.“
Hasard wandte sich wieder dem Holländer zu.
„Wir werden Ihnen helfen“, sagte er. „Was ist passiert?“
Kruger lehnte sich ans Schanzkleid der Kuhl, legte seine Hände auf den teilweise zerschmetterten Handlauf und sagte, während die „Isabella“ ganz langsam vorbeitrieb: „Ich bin ein holländischer Kaufmann, Mijnheer. Vor fast drei Tagen haben uns die Türken aufgebracht und ausgeplündert, wir hatten gegen die Übermacht keine Chance. Ich möchte Sie bitten, wenigstens die am schlimmsten verletzten Männer zu versorgen, falls das möglich ist. Unseren Feldscher haben die Kerle umgebracht. Und dann, wenn es nicht zu unverschämt ist, bitten wir um ein klein wenig Proviant, Sir. Wir haben nichts mehr an Bord, nur noch ein paar Fässer Trinkwasser.“
„Wann haben euch die Türken überfallen?“ wollte der Seewolf wissen. „Heute morgen?“
„Schon vor drei Tagen, Sir. Seitdem treiben wir dahin und haben Hunger. Wir wissen wirklich nicht mehr weiter, und ihr seid die einzigen, die uns noch helfen können. Wir sind nicht einmal in der Lage, das Schiff zu steuern, denn fast alle sind schwer verwundet.“
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