„Na gut“, sagte er etwas versöhnlicher. „Was habt ihr denn so Merkwürdiges entdeckt?“
Hasard junior sprach etwas leiser. Big Old Shane gesellte sich ebenfalls zu ihnen und hörte zu.
„Die Feluke hat achtern eine Art Schacht neben dem Ruderblatt. Dort schwimmt der Delphin hinein, klopft viermal mit der Schnauze gegen das Holz und wartet darauf, daß sich irgendwo an Deck ein Luk öffnet. Jedesmal, wenn er klopft, wirft ihm einer der Händler einen Fisch durch den Schacht. Dann bin ich hineingeschwommen und habe auch geklopft. Und tatsächlich rutschte wieder ein Fisch runter. Der Schacht ist so groß, daß der Delphin bequem darin Platz hat.“
Der Profos legte seine großen Hände auf den Handlauf des Schanzkleides, dann drehte er sich halb herum und musterte die beiden.
„Stehen mir schon die Haare zu Berge?“ fragte er freundlich.
„Nein, Mister Carberry.“
„Das wundert mich eigentlich“, meinte er trocken. „Nach Donegals Erzählungen passiert mir das nämlich immer, und jetzt fangt ihr mit derselben Tour an und erzählt mir Schauergeschichten. Da ist doch eure Phantasie wieder einmal mit euch durchgegangen. Ein Delphin, der an ein Boot klopft und dann Fische kriegt. Und in dem Schacht schläft er anschließend und hält sein Nikkerchen, was? Wenn ihr den alten Carberry anpflaumen wollt, dann fangt es gefälligst anders an!“
„Es stimmt aber ganz genau“, sagte Philip. „Ich habe das auch alles aus der Nähe gesehen. Der Delphin ist dressiert, der gehorcht dem Händler wie ein Hund.“
„Und wozu soll das alles gut sein?“ fragte Ed.
„Das wissen wir nicht, Sir.“
Shane blickte die beiden Jungen nachdenklich an und ließ sich das alles noch einmal in seiner bedächtigen und ruhigen Art durch den Kopf gehen.
„Was es mit dem Delphin auf sich hat, weiß ich auch nicht, Ed“, sagte er, „aber der Schacht, von dem die Jungen sprachen, der könnte einem raffiniert durchdachtem Plan entsprechen.“
Dem Profos dämmerte es bereits, und so nickte er und ließ Shane weitersprechen.
„Nehmen wir einmal an, diese Kerle sind tatsächlich Piraten oder Schnapphähne und geben sich nur als Händler aus, die harmlos über die Meere ziehen. Liegen sie jetzt bei einem Schiff, so wie bei uns, dann können die Kerle ihr Schiff heimlich verlassen, ohne daß wir es bemerken. Dann bohren sie uns das Schiffchen an, oder klemmen das Ruderblatt unauffällig fest, ohne daß wir etwas davon sehen. Genauso heimlich können sie achtern oder vorn oder von einer der Seiten aufentern. Ebenso unauffällig erreichen sie ihre Feluke wieder, und keiner merkt etwas. Wenn wir dann lossegeln, feuern sie ihren Brandtopf ab und nutzen die allgemeine Verwirrung aus, um uns zu übertölpeln. Das sind nur einige Beispiele, ich kann dir noch mehr aufzählen.“
Der Profos starrte den ehemaligen Schmied von Arwenack nachdenklich an.
„Ja, das ist eine verdammt gute Überlegung“, meinte er dann. „Zu was sonst sollte der Schacht wohl sein? Und vielleicht – ich weiß, das hört sich verrückt an, bringt der Delphin die Kerle unter Wasser schnell und unauffällig an ihr Ziel, wenn er so gut dressiert ist. Wir sollten sehr gut aufpassen, denn ich traue den Kerlen nicht mehr über den Weg.“
Carberry blickte auf die Zwillinge, nickte ihnen zu und ging zur anderen Seite hinüber. Dort starrte er aus mißtrauisch zusammengekniffenen Augen zu der Feluke und suchte das Wasser ab.
Aber nur der Delphin zog seine Kreise, sonst war nichts zu sehen, das seinen Verdacht erregte.
Es war zwar eine reichlich abenteuerliche und waghalsige Theorie, die sie da aufgestellt hatten, überlegte er, aber wenn dieser Ibrahim wirklich ein raffiniertes Schlitzohr war, dann durfte man ihm solche Tricks auch ruhig zutrauen.
Der Profos schärfte seinen Männern ein, die Feluke genau im Auge zu behalten und vor allem darauf zu achten, ob sich unter Wasser etwas regte.
Doch das war nicht festzustellen. Die Feluke lag längsseits, und wenn jemand durch den Schacht stieg, dann war er fast augenblicklich unter dem Schiffsrumpf der „Isabella“, ohne daß ihn jemand bemerkte.
Also traf der Profos vorsichtshalber weitere Anordnungen. Ein paar Seewölfe sollten sich ständig ablösen, ins Wasser steigen und hin und wieder einmal tauchen. Auch dem Ruderblatt sollten sie ihre ganz besondere Aufmerksamkeit widmen.
Die restlichen Waren wurden an Bord gehievt, und damit war das Geschäft eigentlich abgeschlossen.
Der Händler bedankte sich mit großen Worten und gestenreichen Verbeugungen, denn fast jeder hatte etwas gekauft, was er glaubte, dringend zu brauchen.
„Allah möge über euch wachen, Herr“, dienerte er, und klopfte Ferris und Hasard immer wieder auf die Schultern.
Die beiden ahnten noch nichts von dem kleinen Geheimnis der Feluke. Zwar hatten sie es ein paarmal klopfen gehört, irgendwo im Schiff, aber das konnte einer der Seeleute sein, der etwas zimmerte oder arbeitete. Aufgefallen war es jedoch nicht.
„Herr, die Kalme wird noch andauern“, sagte Ibrahim. „Ihr solltet weiter nach Osten in den Wind rudern, ein paar Meilen zur syrischen Küste hinüber, dort könnt ihr mit Sicherheit wieder weitersegeln.“
„Das werden wir vermutlich auch tun, vielen Dank“, sagte der Seewolf.
Ibrahim verbeugte sich ein letztes Mal.
„Allah sei mit euch und euren Männern, Herr. Wir werden ebenfalls nach Osten rudern, bis der Wind unser Segel füllt.“
Als Hasard und Ferris aufenterten, drückten die Männer die Feluke von der Bordwand ab und griffen zu den Rudern. Ganz langsam entfernte sich das Händlerschiff, und die Kerle winkten hin und wieder noch einmal freundlich.
Mit ihnen verschwand auch der Delphin.
„In denen haben wir uns doch getäuscht“, sagte Hasard. „Dieser Ibrahim ist nichts weiter als ein schlitzohriger Küstenhändler, der trotz seiner billigen Preise ein gutes Geschäft getätigt hat.“
„Da ist noch etwas, Sir“, sagte der Profos. „Deine Söhne haben sich die Feluke einmal unter Wasser angesehen und sich auch näher mit dem Delphin befaßt, und das ist nun wirklich merkwürdig.“
Zuerst hörte Hasard mit unbewegtem Gesicht zu, dann richtete sich sein Blick nachdenklich auf die entschwindende Feluke, und seine Lippen preßten sich zusammen.
Er teilte die Theorie von Big Old Shane augenblicklich, denn zu was sonst sollte der ganze Aufwand dienen? Natürlich, das war es. Dieser Ibrahim kundschaftete zuerst alles aus, versuchte, das uneingeschränkte Vertrauen zu erwerben und schlug dann zu, wenn keiner mehr daran dachte.
Daß der Delphin die Männer schneller ans Ziel brachte, hielt Hasard anfangs für unwahrscheinlich, doch auch diese Theorie hatte etwas für sich, und man konnte sie nicht ohne weiteres einfach von der Hand weisen.
„Verdammt noch mal“, sagte er andächtig. „Dieser Kerl ist einer der gerissensten Gauner, die ich je kennengelernt habe. Ich bin ganz sicher, daß wir ihm noch einmal begegnen, rein zufällig natürlich, damit keiner Verdacht schöpft. Habt ihr den Schiffsrumpf abgesucht?“
Batuti, der die Feluke als erster entdeckt hatte, nickte.
„Batuti alles gucken, vorn bis achtern“, versicherte er treuherzig. „Keine Mann gesehen. Ruder ist in Ordnung, und keiner hat an Schiff gebohrt.“
Der schwarze Mann aus Gambia hatte aufgepaßt wie ein Luchs, und ihm wäre auch nichts entgangen. Aber auf der Feluke hatte sich nichts gerührt.
„Gut, Batuti“, sagte Hasard. „Ich kann mich auf dich verlassen. Dieser Kerl hat uns erst einmal ausgekundschaftet, aber erfahren hat er eigentlich nicht viel. Ich weiß nicht, ob ihm das genügt, aber ganz sicher vermutet er Schätze bei uns an Bord, und so wird er mit Sicherheit eine zweite Begegnung herbeiführen, und dann müssen wir verdammt gut aufpassen, daß er uns nicht überrumpelt. Dem Burschen traue ich einfach alles zu. Übrigens ist so eine Art Schacht eine hervorragende Sache, um Gegner zu überrumpeln. Niemand sieht etwas, und wer glaubt schon an einen Überfall, wenn sich im Wasser ein Delphin tummelt, den der Kerl für seine hinterhältigen Absichten miß-braucht?“
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