Sie waren jung – und doch schon mit allen Wassern gewaschen.
Im Handumdrehen verfrachteten sie den fischigen Hassan ohne viel Aufsehen hinter ein verfallenes Gemäuer am Hafen. Dort empfing dieser Mensch, der sich nicht scheute, einen alten blinden Mann zu bestehlen, noch eine kräftige Kopfnuß, die dafür garantierte, daß er noch für längere Zeit im Land der Träume verweilen würde.
Als dann förderten sie zutage, was dieser Hundesohn alles an diesem Tage bereits vereinnahmt hatte. Es war in einem ledernen Sack versammelt, den der Fischäugige unter seinem Gewand vorm Bauch verzurrt hatte.
Er mußte schon tagsüber bei den Basaren gewildert haben, denn außer den Münzen befanden sich unter dem Diebesgut Ketten, Ringe, Broschen und sogar zwei Diamanten nicht unbeträchtlicher Größe sowie einige Edelsteine. Vielleicht stammte der Rubin im Bauchnabel der Fatima sogar aus einem dieser Raubzüge.
Vom rechten Bein des Fischäugigen schnallten die Junioren mit grimmiger Miene eine Lederscheide mit einem Stilett ab. Und unter der linken Achsel am linken Unterarm fanden sie ein Wurfmesser, das wie das Stilett in einer Lederscheide steckte und mit Lederriemchen am Oberarm festgebunden war.
„Mann-Mann“, murmelte Hasard, „das ist doch nicht zu fassen.“ Er starrte auf den Ledersack und die beiden Scheiden mit den Messern. „Was sollen wir mit dem Zeug, verdammt noch mal?“
„Vereinnahmen“, sagte Philip lakonisch, „das heißt, dem Blinden packen wir davon einiges in den Fez.“ Er richtete sich auf und spähte über das Gemäuer. „Bis jetzt hat keiner was gemerkt“, sagte er über die Schulter. „Ah, Fatima hat mit ihrem Bauchgewackel aufgehört, Kiki kassiert jetzt … He! Was soll das denn? Schau dir das an, Hasard!“
Hasard glitt hoch und neben den Bruder. Und da sah er es.
Es war eine Wiederholung dessen, was Mac und Old Donegal berichtet hatten.
Kiki beschimpfte einen Mann, der verdattert dastand und seine Taschen umkrempelte. Und Baobab, der Riesengorilla, walzte heran und baute sich vor dem Mann auf. Der schüttelte den Kopf und beteuerte offenbar, er wolle ja gerne zahlen, und er habe auch Geld bei sich gehabt, aber das sei verschwunden, wie aus seinen leeren Taschen hervorgehe.
Hasard und Philip konnten zwar aus der Entfernung zu dem Mann nicht verstehen, was er genau sagte, aber aus seinen Gesten war deutlich zu erkennen, was er meinte.
Und was tat der Riesengorilla?
Der langte sich den Mann, klopfte ihn durch – aber wie! – und warf ihn mal eben so durch die Gegend. Was er dabei brüllte, war nun wiederum bis zu den beiden Junioren deutlich zu verstehen, Baobab hatte eine sehr laute Stimme.
Er brüllte: „Faule Ausrede! Hier wird nicht gestohlen! Dafür passen wir auf. Aber du willst Fatima beglotzen und dich dann davor drücken, dafür zu bezahlen!“
Erstaunliches passierte.
Eingeschüchtert von dieser Gewaltdemonstration, beeilten sich die Schaulustigen, schleunigst ihren Obolus an den grinsenden Liliputaner zu entrichten. Auch Batula, der Tamburintrommler, war am Einsammeln. Und von nun an wurde von den Gauklern großzügig übersehen, daß sich einige davon stahlen, nämlich jene, die inzwischen festgestellt hatten, daß auch ihre Taschen leer waren.
Bei den Gauklern – so man sie als solche überhaupt noch bezeichnen konnte – rollte der Rubel, wie man in Rußland zu sagen pflegt. Hier waren es Piasterchen, Altiliks, Beschliks und Paras.
Es klingelte Münzen – und das für eine Darbietung, die aus nichts weiter als ein bißchen Bauchwackeln bestand. Früher hatte Fatima Schleiertänze aufgeführt und war am Schluß bar aller Hüllen von der Bühne gehüpft, allerdings mit dem Rücken zum Publikum. Sie hatte nur ihren Popo gezeigt. Die Zeiten waren vorbei.
Kalibans Gauklertruppe hatte sich in eine Gilde von Langfingern verwandelt.
Hasard und Philip waren erbost, und die Galle stieg ihnen hoch. Sie durchschauten das üble Spiel, das hier betrieben wurde. Früher zu ihrer Zeit wurde dem Publikum immerhin etwas geboten. Kaliban hatte ein buntes Programm aufgebaut, und jedes Mitglied der Truppe war mit seiner Darbietung sehenswert gewesen. Man hatte ehrliche Arbeit geleistet, auch wenn zum Beispiel Kalibans Zauberkunststückchen aus faulen Tricks bestanden. Aber die mußte man ja erst einmal erfinden, entwickeln und immer wieder üben bis hin zum verblüffenden Effekt.
Doch, das war harte Arbeit gewesen, Knochenarbeit, aber ehrliche Arbeit. Aber was Kaliban und seine Leute hier betrieben, war schamlos. Sie sahnten doppelt ab, einmal mit Taschendiebstahl und zum anderen mit ihrer Gewaltmethode, für Fatimas billigen Bauchtanz Geld zu kassieren.
Ja, das hatte Methode: sobald ein Bestohlener sozusagen als Zechpreller „entlarvt“ war wurde er von Baobab oder Mehmed Bulba zusammengedroschen, was bewirkte, daß die anderen Zuschauer fleißig zahlten.
Und es stand fest, daß Baobab und Mehmed Bulba sehr genau beobachtet hatten, welche Zuschauer vom „König der Taschendiebe“, dem Obergauner Kaliban, bestohlen worden waren. Sie brauchten sich dann nur einen vorzunehmen, um ihn durchzumangeln. Und schon klingelten die Talerchen.
Dieses miese Spiel war auch mit Mac Pellew und Old Donegal geplant gewesen, aber die hatten wenigstens schnell und hart reagiert und waren dann abgesaust.
Klar auch, daß sich diese Langfinger – insbesondere Kaliban – Leute aussuchten, die von Aussehen und Kleidung her als Fremde zu erkennen waren, als ungläubige Christenhunde. Wenn die als Schwarzgucker entlarvt worden waren, dann konnte geschickt die Volkswut aufgestachelt und somit nutzbar gemacht werden. Nicht auszudenken, was mit Old Donegal und Mac passiert wäre, wenn sie nicht sofort hart und schnell reagiert hätten.
„Sie sind zu miesen Beutelschneidern geworden“, sagte Philip erbittert. „Hättest du das für möglich gehalten?“
„Wir haben damals auch schon klauen müssen“, erwiderte Hasard, „vergiß das nicht.“
„Das schon, aber doch nicht in einem solchen Ausmaß. Die betreiben das ja richtig mit System.“
Hasard lächelte hart. „Sie brauchen nicht mehr hart zu arbeiten. Das Klauen, wenn man es einmal beherrscht, ist bequemer, leichter und schneller. Denk mal daran, was wir haben trainieren und üben müssen, bis wir auftreten konnten. Und dann noch tägliche Übungsstunden vor der abendlichen Vorstellung! Was haben wir uns abgerackert!“
Philip nickte. „Kann man wohl sagen.“
Hasard drehte sich zu dem fischigen Hassan um. „Sag mal, ob er dich erkannt hat?“
Philip schüttelte den Kopf. „Glaube ich nicht. Es ging zu schnell für ihn. Außerdem hatte ich den Ellbogen vorm Gesicht, bevor ich zuschlug.“ Jetzt grinste er. „Inzwischen sind wir ja auch ein bißchen größer geworden und haben uns verändert. War gut, daß wir uns kostümiert haben. Hassan und die anderen Kerle haben uns zehn Jahre lang nicht gesehen und nicht die geringste Ahnung, wo wir abgeblieben sind. Um uns hier zu vermuten, müßten sie Hellseher sein – und die gibt’s nicht.“
„Laß das nicht Granddad hören“, sagte Hasard und grinste ebenfalls. Er spähte wieder über die Bruchmauer. „Sie legen ’ne Pause ein und hocken sich um ein Holzkohlenfeuerchen. Könnte sein, daß sie diesen Bastard hier vermissen. Am besten, wir verdrücken uns und beobachten weiter. Was meinst du?“
„Ich würde gern tätig werden“, erwiderte Philip.
Hasard blickte seinen Bruder aufmerksam an. „Du hast was auf der Pfanne, eh?“
„Richtig.“ Philips Stimme klang ziemlich grimmig. „Ich finde, wir sollten den Spieß umdrehen.“
Bruder Hasard schaltete nicht so rasch wie sonst und runzelte die Stirn. „Was für’n Spieß soll umgedreht werden?“
„Mann! Wir klauen auch, aber bei Kaliban, Achmed Ali und Muzaffer. Was die bei den Zuschauern einsacken, fischen wir ihnen wieder aus den Taschen – Langfinger, die ihrerseits beklaut werden, verstehst du? Was meinst du, was bei denen los ist, wenn sie feststellen, daß ihre eigenen Taschen leer sind?“
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