„Wir hatten also“, fuhr Old Donegal fort, „kaum eine Chance, mit diesen beiden Ungetümen fertigzuwerden …“
„Überhaupt keine“, redete Mac wieder dazwischen.
„Sagte ich doch“, knurrte Old Donegal.
„Du sagtest ‚kaum‘“, nörgelte Mac.
Jetzt wurde auch der Profos grantig. „Mac, sabbel nicht dauernd dazwischen, laß Old Donegal endlich mal ausreden, sonst stehen wir morgen früh hier noch rum!“
„Dann sage ich gar nichts mehr.“
„Sehr gut“, lobte der Profos, „erzähl weiter, Donegal.“
Der Alte räusperte sich. „Ich schätze, diese beiden Kerle waren so etwas wie Geldeintreiber. Der Gnom hätte uns nicht gefährlich werden können. Aber ich hatte den Eindruck, daß da noch mehr Typen darauf scharf waren, sich mit uns anzulegen. Die hielten uns wohl alle für so ’ne Art Zechpreller.“ Old Donegal grinste. „Und daß wir keine Muselmännchen sind, werden sie wohl auch bemerkt haben. Nächstes Mal setz ich ’n Fez auf und zieh mein Nachthemd an, wenn ich an Land gehe.“
Es wurde wieder heiter bei den Arwenacks, denn sie stellten sich vor, wie ihr Old Donegal mit Fez und im Nachtgewand aussehen würde.
„Du gibst bestimmt ein prächtiges Muselmännchen ab“, bestätigte der Profos grinsend.
„Siehst du“, sagte Old Donegal, „und man fällt nicht so auf. Aber zurück zu unserer Geschichte. Uns blieb nur der Rückzug, bevor es uns an den Kragen ging. Ich stieß also meinem Gegenüber die Zwinge der Krücke auf die Zehen, und Mac verpaßte seinem Riesenaffen einen saftigen Tritt vors Schienbein. Einem anderen Kerl, der mich anspringen wollte, schlug ich mit der Krücke die Beine weg. Mac und ich zeigten die Hacken. Dann versteckten wir uns in einer Türnische. Die vier Kerle, die uns verfolgten, ließ ich über meine Krücken stolpern, wir klopften ihnen was an die Köpfe und verdrückten uns. Das war’s auch schon. Eins steht fest: Da waren Langfinger am Werk, und die haben uns satt ausgenommen.“
„Während ihr abgelenkt wart, weil ihr Fatima zuschautet“, sagte Hasard junior.
Old Donegal runzelte die Stirn. „Was soll das heißen?“
„Ganz einfach“, erwiderte Hasard junior, „das ist ’n uralter Trick, ’ne abgekartete Sache.“
„Was verstehst du Hüpfer denn davon?“ schnappte Old Donegal.
Der Junior feixte seinen Großvater an. „’ne ganze Menge, Granddad, genau wie Phil.“ Er schaute zu seinem Bruder. „Zeig ihm mal, was du Mister Carberry aus der Hosentasche geholt hast!“
Grinsend langte Philip in die eigene Tasche und zog eine Geldkatze hervor, ein Ledersäckchen mit Talern.
„Und das hier“, sagte Hasard junior und brachte einen zusammengerollten Ledergürtel zum Vorschein, „habe ich mir erlaubt, Mister Tucker aus den Schlaufen zu ziehen, während er wie ihr alle Mister Pellew beim Bauchtanz zuschaute!“ Mit einer leichter Verbeugung gab er dem riesigen Schiffszimmermann den Gürtel zurück. Der sah ziemlich dumm aus.
„Da soll doch gleich der Teufel dreinfahren!“ wetterte der Profos. „Dieser Spitzbube! Langt einem ehrlichen Seemann in die Tasche und klaut ihm die Talerchen!“
„Nur zur Demonstration, Mister Carberry“, sagte Philip, „und zum Beweis, daß du abgelenkt warst, genauso wie Granddad und Mister Pellew, als sie Fatima bewunderten.“
„Ich laß mich doch von so einem Weibsbild nicht ablenken“, sagte Old Donegal empört. „Wer bin ich denn!“
„Aber deine Taschen sind leer“, sagte Hasard junior.
„Fatima ist kein Weibsbild“, maulte Mac Pellew.
„Eine Schlange ist das“, zischte Old Donegal. „Aber du mußtest dich auch noch vordrängeln, um sie besser beglotzen zu können!“
„Du hast genauso geglotzt“, sagte Mac hitzig.
„Wie sieht diese Fatima eigentlich aus?“ fragte Hasard junior sachlich. „Gibt’s da irgendwelche besonderen. Merkmale?“
„Ob sie ’n Leberfleck auf dem Busen hat, hab’ ich nicht gesehen“, sagte Old Donegal brummig, „so was weiß auch dieser Mister Pellew immer besser, woanders guckt der ja nicht hin.“
„Da war kein Leberfleck“, sagte Mac Pellew.
„Das meinte ich nicht“, sagte Hasard junior und war darum bemüht, ernst zu bleiben. „Ich wollte wissen, wie sie sonst so aussieht.“
„Schlampig“, sagte Old Donegal abfällig. „Die müßte mal ihre Bluse waschen oder sich ’ne neue kaufen.“
Hasard junior räusperte sich. „Hat sie vielleicht zufällig eine Nase?“
„Natürlich hat sie eine – dämliche Frage!“
„Dünn, dick, gekrümmt, gerade?“ fragte Hasard junior beharrlich.
„Weiß ich nicht“, sagte Old Donegal muffig.
Mac wußte es auch nicht.
„Aha“, sagte jetzt der Profos und grinste wieder. „Wie ihr Busen aussieht, wißt ihr ziemlich genau, aber von ihrem Gesicht habt ihr keine Ahnung – mithin wart ihr also doch abgelenkt.“
Die beiden Bauchtanz-Beschauer schwiegen verdrossen.
Philip fragte: „Könntet ihr denn den Liliputaner beschreiben?“
„Der war klein“, sagte Mac sofort.
„Hätte ich mir fast gedacht“, sagte Philip trocken.
Mac biß sich auf die Lippen – er hatte begriffen, daß seine Antwort nicht sehr geistreich gewesen war.
Old Donegal sagte: „Der Gnom hatte im Verhältnis zu seiner Zwergenhaftigkeit einen ziemlich großen Kopf mit vorragender Stirn und breiter, eingesunkener Nase sowie abstehenden Ohren.“
„Und krumme Beine“, sagte Mac.
„Aha“, sagte Philip und wechselte einen Blick mit seinem Bruder. Dann fragte er: „Gab’s einen Unterschied zwischen den beiden Riesenkerlen, die vor euch auftauchten? Granddad sprach davon, seiner habe eine Glatze gehabt.“
„Meiner war zwar auch ganz kahl“, sagte Mac, „aber in Schädelmitte hatte er einen geflochtenen langen schwarzen Zopf.“
„Woher wißt ihr, daß die Bauchtänzerin Fatima heißt?“ fragte jetzt Hasard junior.
„Weil der Gnom sie ansagte oder so ansprach“, erwiderte Old Donegal. „Könnt ihr mir mal verraten, was die ganze Fragerei soll?“
„Weil wir was vermuten“, sagte Hasard junior geheimnisvoll.
Die Zwillinge hatten eisern geschwiegen und nicht verraten, was sie vermuteten. Das Palaver war noch eine ganze Weile weitergegangen, und die beiden bestohlenen Landgänger hatten zum Schaden auch noch den Spott geerntet, am meisten allerdings der grämliche Mac Pellew wegen seines „magischen Kontakts“, den er angeblich zu Fatima, der Blume von Istanbul, hergestellt hatte.
Philip Hasard Killigrew hatte herzlich gelacht, als er die Geschichte hörte, und seine Arwenacks gewarnt, beim Landgang schärfer aufzupassen. Am Binnenhafen traf man auf ein ziemlich gemischtes Volk und mußte immer damit rechnen, ausgenommen zu werden.
Im übrigen würden sie noch zwei, drei Tage am Goldenen Horn bleiben – die Stadt war viel zu interessant, um sie unbeachtet zu lassen. Sie machten also sozusagen Urlaub vor ihrer Weiterfahrt ins Mittelmeer. Nach dem Verlust ihrer „Santa Barbara“ auf dem oberen Tigris, dem Marsch zum Schwarzen Meer und der Suche nach einer Durchfahrt zum Mittelmeer hatten sie sich ein paar faule Tage auch verdient.
Am Spätnachmittag des nächsten Tages meldeten sich Hasard und Philip – wie sich das gehörte – beim Profos von Bord. Der staunte nicht schlecht, denn die beiden Junioren hatten sich türkisch gewandet und waren kaum von den Einheimischen zu unterscheiden. Allenfalls fiel das intensive Blau ihrer Augen auf, das durch die Bräune ihrer Gesichter noch gesteigert wurde. Aber wenn es dunkler wurde, würde das nicht mehr so deutlich sichtbar sein.
„Aha, Tarnung, eh?“ fragte der Profos wohlwollend.
„So ist es, Sir“, erwiderte Hasard junior.
„Darf man fragen, wohin die Gentlemen ihre Schritte zu lenken gedenken?“
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