„Na also: Woher wollen Sie dann wissen, daß es sich bei unserem Kapitän um Igor Samoilow handelt? Aber ich kann diesen Kerl beschreiben. Er ist ein stiernackiger, blonder Mann mit wasserhellen Augen und einem Amboßkinn. Unseren Kapitän für diesen Mann zu halten, fasse ich nicht nur als Unverschämtheit, sondern mehr noch als Beleidigung auf. Wenn Ihre Miliz nicht wäre, würde ich Ihnen die entsprechende Antwort erteilen, Sie Narr!“
Der Dicke wollte etwas darauf erwidern, aber der Hafenkapitän schaltete sich ein und redete drauflos. Der Dicke nickte und sagte zu den beiden Arwenacks: „Der Hafenkapitän will wissen, wie Sie ins Schwarze Meer gelangt seien und was Sie hier wollen?“
„O Gott!“ Dan O’Flynn verdrehte die Augen. „Ob Sie’s glauben oder nicht, wir sind zu Fuß und mit Maultieren ans Schwarze Meer gestoßen, und zwar vom Tigris her, auf dem wir unser Schiff, eine Galeone, bei einer Naturkatastrophe verloren. In Batumi besorgten wir uns eine Dubas, nämlich jene, die wir in Varna zurückließen. Und was wir hier wollen, ist ebenfalls schnell erklärt. Wir suchen einen Weg ins Mittelmeer, um nach England zurückkehren zu können. Wir vermuten, daß es einen solchen Weg gibt, haben aber kein Kartenmaterial, und bisher hat uns niemand sagen können, ob es zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer eine Verbindung gibt. Aber vielleicht können Sie uns darüber aufklären. Dann sind Sie uns schon morgen los, wenn wir den Proviant übernommen haben.“
Der Dicke übersetzte Dans Antwort dem Hafenkapitän, und dann palaverten die beiden wieder. Der Miene des Hafenkapitäns war zu entnehmen, daß er Dan O’Flynn für einen ausgekochten Lügenbold hielt.
„Der nimmt uns unsere Geschichte nicht ab“, sagte Matt erbittert. „Wäre ja auch zu schön gewesen. Ich glaube, da können wir uns das Maul fusselig reden, die bleiben bei ihrer vorgefaßten Meinung.“
„Ist ja auch ’ne abenteuerliche Geschichte“, sagte Dan mit Galgenhumor.
Jetzt erklärte der dicke Kymet: „Der Hafenkapitän glaubt Ihnen nicht – und ich auch nicht. Man kann nicht mit einer Galeone den Tigris hinaufsegeln …“
„Doch“, unterbrach ihn Dan, „zumindest bis Assur. Von da ab sind wir mit Kamelen getreidelt.“
„Ach ja?“ sagte der Dicke höhnisch. „Und über die vergletscherte Bergwildnis sind Sie dann ans Schwarze Meer geflogen, nicht wahr?“ Er schüttelte den Kopf. „Sie hätten Märchenerzähler werden sollen, mein Freund!“
„Sie können jeden einzelnen Mann unserer Crew darüber befragen“, entgegnete Dan wütend, „er wird Ihnen nichts anderes berichten.“
„Natürlich“, erklärte der Dicke spöttisch, „und zwar deswegen, weil Sie sich genau über Ihre Märchengeschichte abgesprochen haben!“
Dan O’Flynn war drauf und dran, dem Dicken an die Gurgel zu springen. Aber jetzt war Matt der Besonnenere und hielt ihn zurück.
„Gib’s auf, Dan“, sagte er. „Sie wollen uns nicht glauben.“
Ein paar Minuten später landeten sie unter scharfer Bewachung in dem Gewölbe, in dem sich bereits der Kutscher-Trupp befand. Daß sie wie die Fuhrknechte fluchten, erleichterte sie zwar, aber das war auch alles.
Immerhin konnten sie die fünf Kameraden darüber aufklären, warum man sie gefangengesetzt hatte.
„Das gibt’s doch gar nicht“, sagte der Kutscher wild. „Habt ihr den Kerlen nicht erklärt, daß ihr gar kein Russisch könnt?“
Matt Davies feixte. „Wie denn, Kutscherlein?“
„Indem ihr verlangt, mit einem Russen konfrontiert zu werden – oder mit einem, der russisch spricht.“
„Na und? Der hätte uns auf russisch angequasselt, und wir hätten mit den Schultern gezuckt und gesagt: Nix verstehen! Und was weiter? Gar nichts, weil sie nämlich erklärt hätten, wir täten nur so, tatsächlich aber würden wir jedes Wort verstehen. Kapiert?“
Der Kutscher knirschte mit den Zähnen. „Wir und Russen! So ein Quatsch! Sehe ich vielleicht wie ein Russe aus?“
„Na, mit Dschingis-Khan hast du nicht viel Ähnlichkeit“, erwiderte Matt Davies grinsend, „aber was besagt das schon!“
„Hä-hä-hä!“ meckerte Mac Pellew. „Der Kutscher und Dschingis-Khan! Da lachen ja die Hühner!“
Matt Davies wandte sich zu ihm um und sagte trocken: „Bei dir würden sie einen Lachkrampf kriegen, sollte dich jemand mit Attila vergleichen!“
Macs Meckerlachen brach ab, und er sah mal wieder aus wie der Vorsteher einer Gemeinde von Trauerklößen.
„Mit Matt und mir“, sagte Dan O’Flynn sachlich, „sind nunmehr sieben Mann der Crew abgängig, ohne daß die anderen ahnen, was mit uns passiert ist. Ich fürchte, wir können bald die nächsten bei uns begrüßen.“
„Das befürchte ich auch“, sagte der Kutscher düster.
Old Donegal bekam immer mehr Auftrieb. Daß „der Dünger“ was im Schilde führte, hatte er ja vorausgesagt. Und außerdem hatte er die schwarze Katze gesehen. Zwar gab’s hier kein Silberbergwerk, aber Old Donegal war inzwischen schon wieder vom Gegenteil überzeugt. Aber er hütete sich, das laut zu verkünden.
Statt dessen hatte er insofern Oberwasser, als nunmehr auch sein Sohn Dan und Matt Davies nicht an Bord zurückkehrten, von den fünf anderen ganz zu schweigen.
„Hm-hm“, brabbelte er vor sich hin, „ich soll zwar nicht mehr ganz richtig im Kopf sein, und was ich sage, wird als dummes Geschwätz bezeichnet, aber ich sehe klar: das Unheil reitet auf einem schwarzen Rappen!“
„Rappen sind immer schwarz“, erklärte Gary Andrews, „es gibt keine weißen Rappen und auch keine schwarzen Schimmel, weil die weiß sind. Und ’ne schwarze Katze mit einem Rappen zu verwechseln, das kann nur einer, dessen Augen auf mindestens zehnfache Vergrößerung eingestellt sind.“
„Klugscheißer!“
„Lieber klug scheißen als eine Maus zum Tiger vergrößern“, entgegnete Gary Andrews gleichmütig.
„Kolossal witzig.“
„Oh, danke, das ist meine Art.“ Old Donegals Sticheleien prallten an Gary Andrews ab. Im übrigen zählte er zu jenen Arwenacks, die völlig immun gegen Old Donegals Prophezeiungen waren.
„Kannst du mir mal sagen, wo unsere Leute abgeblieben sind?“ fragte Old Donegal lauernd.
„Ja – an Land“, erwiderte Gary freundlich.
Old Donegal stieß einen Schnauflaut aus. „Und warum sind sie noch nicht zurück?“
„Sie werden ihre Gründe haben. Oder weißt du es mal wieder besser?“
„Sie sind in Gefahr“, sagte Old Donegal und blickte zum Land, wo sich nichts verändert hatte. Alles war beschaulich und friedlich.
Gary Andrews seufzte. „Hast du dafür einen Beweis?“
„Ich habe einen sechsten Sinn“, erklärte Old Donegal.
„Der genügt mir leider nicht. Aber du kannst ihn ja mal fragen, ob er Genaueres weiß. Sollte das der Fall sein, empfehle ich dir, alles unserem Kapitän zu melden, damit wir gegen die Gefahr etwas unternehmen können.“
„Der glaubt mir nicht.“
Gary nickte. „Ja, so ist das, Old Donegal. Ich glaube dir nämlich auch nicht.“
Carberry schob sich näher – er hatte was aufgeschnappt.
„Was glaubst du ihm nicht?“ fragte er.
Gary zuckte mit den Schultern. „Old Donegal behauptete, unsere Leute an Land seien in Gefahr. Ich fragte nach Beweisen, und da erklärte er, sein sechster Sinn sage ihm das. Na ja, ein sechster Sinn – was immer das auch sein mag – ist für mich kein Beweis.“
Old Donegal hob den rechten Zeigefinger und dozierte: „Ein sechster Sinn empfängt Wahrnehmungen aus der unsichtbaren Welt, die gewöhnlichen Sterblichen mit fünf Sinnen auf ewig verschlossen bleibt!“
„Ei der Daus!“ sagte der Profos. „Erzähl mal mehr aus der unsichtbaren Welt. Reiten da nackichte Hexen auf Besenstielen herum?“
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