Nach diesen Überfällen waren die Kapitäne und Mannschaften nicht mehr bereit gewesen, für Kymet Handelsfahrten nach Norden durchzuführen. Das Risiko war zu hoch geworden. Kymet hatte sich zähneknirschend auf den viel teueren Landtransport umstellen müssen.
Daß er jetzt selbst Gelegenheit erhielt, diese Räuberhorde ein für allemal auszuschalten, war ihm Bedürfnis und Genugtuung zugleich. Endlich konnte er es den Kerlen heimzahlen und sie dem Henker überliefern.
Tatsächlich kannte er den Russen Samoilow nicht persönlich, sondern nur aus den Beschreibungen jener, die das seltene Glück gehabt hatten, den Überfall dieser gewalttätigen Horde zu überleben. Daß Dan O’Flynn den russischen Piratenhäuptling ziemlich genau beschrieben hatte, war ein Fehler gewesen, aber das hatte Dan nicht ahnen können. Gerade wegen dieser Beschreibung stand für Kymet unverrückbar fest, daß die Gefangenen zu Samoilowbande gehörten.
Bisher war alles bestens nach Plan gelaufen. Bereits sieben Kerle waren kampflos vereinnahmt worden. Und nun befanden sich vier weitere im Anmarsch, wie die heimlichen Späher gemeldet hatten …
Don Juan ging nach dem gleichen Schema vor wie Dan O’Flynn. Er fragte nach dem Kaufmann Kymet, und man erklärte ihm gestenreich den Weg zum Hof des Kaufmanns. So argwöhnisch die vier Arwenacks auch waren, sie konnten nichts Verdächtiges entdecken. Teilweise stießen sie auf scheue oder gar ängstliche Blicke, aber sie waren ja schließlich Fremde, und das noch dazu in einem Land, das ein bißchen hinter dem Mond zu liegen schien.
Nein, diese Blicke waren nichts Außergewöhnliches. In Spanien oder in England würden die Leute genauso schauen, wenn dort Chinesen durch die Gassen schlenderten.
„Alles ziemlich friedlich“, meinte Ferris Tucker, der neben Don Juan ging. Carberry und Smoky hielten sich seitlich hinter ihnen.
„Hm“, äußerte sich Don Juan, „aber trotzdem wachsam bleiben.“
„Das sowieso“, sagte Ferris, „man kann ja nie wissen.“ Er blickte zu einem Hauseingang, in dem zwei Frauen standen und sich unterhielten.
Als die beiden Frauen die vier Männer entdeckten, stürzten sie fluchtartig ins Haus und schlugen die Tür zu.
Ferris drehte sich zu Carberry um, der am Grinsen war.
„Hast du die Ladys erschreckt, Ed?“ fragte er.
„Erschreckt nicht, aber angelächelt“, sagte Carberry.
„Ach so, das erklärt natürlich alles.“
„Wieso?“
„Wenn ich eine Lady wäre, würde ich vor deinem Anlächeln auch die Flucht ergreifen“, sagte Ferris Tucker.
„Witzbold“, brummte der Profos. „Die sind nicht vor meinem charmanten Lächeln davongelaufen, sondern vor deinen roten Haaren. Die haben gedacht, ’ne Riesenrübe auf zwei Latschen zu sehen!“
„Ha-ha“, sagte Ferris Tucker.
Damit war der Dialog beendet, denn sie erreichten den Hof, blieben jedoch vor der Toreinfahrt stehen und schauten sich erst einmal um. Es gab nichts zu sehen, was sie hätte beunruhigen können. Außerhalb der Hofmauer waren ein paar Maultiere an Querbalken angebunden und dösten vor sich hin. Ein Mann war damit beschäftigt, sie einzeln zu tränken. Das Wasser holte er in Eimern aus einem Brunnen im Hof.
Carberry fand das unpraktisch und sagte: „Das hätte er im Hof am Brunnen leichter.“
„Klar“, sagte Ferris Tucker beziehungsreich, „der beste Platz ist immer der, wo man mit dem Schnorchel direkt unterm Zapfhahn hängt, nicht wahr, mein lieber Ed?“
„Dem stimme ich ausnahmsweise zu, mein lieber Ferris“, sagte Carberry.
Sie schlenderten in den Hof und blickten sich wieder um. An der Innenmauer standen leere Kisten zwischen Olivenbäumen. Auch Fässer waren dort gestapelt. Unter den Arkaden der Gebäude waren zwar längliche Tische aufgestellt, aber die Waren darauf wurden jetzt abgeräumt. Da und dort hängte man Lampen in eiserne Halterungen, denn die Dämmerung setzte ein.
„Hier ist Feierabend“, sagte Carberry, „aber weit und breit kein Kutscher, kein Mac, kein Stenmark und so weiter und so weiter. Schon verdammt merkwürdig.“
Don Juan nickte und hielt den Mann mit den Wassereimern an, der gerade wieder zum Brunnen ging.
„Kymet?“ fragte er.
Der Mann setzte die Eimer ab, zog seine Plunderhosen hoch, bohrte dann in seinem rechten Ohr, schaute sich tiefsinnig an, was er herausgeholt hatte – es klebte am Fingernagel des rechten Zeigefingers –, wischte den Nagel an der Hose ab und redete drauflos. Der Duft von Knoblauch umwehte die vier Mannen. Sie wichen schon zurück, um ihre Nasen zu schonen, da winkte ihnen der Ohrpuler zu, ihm zu folgen.
Sie gingen zu den Arkaden.
Unterwegs raunte Carberry seinem „lieben“ Ferris zu: „Ein vornehmer Mensch. Und er duftet so gut, was, wie?“
Ferris Tucker grinste nur. Es war die alte Leier. Wenn sie selbst Knoblauch futterten – und der Kutscher hatte daran nie gespart –, dann duftete der eine wie der andere und niemanden störte das. Enthielt man sich jedoch des Knoblauchs, dann rümpfte man die Nase, wenn man es bei anderen roch.
Bei dem Ohrpuler war der Duft so intensiv, daß sie ihm mit geschlossenen Augen hätten folgen können – immer der Nase nach.
Sie gelangten zu den Arkaden, und der Ohrpuler führte sie zu einem dicklichen, knubbelnäsigen Menschen, der unter den Arkaden zwei Karren beladen ließ, den einen mit Fässern, den anderen mit Säcken und Kisten, in denen sich Lebensmittel befanden. Mit einem Federkiel hakte er auf einer Liste ab, was auf die Karren geladen wurde.
Er schaute auf, als sich die vier Männer näherten.
„Ah, die Señores von der englischen Dubas!“ rief er in der spanischen Sprache. „Sie sind sicher schon ungeduldig, aber wir laden hier bereits auf, was Ihr Küchenmeister eingekauft hat. Ihre Leute sind noch unten in den Gewölben, wo wir die Lebensmittel aufbewahren.“ Er legte die Hand aufs Herz und verbeugte sich. „Ich bin Mehmed Kymet, Ihr ergebenster Diener.“
Don Juan stellte sich und seine drei Begleiter vor.
Der Dicke starrte ihn erstaunt an. „Sie sind Spanier, Señor?“
Don Juan nickte gleichmütig. „So ist es. Ich sehe, Sie sind verwundert. Darf ich fragen, warum?“
„Ich dachte, Sie seien alle Engländer.“
Don Juan schüttelte den Kopf. „Alle nicht, aber die meisten. Wir haben einen Schwarzen aus Gambia an Bord, ferner einen Iren, einen Schweden, zwei Dänen und zwei Holländer. Das ist nichts Ungewöhnliches. Oder finden Sie das?“
„Nein, nein!“ beteuerte der Dicke. „Ich hörte von Ihren Freunden, Sie seien den Tigris hinaufgesegelt?“
„Ja, bis Assur“, erwiderte Don Juan. „Von da ab mußten wir treideln, weil die Strömung zu stark wurde …“
Sie zuckten alle etwas zusammen, denn da schwirrte was heran und senkte sich im Dämmerlicht: Sir John landete auf der Schulter Edwin Carberrys, ruckte mit dem Kopf und plärrte ihm ein langgezogenes „Süüüßer!“ ins Ohr. „Gib Küüßchen!“
Der Dicke kriegte Glotzaugen.
„Das ist Sir John“, erklärte Don Juan lächelnd, „er ist insbesondere mit Señor Carberry befreundet.“
„Äh – hat der Papagei eben englisch gesprochen?“
„Ja, er sagte: Süßer – gib Küßchen!“ erwiderte Don Juan.
Der Dicke kicherte gequält und schien verwirrt zu sein.
Sir John plierte ihn an und sagte akzentuiert: „Leck mich am Arsch!“
Carberry hatte das oder Ähnliches erwartet und übersetzte sofort mit todernstem Gesicht: „Er sagt: Archibald, komm bitte jetzt ins Bett!“
Don Juan, Ferris Tucker und Smoky hatten beträchtliche Mühe, nicht herauszuplatzen. Don Juan räusperte sich und sagte: „Ich möchte nicht drängen, Señor Kymet, aber könnten Sie uns zu unseren Kameraden führen? An Bord warten unsere Leute auf die Proviantübernahme. Außerdem wird es dunkel.“
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