Jetzt grinste Matt Davies. „Der Mann mit dem traurigen Gesicht – das war Mac! Dem reichten sechs Weinfässer nicht, diesem Saufkopp!“
Dan O’Flynn mußte lachen. Die alte Geschichte! Da hatte Mac wieder herumgelabert, war aber wohl beim Kutscher auf Granit gestoßen.
Und Dans Mißtrauen? Das war schon verflogen.
Auch sie gingen also mit dem Dicken die breite Steintreppe hinunter und betraten das erste Gewölbe, wo die Weinfässer gestapelt waren und die wohlgeformte Maid ihres Amtes als Mundschenkin waltete. Als gestandene Mannsbilder konnten Dan O’Flynn und Matt Davies mitnichten an der bulgarischen Venus vorbeischauen. Das ging auch gar nicht, weil sie ihnen ja den Wein kredenzte.
„Hm-hm“, ließ sich Matt Davies vernehmen.
„Du sagst es“, murmelte Dan O’Flynn, obwohl Matt ja auch die Güte des Weins gemeint haben konnte – oder beides.
Der Dicke strahlte.
„Gut?“ fragte er.
„Vorzüglich“, erwiderte Dan, und im stillen dachte er, daß Mac eigentlich recht hatte, wenn ihm sechs Fässer dieses Weins zu wenig gewesen waren. Na, da war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Er würde jedenfalls dem Kutscher zureden, ein paar Fässer mehr zu kaufen.
Sie probierten auch den Käse und das Fladenbrot, und beides paßte hervorragend zu dem herben Rotwein.
„Oh!“ sagte da die Maid, und es klang etwas erschrocken. Sie hatte Matts Prothesenhaken entdeckt – und wurde verlegen, daß sie ihr Erschrecken geäußert hatte. Ihr hübsches Gesicht erblühte in Rot. Hastig sagte sie etwas.
Der Dicke übersetzte: „Zlatina bittet um Verzeihung, daß sie sich so auffällig benommen hat, Señor.“
Matt Davies lächelte. „Nicht der Rede wert, Señor Kymet. Ich bin es gewohnt, daß manche erschrecken, wenn sie den Haken sehen. Zlatina ist ein hübscher Name. Sagen Sie ihr, sie brauche sich nicht zu entschuldigen.“
Der Dicke übersetzte wieder, und da errötete die schöne Zlatina noch mehr. Matt schien es ihr angetan zu haben. Zweifelsohne wirkte er attraktiv mit seinem braungebrannten Gesicht, zu dem die grauen Haare einen scharfen Kontrast bildeten. Sie waren das äußere Merkmal einer Nacht, die Matt Davies – gegen Haie kämpfend – auf einer Gräting verbracht hatte, von der ihn dann die Kameraden am nächsten Tag hatten abbergen können. In dieser einen Nacht waren seine Haare grau geworden. Aber diese Nacht hatte ihn nicht zerstört, sondern noch härter geschmiedet.
Zlatina schenkte ihnen noch einmal nach, und sie genossen den Wein. Doch als sie die Becher absetzten, zitterte Zlatina und war so weiß wie die gekalkten Wände des Gewölbes.
„Na, na!“ sagte Matt Davies. „Wir beißen doch nicht.“
Dan O’Flynn hatte sich umgedreht – und erstarrte.
Zehn Soldaten der Miliz standen verteilt in dem Gewölbe, und die Pistolen in ihren Fäusten waren auf Matt und ihn gerichtet. Die Tür in das Gewölbe verbarrikadierte der dicke Hafenkommandant Selim Güngör. Er war mit einer doppelläufigen Pistole bewaffnet, sein Vollmondgesicht hatte keinen freundlichen Ausdruck mehr, sondern zeigte harte Unnachgiebigkeit.
Matt Davies hatte sich inzwischen auch umgedreht und fragte verblüfft: „Was soll das denn?“
„Das würde mich auch interessieren“, sagte Dan grimmig. Er schaute zu Mehmed Kymet. „Können Sie uns das erklären, Señor?“ fragte er eisig. „Nennt man das hier Gastfreundschaft oder was?“
Der dicke Kaufmann lachte scheppernd. „Gastfreundschaft? Russischen Halsabschneidern gegenüber?“
Matt und Dan wechselten einen Blick.
„Die halten uns für Russen“, sagte Matt kopfschüttelnd, „diese Idioten.“
„So ist es“, sagte Dan, „für russische Halsabschneider, die sogar spanisch sprechen!“
Sie führten ihren Dialog in der englischen Sprache, was Kymet nicht paßte. Er wollte wissen, was sie gesagt hätten, und wenn sie meinten, einen krummen Trick aushecken zu können, dann sollten sie lieber gleich ihr letztes Gebet sprechen – falls sie jemals beten gelernt hätten.
„Jetzt bleiben Sie mal ganz sachlich, Señor Kymet“, sagte Dan O’Flynn gelassen, „und beantworten Sie mir eine Frage: Kennen Sie einen einzigen Russen, der die spanische Sprache beherrscht?“
Der Dicke stutzte. Dann erwiderte er: „Ja, Sie beide!“
„Mann, ist das eine Logik“, entgegnete Dan. „Aber außer uns kennen Sie keinen, nicht wahr?“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Ganz einfach“, erwiderte Dan. „Wir sind Engländer, aber keine Russen. Für Engländer liegt es nahe, die spanische Sprache zu erlernen. Für Russen gilt das nicht. Ich bezweifle überhaupt, ob es russische Verbindungen nach Spanien oder spanische nach Rußland gibt. Vollends absurd ist der Gedanke, russische Schwarzmeer-Piraten – denn um die handelt es sich doch wohl, wenn Sie von Halsabschneidern sprechen – würden sich der Mühe unterziehen, die spanische Sprache zu erlernen. Können Sie mir geistig folgen?“
„Werden Sie nicht unverschämt!“ schnappte der Dicke wütend und begann ein Palaver mit dem Hafenkommandanten, von dem Matt und Dan leider nichts verstanden, weil die beiden türkisch sprachen. Oder bulgarisch.
„Wollen wir versuchen, durchzubrechen?“ fragte Matt unternehmungslustig. Er und Dan O’Flynn waren Draufgänger, aber genauso wie der Kutscher-Trupp unbewaffnet. Matt verfügte zwar über seinen mörderischen Haken, doch gegenüber elf Pistolen, die auf sie gerichtet waren, hatte auch er nicht den Hauch einer Chance.
Dan schüttelte den Kopf. „Hat keinen Zweck, Matt. Diese Bastarde haben die besseren Karten.“
„Fragt sich, ob sie die ausspielen“, meinte Matt ein bißchen verächtlich. Er meinte damit die Pistolen.
„Das auszuprobieren“, erwiderte Dan, „kann zu häßlichen Löchern in der Haut führen. Besser, wir versuchen’s mit Diplomatie.“
Matt grinste hart. „Bei diesen Holzköpfen?“
Dan wandte sich auf spanisch wieder an den dicken Kaufmann.
„Darf man sich erkundigen“, fragte er, „was Sie veranlaßt, uns für russische Halsabschneider zu halten?“
Der dicke Kymet schnaubte: „Lächerliche Frage! Ihr Kapitän ist der berüchtigte Igor Samoilow. Sie gehören zu seiner Verbrecherbande. Ihre Dubas ist an diesen Küsten bekannt wie ein bunter Hund …“
Er konnte nicht weitersprechen, weil Matt Davies und Dan, O’Flynn schallend lachten.
„Das Lachen wird Ihnen schon noch vergehen!“ schrie der Dicke zornig. „Und wenn Sie gedacht haben, auch Burgas überfallen zu können, dann haben Sie sich getäuscht! Wir werden Ihre ganze Bande hinter Schloß und Riegel bringen und Sie alle dem Richter vorführen. Danach werden Ihre Köpfe rollen – wie sich das für Mordbrenner, Frauenschänder und Halsabschneider gehört!“
„Ein Punkt in Ihrer phantasievollen Geschichte stimmt“, sagte Dan O’Flynn, und er war immer noch erheitert. „Die Dubas, mit der wir Ihren Hafen angelaufen haben, gehörte einem gewissen Igor Samoilow und seiner Horde wüster Strolche. Wir gerieten mit den Kerlen oben im Hafen von Varna aneinander. Dabei erlaubten wir uns, seine Dubas für uns zu beschlagnahmen. Unsere Dubas war nämlich kleiner und hatte auch ein paar Schäden in der Beplankung.“ Dan grinste. „Sie können uns allenfalls vorwerfen, einen nicht ganz legalen Tausch vorgenommen zu haben. Aber das wäre ja wohl ein Witz – angesichts dieser Samoilow-Rabauken.“
„Erstunken und erlogen!“ stieß der Dicke hervor.
„Vorsichtig, Kymet!“ sagte Dan scharf. „Wir Engländer lassen uns nicht als Lügner beschimpfen. Umgekehrt halte ich Sie und Ihren Hafenkapitän für reichlich schwachsinnig. Außer der Dubas haben Sie nicht den geringsten Beweis für Ihre Behauptungen. Kennen Sie diesen Samoilow überhaupt persönlich?“
„Nein!“
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