„Natürlich“, erwiderte der Dicke hastig, „entschuldigen Sie bitte. Ich bin noch ganz überrascht über den klugen Papagei. Wenn ich Sie bitten darf, mir zu folgen. Sicher werden die Señores und Ihr Küchenmeister inzwischen alles gefunden haben, was Sie an Bord brauchen.“
„Wenn der Kutscher keinen Mais für Sir Jöhnchen eingekauft hat“, brummte Carberry, „dann hat’s gescheppert.“
„Halleluja!“ tönte Sir John.
„Recht so, mein Kleiner“, lobte Carberry, „sei schön artig, auch wenn der Dicke nicht versteht, was du sagst.“
Sir John enthielt sich eines Kommentars. Er ließ nur ein Kollern hören, was, wie Carberry wußte, Zufriedenheit bedeutete.
Keiner der vier Mannen hatte den geringsten Verdacht geschöpft, und sie wurden auch nicht mißtrauisch, als sie von Mehmed Kymet im Weingewölbe zu einer Kostprobe eingeladen wurden. Das sei eine feste Sitte seines Hauses, sagte er, denn jeder Kunde sei auch gleichzeitig Gast, der sich wohlfühlen solle.
Klar, dachte Don Juan belustigt, mit Speck fängt man Mäuse. Hier wird der Kunde mit Wein geködert. Denn wenn er den getrunken hat, kann er sich schlecht drum herumdrücken, nichts einzukaufen. Der Dicke war ein Schlitzohr, aber durchaus sympathisch.
So genossen sie den Wein und den Anblick der schönen Zlatina, aber wie der Kutscher auf den guten Mac aufgepaßt hatte, so wurde jetzt Smoky von Carberry ins Gebet genommen – natürlich mit dem Hinweis auf dessen Ehefrau Gunnhild.
„Mann, ich hab’ doch gar nichts getan“, empörte sich Smoky.
„Doch, du kriechst mit deinen Augen bis unter ihre Bluse, und das gehört sich nicht“, tadelte der Profos. „Das ist schon so gut wie Ehebruch.“
„Du hast ja selbst Stielaugen“, verteidigte sich Smoky.
„Die stehen mir als Junggeselle auch zu“, erklärte der Profos von oben herab, „schließlich bin ich noch auf der Suche nach einer Lady, die mir geeignet erscheint, die Sippe der Carberrys nicht aussterben zu lassen.“
„Die arme Lady“, sagte jetzt Ferris Tucker.
„Wieso?“ erkundigte sich Carberry.
„Na ja“, sagte Ferris Tucker, „offenbar suchst du eine Zuchtstute, aber keine Frau fürs Leben.“
Da war der Profos nun doch betroffen. „So habe ich das doch nicht gemeint, Ferris.“
„Aber gesagt“, knurrte Ferris erbost, „als wenn Frauen immer nur dazu da wären, Kinder für ihre Kerle in die Welt zu setzen! Und diese Kerle protzen dann mit ihrer Manneskraft. Aber um die Kinder kümmern sie sich einen Dreck …“
Da wurde Smoky fuchtig. „Meinst du mich etwa?“
Don Juan hob die Hand und sagte: „Herrschaften, seid so freundlich und setzt das Thema an Bord fort. Wir sind nicht hier, um Eheprobleme zu besprechen, nicht wahr? Trinkt aus und bedankt euch bei der Lady für den Ausschank.“
Da wandten sie sich wieder der schönen Zlatina zu – und wunderten sich, warum sie so blaß wurde und nicht wußte, wo sie hinschauen sollte.
Don Juan wirbelte herum und griff automatisch zur Hüfte, wo sonst der Degen hing. Aber der war an Bord geblieben, und er hätte mit dem Degen auch nichts ausrichten können. Er fluchte nicht schlecht, der große Spanier mit den grauen Augen im scharfgeschnittenen Gesicht.
Auch Carberry, Ferris Tucker und Smoky waren herumgefahren – Carberry so heftig, daß Sir John von seiner Schulter flog, kreischend herumflatterte, dann jedoch durch die Tür nach draußen sauste, haarscharf am Kopf des Hafenkommandanten vorbei, der fast einen Herzschlag bekam. Für einen kurzen Moment hatte er gedacht, dieser rabiate Vogel wolle ihm die Augen aushacken.
Das war ein Augenblick der Verwirrung, den Carberry erkannte und nutzen wollte. Er war schon im Ansprung, um zur Tür durchzubrechen und den Hafenkommandanten über den Haufen zu rennen, da wurde er mit einem Pistolenschuß gestoppt. Die Kugel klatschte vor seinen Stiefeln auf die Steinfliesen, prallte dort ab und fuhr zwischen seinen Beinen hindurch in eins der Weinfässer.
Den Schuß hatte einer der Milizsoldaten abgefeuert, der direkt an der Tür Stellung bezogen hatte. Die anderen standen wie bei der Überrumpelung von Dan O’Flynn und Matt Davies längs der Innenwand des Gewölbes, die Pistolen auf die vier Mann gerichtet.
Smoky reagierte sonderbar und kümmerte sich nicht die Bohne um die auf sie angeschlagenen Pistolen.
Er hatte einen Eimer entdeckt, ihn sich geschnappt und war zu dem Weinfaß gesprungen. Aus dem Schußloch sprudelte, nämlich Rotwein. Und den ließ er nun in den Eimer fließen. Der war schnell voll. Da schob Smoky seinen rechten Daumen in das Schußloch.
Das war vielleicht eine Situation!
Die Milizsoldaten glotzten wie Mondkälber.
Der dicke Mehmed Kymet hatte auch das Maul offen. Selim Güngör, der Hafenkommandant, stand da, als sei ihm ein Scheunentor an den Kopf geflogen. Die schöne Zlatina hatte einen wogenden Busen, unter dem offenbar ihr Herz flatterte.
Und Carberry? Der kriegte sich nicht mehr ein.
„Hast du nichts Besseres zu tun, Mister Smoky?“ bölkte er den stämmigen Decksältesten an.
„Soll der schöne Wein vielleicht ausfließen?“ brüllte Smoky zurück.
„Scheiß doch auf den Wein!“ röhrte der Profos. „Wir haben verdammt andere Probleme!“ Der Profos hatte blaurot geschwollene Stirnadern, und sein Gesicht glich einer überreifen Tomate.
„Steig mir doch in die Tasche!“ schrie Smoky.
„Nimm deinen dusseligen Daumen aus dem Loch!“ brüllte Carberry.
„Nein!“
„Das ist ein Befehl!“
„Du hast mir nichts zu befehlen! Hol lieber einen Eimer oder eine Balje, du Oberaffenarsch!“ donnerte Smoky.
Carberry hüpfte sozusagen im Viereck. Der grinsende Ferris Tucker hingegen hatte einen Holzpflock entdeckt und befreite Smoky vom Faß.
„Zieh deinen Stöpsel raus“, sagte er, „das Ding hier tut’s auch, da brauchst du keine Balje.“
Smoky zog den Daumen zurück, und blitzschnell rammte Ferris den Pflock in das Schußloch. Er hämmerte mit dem Handballen nach, und damit war der Fall geregelt.
„Danke“, sagte der dicke Kymet verstört.
Ferris drehte sich zu ihm um. „Treten Sie lieber diesem Idioten da in den Hintern, der geschossen hat! Was soll überhaupt der ganze Zirkus? Meinen Sie, wir wollten Sie abmurksen oder was?“
„Sie – Sie sind verhaftet!“
„Verhaftet? Wir? Warum das denn?“ blaffte Ferris.
„Weil Sie zu Igor Samoilows Mörderbande gehören!“
Ferris Tucker trat einen Schritt auf den Dicken zu, der zurückwich. Einer der Milizsoldaten richtete die Pistole auf den Schiffszimmermann und stoppte ihn.
Ferris blickte sprachlos zu Don Juan. Der nickte gleichmütig.
„Eine Verwechslung, Ferris“, sagte er, „mir ist das eben klar geworden. Old Donegal hatte recht. Die halten uns für diese russischen Rabauken, weil wir deren Dubas segeln. Aber das wird sich klären lassen.“
Nichts ließ sich klären. Sie landeten bei den anderen in dem Nebengewölbe, wo die leeren Fässer und Kisten standen. Allerdings nahm Smoky den Eimer mit dem Rotwein mit. Er fand, der stehe ihm zu. Schließlich hatte er verhindert, daß der Wein auslief.
„Na bitte!“ erklärte Dan O’Flynn. „Hatte ich nicht gesagt, daß wir hier bald die nächsten von uns begrüßen könnten? Jetzt sind wir schon elf. Dann ist ja wohl hier demnächst die ganze Crew versammelt.“ Er blickte zu Don Juan. „Ihr hättet doch schon mißtrauisch werden müssen, als Mat und ich nicht zurückkehrten.“
„Und ihr, als der Kutscher mit seiner Gruppe ausblieb“, entgegnete Don Juan. „Machen wir uns doch nichts vor: Wir sind alle elegant aufs Kreuz gelegt worden. Trotz allem glaube ich jedoch fest daran, daß sich der Irrtum aufklären läßt. Der dicke Kaufmann und der Hafenkommandant sind im Grunde anständige Männer. Um Schaden von ihrem Ort und den Bewohnern abzuwenden, haben sie zu einer List gegriffen, was ich ihnen kaum verübeln kann. Sie scheuten eine offene Auseinandersetzung, bei der es Verletzte und Tote gegeben hätte. Das spricht für sie. Sie sind keine wildgewordenen Eisenfresser, die aufs Blutvergießen scharf sind. So gesehen, finde ich es fast amüsant, wie sie uns hereingelegt haben.“
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