Old Donegal verzog keine Miene. Als Hasard zurückkehrte, sagte der Alte gelassen: „Vielleicht sollten wir Plymmie mit zwei, drei Mann an Land schicken.“
Hasard hatte an ihm vorbeigehen wollen, blieb jetzt aber stehen, blickte ihn an und sagte knapp: „Nein!“
„Und warum nicht?“
„Weil ich jetzt zum Hafenkapitän gehe“, erwiderte Hasard, „darum.“
„Davon rate ich dir ab“, sagte Old Donegal.
„Ach ja? Hast du wieder deinen schwarzen Rappen gesehen?“
„Daß Rappen schwarz sind, habe ich inzwischen kapiert“, erwiderte Old Donegal mit stoischer Ruhe, „und daß Ochsen stur sein sollen, hat sich auch herumgesprochen. Stur wie ein Ochse, sagt man dazu.“
Hasards Augen waren schmal geworden. „Zu was sagt man das?“
Old Donegal zuckte mit keiner Wimper. „Es soll Kapitäne geben, die stur wie Ochsen sind.“
„Danke!“ schnappte Hasard.
„Keine Ursache“, sagte Old Donegal. „Ich bin nur der Ansicht, daß das Verschwinden von elf Männern dieser Crew allmählich reicht. Daß diese elf Männer nicht irgendwo spazierengehen oder ihren Auftrag, Proviant einzukaufen, vergessen haben oder in einem Bums mit Weibern herumturteln, das dürfte inzwischen ja wohl klar sein. Was dann? Wer zwei und zwei zusammenzählen kann, der weiß, daß etwas passiert sein muß. Wenn sich jetzt der Kapitän dieser Crew zu jenem Mann begibt, der aller Wahrscheinlichkeit nach für das Verschwinden der elf Männer verantwortlich ist, dann kann man diesen Kapitän nur als sturen Ochsen bezeichnen, Mister Killigrew, Sir!“
Das war starker Tabak.
Hasard starrte auf die Planken. Dann drehte er sich um und sagte zu Ben Brighton: „Übernimm das Kommando, Ben. Ich gehe zu Güngör und nehme ihn ins Gebet.“
Hinter ihm höhnte Old Donegal: „Klar, du sprichst ja auch fließend türkisch, nicht wahr?“
Hasard holte tief Luft – und atmete wieder aus. Er nickte Ben zu. „Alles klar?“
„Nein.“
Hasard zog die rechte Augenbraue hoch. „Wieso nicht?“
„Was ist, wenn dir was passiert oder du nicht zurückkehrst?“
„Dann macht ihr gefechtsklar und laßt ein paar Brandsätze los. Ich schätze, die reichen, um die Leute zu Verhandlungen zu zwingen. Ich muß diesen letzten Versuch unternehmen, um Klarheit zu erhalten.“ Er grinste hart. „Auch als sturer Ochse will mir nicht in den Kopf, daß hier dunkle Mächte am Werk sind. Außerdem halte ich den Hafenkapitän für einen anständigen Mann – im Gegensatz zu den Orakeln des Mister O’Flynn.“
Hinter ihm sagte Old Donegal: „Ich schließe mit dir eine Wette ab, Mister Killigrew, Sir. Ich wette, daß der Hafenkapitän dich vereinnahmt.“
Hasard drehte sich langsam zu ihm um. „Warum sollte er?“
„Weil er dich für Igor Samoilow hält!“
Hasard schob den Kopf etwas vor, als habe er sich verhört. „Wie bitte? Ich soll Igor Samoilow sein?“
„Richtig. Und wir, sind dessen Rabauken. Warum sind wir es? Weil wir deren Dubas segeln. Das erkannten bereits die Fischer draußen vor Burgas.“
„Könnte hinhauen“, sagte Ben Brighton.
„Das muß es sein“, ließ sich Old Shane vernehmen.
Hasard grinste. „Wenn dem so ist, habe ich noch mehr Grund, den Hafenkapitän mit meinem Besuch zu beehren. Danke für den Tip, Mister O’Flynn.“
„Keine Ursache“, sagte Old Donegal ein zweites Mal. „Was ist mit der Wette?“
„Die verlierst du!“
„Also wetten wir?“
„Ja. Güngör wird mich nicht vereinnahmen.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, sagte Old Donegal. „Um was wetten wir?“
„Wir haben vier Fässer Wodka an Bord“, sagte Hasard. „Wer gewinnt, erhält eins dieser Fässer. Einverstanden?“
Da grinste Old Donegal geradezu teuflisch. „Zur eigenen Verfügung?“
„Natürlich“, erwiderte Hasard, „allerdings werde ich mein Faß mit der Crew teilen.“
„Mal sehen“, sagte Old Donegal vage. „Jedenfalls bin ich einverstanden. Wenn das der Profos und Mac wüßten!“
„Ihr seid beide verrückt“, sagte Ben Brighton wütend, denn er dachte daran, was sein würde, wenn er die Brandsätze losjagen mußte, weil der Kapitän nicht zurückkehrte. Und die wetteten um ein verdammtes Wodkafaß! In dieser Situation!
Hasard lachte nur, als er von Bord ging.
Später lachte er nicht mehr, doch er nahm es gelassen.
Die Falle war perfekt aufgebaut, als habe Güngör alles vorausgesehen.
Der Milizsoldat, der vor der Hafenkommandantur Wache ging, grinste freundlich, als Hasard nach „Güngör“ fragte. Dazu nickte der Posten und bedeutete dem großen Mann, er möge ihm folgen. Sie betraten die Kommandantur. Der Posten stellte seine Muskete in einen Gewehrständer, wo nach andere Musketen aufgereiht waren, und geleitete Hasard zu einem hinteren Raum, der mit bequemen Möbeln ausgestattet war.
Hier empfängt der Hafenkapitän offenbar Besuche, dachte Hasard und ließ sich auf einem Polster nieder. Interessiert betrachtete er ein Wandbild, auf dem eine Nymphe dargestellt war. Sie ritt auf einem Delphin durch die Wogen. Ihr Busen wogte auch. Es war ein recht erotisches Bild.
Die Tür schlug zu und wurde verschlossen.
Hasard blieb auf dem bequemen Polster und widmete sich weiter der Nymphe. Was sollte er sonst tun? Old Donegal hatte die Wette gewonnen.
Da war ein Fenster, aber das hatte man von außen verschalkt. Schreien und Brüllen? Aber nicht doch, dachte Hasard, immer die Form wahren. Ein Kapitän hatte Würde zu zeigen, auch in einer solchen Situation. Außerdem war das Spiel noch nicht beendet.
Also wartete er und vertiefte sich in das Nymphenbild. Und er seufzte ein bißchen. Gwendolyn Bernice O’Flynn, die Mutter der Zwillinge, war ein ferner, ferner Traum, der Traum bleiben würde, weil es aus dem Reich der Toten keine Rückkehr gab. Siri-Tong?
Hasard lehnte sich zurück und schloß die Augen.
Er mußte wohl eingeschlafen sein, denn er schreckte etwas auf, als die Tür geöffnet wurde. Zwei Milizsoldaten sprangen in den Raum und nach links und rechts. Sie hatten Pistolen in den Fäusten.
Dann erschien der Hafenkapitän – und mit ihm ein dicklicher Mensch mit einer Knubbelnase und wachsamen Augen, die ihn aufmerksam musterten.
Hasard blieb sitzen und verschränkte die Arme vor der Brust. Und er lächelte freundlich, obwohl er sich ärgerte. Was sollte dieses ganze Theater! Er war unbewaffnet wie die elf nicht zurückgekehrten Männer, und eigentlich sollten diese Gentlemen begreifen, daß sie die falschen Fische gefangen hatten – wenn Old Donegals Theorie stimmte.
„Sie sind Señor Killigrew“, sagte der dickliche Mensch auf spanisch.
Aha, ein Dolmetscher!
Hasard nickte. „Der bin ich. Und wer sind Sie?“
„Mehmed Kymet.“
„Der Kaufmann, bei dem meine Leute einkaufen wollten“, sagte Hasard. „Soso! Und Ihr Hafenkapitän ist der Ansicht, wir seien keine Engländer, sondern Igor Samoilows wilde Horde, nur weil wir dessen Dubas segeln.“
Der Dicke blickte ihn überrascht an. „Woher wissen Sie das?“
„Ich habe einen klugen Mann an Bord“, erwiderte Hasard, „der begann zu kombinieren, als unsere Provianteinkäufer nicht zurückkehrten.“ Und Hasards Stimme wurde scharf. „Was ist mit meinen Männern?“
„Sie befinden sich wohlbehalten in einem Gewölbe meiner Faktorei“, sagte Mehmed Kymet hastig.
Da war dieser Blick, von dem Selim Güngör gesagt hatte, dabei sei ihm das Blut in den Adern zu Eis gefroren. Es stimmte.
„Ihr Allah möge Ihnen gnädig sein, wenn einem meiner Männer auch nur ein Härchen gekrümmt wurde“, sagte Hasard. „Und jetzt teilen Sie dem Hafenkapitän mit, daß meine Männer an Bord die Hölle loslassen, wenn ich nicht zurückkehre. Wir haben chinesische Brandsätze aus Ostasien mitgebracht. Da reichen zwei, um Burgas in Schutt und Asche zu legen. Außerdem verlange ich die Freigabe meiner Männer. Wir sind keine Banditen, sondern englische Seefahrer. Aber wenn jemand meint, uns auf der Nase herumtanzen zu können – wie zum Beispiel dieser Strolch Samoilow –, dann rate ich ihm, vorher sein Testament zu machen. Übersetzen Sie da? Ihrem Hafenkapitän. Und sagen Sie ihm, noch seien wir friedlich. Aber jetzt reicht’s!“
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