Der Dicke nickte, sprach sich mit dem Hafenkapitän ab und zog mit zwei Soldaten und Ben Brighton los.
Inzwischen versuchten weitere Arwenacks ihr Glück mit Sir John. Sie fierten die vordere Rahrute ab. Als Al Conroy nach dem zeternden Schreihals langen wollte, flatterte der wieder auf die Rahrute vom Großmast. Auch diese wurde abgefiert.
Sir John regte sich fürchterlich auf und zeigte sich von seiner ordinärsten Seite. Blackys Zugriff entging er durch die Flucht zum Fockmasttopp. Dort stimmte er ein wüstes Gelächter an, mischte es allerdings mit der Aufforderung, „Küüßchen“ zu geben.
„Dir geb ich was anderes!“ schrie Pete Ballie hoch, legte die klüsengroßen Pranken um den Fockmast und begann ihn wild zu schütteln.
Oben schwankte Sir John wie auf der Spitze einer sturmgepeitschten Tanne, aber er krallte sich fest, bis ihm die Schaukelei zu bunt wurde. Er flog hinüber zum Topp des Großmastes und krakeelte dort weiter.
Der Hafenkapitän schaute fasziniert zu, ebenso die Posten. Daß die Kerle, die sich dort an Bord mit dem Papagei beschäftigten, in einer ihnen fremden Sprache – und bestimmt nicht der russischen – herumfluchten, wurde ihnen nicht bewußt. Ebenso nicht, daß der Papagei in derselben Sprache zurückfluchte.
Als flotter Flieger krönte Sir John seine Überlegenheit damit, daß er Blacky, der nunmehr den Großmast schüttelte, einen grauweißen Haufen aufs Haupt setzte. Gewiß ein Zufallstreffer, aber immerhin.
„Hopp auf!“ schrie Sir John. „Pickelhering, verlauster!“
Blacky drohte mit der Faust nach oben und kündigte dem Krakeeler an, daß er ihm den Hals umdrehen werden, was Sir John wieder mit seinem fürchterlichen Gelächter quittierte.
„Vielleicht solltet ihr die beiden Masten umlegen“, schlug jetzt Nils Larsen vor, der sich wie die meisten Arwenacks köstlich amüsierte und natürlich ordentlich stichelte, um die Sir-John-Jäger noch mehr in Rage zu bringen.
Prompt reagierte auch Pete Ballie.
„Jaja!“ fuhr er ihn an. „Kannst du noch was anderes, als dumm herumzustehen, blöd zu grinsen und dämlich zu quatschen?“
„Muß mal nachdenken“, sagte Nils Larsen, „ob ich noch was anderes kann. Ja, da fällt mir was ein: ihr könntet versuchen, Sir John mit der Wurfleine einzufangen! Soll ich eine holen?“
Zum Glück erschienen die elf Mannen aus der Faktorei mit Ben Brighton, dem dicken Kymet und den Milizsoldaten. Carberry war bereits informiert und hatte listigerweise eine Tüte mit Erdnüßchen mitgebracht. Nach solchen hatte er bei dem Dicken gefragt und war auch prompt bedient worden. Er hatte die Erdnüßchen bezahlen wollen. Aber nichts da, das gehöre zur „Wiedergutmachung“, hatte der Dicke erklärt.
„Dem Herrn sei Lob und Dank“, murmelte Pete Ballie, als der Profos an Bord sprang. „Dein Pieper ist völlig aus dem Häuschen und will nicht von Bord, Ed.“
„Kleine Fische“, verkündete der Profos. „Ihr versteht eben nicht, wie man ein solches Vögelchen behandeln muß, das ein empfindsames Gemüt hat.“
„Aha“, sagte Pete Ballie ein bißchen perplex, denn davon, daß das „Vögelchen“ namens Sir John ein empfindsames Gemüt haben sollte, hatte er noch nie etwas bemerkt. Im Gegenteil, bisher hatte sich das „Vögelchen“ stets nur als rabiater Krachmacher dargestellt – und als ziemlich aggressiv. Da brauchte man nur an das Hühnervolk zu denken, das sie an Bord gehabt hatten. Mein Gott, was sich da alles schon abgespielt hatte!
Eine neue Vorstellung begann.
Carberry stand unten am Großmast, spähte zu seinem Liebling hoch und flötete: „Sir Jöhnchen! Komm zum lieben Edwin, mein Schätzchen!“
Die Mannen begannen zu glucksen. Carberry runzelte die Stirn und brummte: „Ich bitte mir absolute Ruhe aus! Sonst kann sich Sir John nicht konzentrieren!“
Die Mannen hätten am liebsten laut losgeprustet.
Carberry holte ein Erdnüßchen aus der Tüte, legte es auf die geöffnete rechte Hand und lockte: „Hier hab’ ich was für meinen Sir Jöhnchen! Ein Erdnüßchen, ein leckeres, ei-ei! Ob sich das mein kleiner Mann holt? Schau doch mal!“
Sir John schaute mit schiefem Kopf und verkündete: „Kreuz-Brassen-Affenarsch!“
Carberry zuckte zusammen und donnerte: „Komm sofort runter, du Lümmel!“
Der Lümmel pfiff ihm was. Er flog hinüber zum Fockmasttopp, plusterte sich dort auf und begann mit Gebrabbel, sein Gefieder zu putzen. Das bedeutete: Rutsch mir doch den Buckel runter, mein lieber Edwin. Carberry hätte die Erdnüßchentüte am liebsten auf die Planken gepfeffert.
Jetzt war es Pete Ballie, der beim Grinsen beinahe seine Ohrläppchen abbiß.
„Hat wirklich ein empfindsames Gemüt, das Vögelchen“, lästerte er.
Der Profos setzte zur passenden Antwort an, da rief Hasard von der Pier her: „Wir lassen Sir John an Bord, Ed! Er will eben nicht, und das sollten wir respektieren. Vielleicht überlegt er sich’s anders, wenn wir abmarschieren.“
„Aye, Sir“, murmelte der Profos, warf einen grimmigen Blick zu seinem Liebling hoch und stieg von Bord. In einer Kolonne zogen die Arwenacks ab, um in den Zellen der Kommandantur Quartier zu nehmen. Carberry bildete das Schlußlicht und drehte sich immer wieder um. Er war ziemlich erschüttert. Sein Sir Jöhnchen dachte nicht daran, vom Topp abzuheben und auf die breite Profos-Schulter zu fliegen, wo er gern seinen Stammplatz einnahm.
In den Zellen, die offen blieben – nur die Gittertür zu dem Trakt wurde später verschlossen –, erwartete die Arwenacks ein fürstliches Mahl, das Mehmed Kymet hatte zubereiten lassen: Brathähnchen mit diversen Beigaben, dazu der herbe Rotwein vom Faß!
Da war der Profos wieder obenauf.
„Von mir aus“, verkündete er, „kann der Reiter ein paar Tage in Varna bleiben oder zu Fuß zurückmarschieren. Geht’s uns wieder gut, Leute?“
„Ich war aber mit der schönen Zlatina verabredet“, nölte Mac Pellew.
„Davon kann überhaupt keine Rede sein!“ fuhr ihn der Kutscher an.
„Du verstehst eben nichts von der Sinnlichkeit der Augensprache“, entgegnete Mac verdrießlich, „sonst hättest du bemerkt, wie sie von meinem Blick dahinschmolz.“
„So ein Quatsch!“ sagte der Kutscher erbittert.
Es war wieder sehr lustig bei den Arwenacks, auch wenn sie in einem Zellentrakt einsaßen.
Auf der früheren Dubas der Seewölfe – jetzt bemannt von Igor Samoilow und seinen Rabauken – war es nicht so lustig. Das hing damit zusammen, daß sie etwas tun mußten, was sie noch mehr verabscheuten als Wasser und Seife zum Waschen. Sie mußten arbeiten, und zwar hart arbeiten, nämlich an den beiden Pumpen der Dubas.
Hörten sie mit dem Pumpen auf, dann soff ihnen die Dubas unter dem Hintern weg. Insofern leisteten sie Zwangsarbeit, und es war die unsinnigste Arbeit, die sie jemals – wenn überhaupt – geleistet hatten. Denn was sie aus der Bilge herauspumpten, floß im selben Moment durch die Leckstellen wieder hinein. Es war ein idiotischer Kreislauf.
Der einzige, der sich nicht an einer Pumpe abrackerte, war Igor Samoilow. Dafür stand er an der Pinne, aber das war mehr symbolisch, denn er hätte die Pinne festbinden können. Die Dubas lag ausgewogen auf dem Ruder, und der Wind wehte gleichmäßig aus Nordosten.
Den Vorschlag eines seiner Kerle, die verdammte Dubas auf den Strand auflaufen zu lassen und die Verfolgung aufzugeben, hatte er mit der Faust beantwortet und dem Kerl dabei schier die Kinnlade ausgerenkt.
„Wer noch mal das Maul aufreißt“, brüllte er, „wird erschossen!“
Von einem verängstigten Fischer hatten sie erfahren, daß ihre Dubas mit den fremden Bastarden südwärts gesegelt wäre, immer an der Küste entlang.
Wenn sie ihre Dubas einholen wollten, mußten sie segeln, immer nur segeln – und pumpen. Jeweils vier Mann arbeiteten an einer Pumpe und wurden halbstündlich abgelöst. Acht Mann waren also ständig beschäftigt, während die anderen Pause hatten und keuchend an Deck hockten.
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