1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 „Sie haben nicht zufällig ein Feuerzeug oder einen Meterstab in ihrer Livree versteckt? Ich bräuchte ein ganz einfaches Plastikfeuerzeug, also kein silbernes Zippo“, wandte er sich an Cornelius.
Für einen Moment blickte Cornelius seinen Chef irritiert an, dann zauberte er ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche.
„Danke.“
Peter bemerkte das leichte Schmunzeln auf Cornelius Lippen, als er ihm dabei zusah, wie er den Kronkorken der Bierflasche mit dem Feuerzeug abploppen ließ. Nach einem großen Schluck gab er ein zufriedenes „Ah“ von sich.
„Ich glaube, ich habe seit fünfzehn Jahren keine Bierflasche mehr mit dem Feuerzeug geöffnet. Genehmigen Sie sich doch auch eines!“ Ein Gefühl der Entspannung breitete sich in ihm aus. Sein Butler brauchte allerdings eine weitere Aufforderung, bis er sich vor den Augen des Arbeitgebers ein Pils aus dem Kühlschrank nahm.
Etwa eine halbe Stunde später saßen die beiden rauchend am Personaltisch, neben ihnen stand ein aufgerissenes Sixpack. Peter ertappte sich dabei, wie er vor sich hinstarrte und mit den Gedanken abdriftete.
Diese Stille ... kein Geklappter von Stöckelschuhen, keine Musik aus dem ersten Stock ... Wie es ihr wohl gerade geht?
Er konnte nicht leugnen, dass er sich ein wenig hinterhältig vorkam. Hätte er Lucia vielleicht doch vorwarnen und noch einmal mit ihr sprechen sollen, bevor er sie so radikal ins Leben hinausgeschubst hatte? Die Idee war ihm schon länger gekommen: Seine Tochter brauchte einen Dämpfer. Sie war schon zu sehr in ihrer eigenen Welt gefangen, alles war selbstverständlich geworden, da nützte es auch nichts, wenn sie einmal im Jahr auf einer Charity-Gala großzügig für kranke Kinder spendete. Das hatte nicht so weitergehen dürfen. Andernfalls hätte seine Tochter sich vor lauter Überheblichkeit irgendwann derart in Schwierigkeiten gebracht, dass ihr kein Anwalt mehr hätte helfen können.
„Möchten Sie darüber sprechen?“, erkundigte sich Cornelius, dem offenbar Peters Stimmung nicht entgangen war. Er war selbstverständlich eingeweiht gewesen, hatte sogar diese Wohnung für Lucia vorgeschlagen. Das Appartement lag in dem alten Mietshaus, das Peter vor einiger Zeit aus Steuergründen gekauft hatte. Den plötzlichen Rauswurf allerdings hatte er selbst beschlossen. Auf dem Monitor der Überwachungskamera hatte er ihr Entsetzen beobachten können, als Lucia seine Nachricht las. Dass zu diesem Zeitpunkt er selbst, Cornelius, die Köchin und die Putzfrau im Haus gewesen waren, hatte sie nicht wissen können. Jeder hatte seine Anweisungen genau befolgt, auch wenn die Köchin ihre Ansicht zu dieser Aktion anschließend lautstark geäußert hatte. Mit hochrotem Gesicht war sie kopfschüttelnd davongestapft und hatte angekündigt, sich den Abend frei zu nehmen. Sollte doch der Hausherr auch wissen, wie es war, ohne Hilfe zurechtzukommen. Sie war eindeutig auf Lucias Seite.
„War ich vielleicht zu hart?“, fragte Peter nachdenklich.
Cornelius drückte seine Zigarette aus und räusperte sich. Sogar wenn man ihn dazu ermunterte, sich locker zu verhalten, konnte er nicht aus seiner Haut. Sein Beruf war ihm vermutlich schon während der Ausbildung auf der britischen Butlerschule in Fleisch und Blut übergegangen.
„Wenn Sie erlauben ...“, begann er zögernd.
„Natürlich, sagen Sie mir ruhig, was sie davon halten.“
„ Hart wäre es gewesen, wenn Sie ihre Tochter zur Entwicklungshilfe nach Afrika geschickt hätten, wo den Menschen in der Woche weniger Trinkwasser zur Verfügung steht, als – bitte verzeihen Sie – in diesem Haus bereits vor dem Frühstück verbraucht wird.“
Peter nickte langsam. „Sie glauben also, meine Tochter wird mir das verzeihen?“
„Ich denke sogar, wenn alles nach Plan läuft und sie sich wieder daran erinnert, wie das echte Leben ist, wird sie ihnen eines Tages dankbar sein.“
Peter brummte. So ganz wollte er nicht daran glauben.
„Es könnte natürlich auch passieren ...“, sprach Cornelius weiter.
Peter vollendete seinen Satz mit einem Lachen: „Es könnte passieren, dass sie erstmal komplett durchdreht oder sich bei ihren Freunden einquartiert. Ach, meine kleine verwöhnte Lucia.“
Während Peter sich entspannt zurücklehnte und nach dem nächsten Bier griff, stand Cornelius bereits wieder und warf einen Blick auf die Uhr.
„Wünschen Sie, dass ich etwas zum Abendessen kommen lasse?“
Peter winkte ab. „Für mich alleine wäre das Verschwendung. Wissen Sie was: Ich wärme mir einfach was auf oder mach mir ein belegtes Brot.“
„Wie Sie wünschen.“
Ein weiteres Schmunzeln zeigte sich in Cornelius` Gesicht. Peters Gedanken aber waren bei Lucia. Er zog sein Handy aus der Tasche und überprüfte das Display. Eigenartig ... sein Telefon hätte schon längst voll sein müssen mit Anrufen in Abwesenheit oder zornigen Nachrichten, aber nichts. Das Festnetztelefon gab ebenfalls kein Geräusch von sich. Hatte er seine Tochter etwa unterschätzt? Oder befand sie sich noch in Schockstarre über die neue Wohngegend sowie den Zustand ihres Appartements?
Wie betäubt stieg ich die Stufen hinauf. Ein Aufzug existierte nicht, doch das fiel in dieser Bude auch nicht mehr ins Gewicht.
Mein Gott ...
Das Mietshaus mit seinen zehn Parteien war schon von außen nicht gerade einladend, im Inneren verstärkte sich dieser Eindruck noch massiv. An den Wänden bröckelte die Farbe ab, darunter kam eine alte Tapete zum Vorschein, die Wohnungstüren sahen zum Teil zerkratzt aus und oben kreischten ein paar Kinder. Die alte Holztreppe knarrte unter jedem Schritt, und dann dieser Gestank! Lüfteten die Leute hier etwa ihren Küchendampf in den Hausflur?
Im zweiten Stock überholte mich Achim und dirigierte mich zu einer versifften Tür mit Kleberesten unter dem Türspion.
„Ihr neues Appartement“, kündigte er an. „Na so was, warum geht das nicht ...? Das Schloss klemmt manchmal, hat mir der Eigentümer mitgeteilt.“ Er ruckelte ein wenig mit dem Schlüssel bis das Schloß knackte und die Tür quietschend aufschwang.
Angeekelt ging ich an ihm vorbei in meine neue „Wohnung“. Drinnen wäre ich am liebsten gleich wieder umgedreht.
„Das soll wohl ein Witz sein?!“
Das Appartement bestand aus einem Zimmer mit Kochecke, einer abgefuckten Couch und einem kleinen Schlafzimmer. Das, was das Bad sein sollte, war kleiner als das Gästeklo in unserer Villa. Die gesamte Wohnung konnte nicht größer sein als mein Ankleidezimmer.
Achim blieb höflich an der Tür stehen, während ich mich umsah. Im Schlafzimmer fand ich eine Ladung beschrifteter Kartons, „Sommerkleider“, „Jeans“, „Schuhe“, „ordinäre Outfits“ und so weiter. Mein Vater hatte also meine Sachen schon herbringen lassen. Ich sah auf den ersten Blick, dass es nur ein winziger Teil meines Besitzes war. Logisch, der Rest hätte auch nicht hier reingepasst. Von meinen geliebten Möbeln konnte ich nichts entdecken, die Bude war mit entsetzlichen 80er-Jahre-Schränken und Regalen möbliert. Wenigstens war das Bett frisch bezogen, das war aber auch das einzig Erträgliche.
Ich befand mich immer noch in einem Dämmerzustand und brachte keinen Ton heraus. Meine Stimme hätte wahrscheinlich auch niemand gehört, denn der Lärm aus den anderen Wohnungen überdeckte jedes normal gesprochene Wort problemlos. Unten hupte schon seit Minuten jemand, und direkt über mir wurde ein schreiendes Kind auf Türkisch, Marokkanisch oder was weiß ich was für einer Sprache zusammengeschissen.
Nachdem ich minutenlang im Schlafzimmer die Kartons angestarrt hatte, klingelte es an der Tür. Achim befand sich gerade im Bad, weshalb ich selbst öffnen musste.
Mit einem genervten „Was ist?“ riss ich die Tür auf. Ein junger Typ mit kurzen blonden Haaren und Baseballkappe stand mir gegenüber. Als er mich sah, musterte er mich von oben bis unten und pfiff durch die Zähne. Geistesabwesend schob er seine Mütze nach hinten und lehnte sich lässig an den Türrahmen.
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