1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 „Hi, du wohnst wohl noch nicht lange hier? Ich hab dich hier noch nie gesehen.“
„Nein, ich ziehe gerade ein. Was willst du? Für Anmache bin ich wirklich nicht in Stimmung.“
„Ja ... schade. Weißt du, wem die Bonzenkarre vor dem Haus gehört?“
Mit Bonzenkarre konnte nur unser Jaguar gemeint sein.
„Was ist damit?“, fragte ich pampig.
„Gehört die Karre dir? Wow ... Die steht total im Weg, ich muss hier mit dem Hänger parken und was abladen.“
„Ich sag`s meinem Chauffeur.“
Der Typ grinste mich frech an. „Du hast einen Chauffeur aber wohnst in dieser Bruchbude? Süße, ich kenn dich zwar nicht, aber ich glaub, deine Prioritäten sind nicht ganz ...“
Meine Antwort bestand aus einem Knurren.
„Tja, dann geh ich mal wieder. Wenn du mal nichts vorhast ... ich bin oft bei meinem Kumpel im ersten Stock, schau doch mal vorbei.“
Ja klar, darauf hatte ich wirklich Lust. Ich drehte mich um und knallte ihm die Tür vor der Nase zu, bevor er mich noch nach meiner Handynummer fragen konnte.
Neben mir räusperte sich Achim. „Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, dann lasse ich Sie jetzt alleine. Sie haben sicher noch eine Menge zu tun.“
„Ja ... okay“, murmelte ich und sah zu, wie die letzte Verbindung zu meinem alten Leben durch die Tür verschwand. Am liebsten wäre ich mit Achim zurück nach Hause gefahren, ich konnte mich nur mit Mühe beherrschen. Aber diesen Triumph wollte ich meinem Dad nicht gönnen, ich würde ihm schon beweisen, dass ich nicht aus Zucker war und hier zurechtkam.
Ich warf meine Handtasche auf den Esstisch, der wohl mal ein paar Nuancen heller gewesen war, und sah mich weiter um. Am Kühlschrank entdeckte ich einen Zettel mit einer vertrauten Handschrift:
„Da ich nicht wusste, was du essen möchtest, habe ich dir ein paar Anregungen hiergelassen.“
Mit einem unguten Gefühl öffnete ich die Kühlschranktür. Leer. Kaputt war er wohl auch, denn mir schlug eine miefige Wärme aus dem dunklen Billigkühlschrank entgegen. Und was war das auf der Arbeitsfläche – Kochbücher?! Natürlich, mein Vater wollte mich quälen. Hektisch riss ich die Hängeschränke der winzigen Küchenzeile auf, in der Hoffnung, darin etwas Essbares vorzufinden – nichts. Nicht mal eine Packung Nudeln! Das Licht im Raum funktionierte auch nicht, das wurde immer besser. Unter einer der Steckdosen klebte ebenfalls ein Zettel.
„Bitte denk daran, dich beim Stromanbieter anzumelden. Da dir nicht allzu viele technische Spielereien zur Verfügung stehen, dürfte dich das nicht mehr als 50 Euro im Monat kosten. Auf deinem neuen Girokonto (siehe Kuvert auf dem Esstisch) ...“
Der Zettel knisterte in meiner Hand. Ich war kurz davor, jemanden zu erwürgen. G irokonto! Noch mehr konnte er mich ja wohl nicht demütigen. Bebend vor Wut las ich weiter:
„... befinden sich 500 Euro. Geh sorgsam damit um, dann reicht es für deine Lebenshaltungskosten bis zum Monatsende. Du erhältst am nächsten 1. automatisch das Geld für den nächsten Monat. Die Miete ist bereits bezahlt.“
500 Euro für einen ganzen Monat? Das reichte nicht mal für die tägliche Taxifahrt zum Tierheim! In meinem Geldbeutel befanden sich gerade mal fünfzig Euro, also praktisch nichts. Sollte ich etwa mit dem Bus fahren?
„Ich würde die Trambahn empfehlen, danach musst du in die S-Bahn umsteigen, die dich zur Bushaltestelle am Rosenheimer Platz bringt.“
Auf dem Tisch entdeckte ich einen Umschlag mit einer EC-Karte darin, sowie die zugehörige Geheimnummer. Ich schob die Karte in meinen Geldbeutel und war kurz davor, in Tränen auszubrechen.
Kochbücher, ein leerer Kühlschrank und kein Geld. Spätestens jetzt bereute ich den Streit mit meinem Vater bitter. Seine hämische Notiz zerknüllte ich und warf sie gegen die Wand. Das war nicht mein Leben, hier in diesem Armenhaus würde ich es keinen einzigen Tag aushalten. Vielleicht konnte ich Achim noch erreichen? Kurz entschlossen schnappte ich meine Tasche und rannte nach unten. Weit kam ich nicht, denn zwischen erstem Stock und Erdgeschoss verstopften zwei Typen mit einer Couch die Treppe.
„He, langsam, wir waren zuerst da“, sagte einer der beiden schnaufend.
„Müsst ihr das Ding jetzt hochtragen? Ich hab`s eilig, verdammt.“
Die beiden stellten die Couch auf den Stufen ab und drehten sich grinsend zu mir um. Den einen hatte ich vorhin gerade kennengelernt, der andere war wohl sein Kumpel aus dem ersten Stock. Als er mich ansah, vergaß ich für eine Sekunde, was ich eigentlich wollte. Er war groß, etwas älter als ich, und das enge T-Shirt spannte sich um seinen durchtrainierten Oberkörper. Unter der Baseballkappe kamen halblange braune Haare zum Vorschein. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gedacht, Lucas Maxfield – das heißeste männliche Model des Universums – stünde vor mir.
„Hi“, sagte er mit einer angenehmen Stimme.
„Hi.“
„Wir sind hier gleich fertig, aber das Ding hier“, er klopfte auf die Couch, „ist ganz schön sperrig. Wenn du ein paar Minuten wartest, sind wir weg.“
Von unten hörte ich ein vertrautes Motorgeräusch.
„Ich habe KEINE Zeit!“, rief ich panisch und versuchte, mich an der Couch vorbeizuzwängen.
„Du könntest ja drüberklettern“, schlug der Dunkelhaarige lachend vor. Wunderbar, dachte ich verzweifelt, die beiden amüsieren sich und draußen entfernt sich das Motorengeräusch unseres Autos immer weiter.
Nachdem die beiden endlich ihr Couchungetüm aus dem Weg geschafft hatten, spurtete ich auf die Straße, aber es war zu spät. In letzter Verzweiflung zog ich meine Schuhe aus und rannte barfuß die Straße entlang, doch von unserem Jaguar war nichts mehr zu sehen. Außer Atem suchte ich in meinem Adressbuch Achims Nummer. Es tutete und tutete ... Entweder hörte Achim sein Handy nicht oder ging absichtlich nicht ran. Ein weiterer Anruf mit unterdrückter Nummer hätte Klarheit gebracht, aber so tief war ich noch nicht gesunken.
Na schön, dachte ich und ging langsam zurück zum Haus, das war`s. Ich werde nicht zurücklaufen und meinen Dad anbetteln, mir zu verzeihen. Diese Genugtuung gönne ich ihm nicht. Wenn er Krieg will, kann er ihn haben.
Zurück in meiner Wohnung kümmerte ich mich als Erstes um den Strom. Nach einer halben Stunde in der Warteschleife des Anbieters versicherte mir eine Mitarbeiterin, sie würde den Strom sofort freischalten lassen, sobald ich meine Kontodaten angegeben hätte. Nach diesem Telefonat machte ich mich auf die Suche nach einem Supermarkt. Zu Fuß natürlich. In meinen schönen hochhackigen Sandalen und dem mittlerweile durchgeschwitzten Kleid. Normalerweise hätte ich mir einfach etwas zu Essen bestellt, doch mit so gut wie nichts im Geldbeutel wäre das peinlich geworden.
„Du kannst doch nicht mal ein Ei kochen.“
Pah, das werden wir noch sehen, dachte ich trotzig und schlenderte durch die Gänge des Supermarktes. Ich war erstaunt, wie günstig alles war. Eine Packung Tiefkühlgarnelen kostete gerade mal fünf Euro. Da fragte ich mich, warum Restaurants für einen winzigen Krabbencocktail das Dreifache verlangten. Leider hatte ich keine Ahnung, wie man Garnelen zubereitete, also schnappte ich mir stattdessen eine Packung Räucherlachs und Toast. Das würde für ... gerade mal für einen Abend reichen. Scheiße. Damit hatte ich noch kein Mittagessen, kein Frühstück für die nächsten Tage, und der einzig akzeptable Sekt kostete zehn Euro die Flasche. Eigentlich spottbillig, aber für meine momentanen Verhältnisse zu teuer und bestimmt nicht genießbar. In der Nähe der Kasse entdeckte ich schließlich ein paar rettende Sonderangebote. Diese Dosenravioli waren ja spottbillig! Und das Beste daran: man musste sie nur öffnen und in einem Topf oder der Mikrowelle warm machen. Damit hätte ich eine komplette Mahlzeit für nur 1,35 Euro. Ich überschlug kurz im Kopf, dass mich mein Mittagessen damit im Monat nur etwa vierzig Euro kosten würde. Dann bliebe noch genügend Geld übrig für ein paar Taxifahrten und Kaffeetrinken. Ich lud zehn Dosen in den Einkaufswagen, entschied mich für einen guten Sekt und legte noch zwei weitere Packungen Räucherlachs hinzu.
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