Ich hielt Argela noch an mich gedrückt, als uns der Scheinwerfer erfasste … Blendendes Licht tauchte uns ein, wir sahen nichts mehr von der Umgebung, wie gebannt von einem unbarmherzig glühenden Weiß standen wir still, nur unsere Augen sprachen, kein Wort kam über unsere Lippen …
Dann sahen wir uns umringt, Soldaten, die mich festnehmen sollten, versuchten, uns auseinanderzureißen, Bauern standen um uns herum, aufgeregte Offiziere brüllten, Weiber schrien ängstlich. Ich trennte mich nicht gutwillig von Argela. Die Männer zerrten an mir, immer wieder riss ich das Mädchen an mich, und endlich, mit brutalem Griff, konnten sie uns ganz auseinanderbringen. Und noch im Moment der Trennung rief mir Argela etwas zu, und ich verstand davon nur: »Ich warte« … und »beim grauen Turm« …
Dann schleifte man mich endgültig weg …
Ich war irgendwie betäubt und verstand nichts, dennoch erinnere ich mich an jeden Fluch der Unteroffiziere, jeden Blick weinender Kinder, die mir furchtsam nachschauten. Und durch die brodelnde Menge sprang der Dorfnarr und schrie: »Im dritten Leben kommt ihr zusammen, im dritten Leben, im dritten Leben …«
Der Kreis hatte sich geschlossen. Wieder will ich mir das nun folgende Verhör ersparen. Meine Gedanken waren nicht zugegen, ich ließ die Fragen wie die Schläge wortlos über mich ergehen. Leute in Uniform lümmelten um mich herum und starrten mich durch den Rauch ihrer Zigaretten an wie ein seltsames Tier. Vielleicht waren die dabei, die mich seinerzeit am Waldrand aufgestöbert hatten. Alle sahen gleich aus.
Ich kann nicht einmal berichten, wie das Urteil ausfiel, das mir nach kurzer Wartezeit vorgelesen wurde; wahrscheinlich sollte ich hingerichtet werden. Da ich keine Papiere bei mir hatte, war ich ein Spion oder ein Deserteur, und für diese gab es nur eine Strafe: den Tod. Aber wie gesagt – ich hörte kaum zu, die Worte glitten an mir vorbei. Der Kreis hatte sich geschlossen. Wo ich zu Beginn meiner seltsamen Abschweifung vom zugedachten Pfad gestanden war, dort stand ich jetzt wieder. Nur war das, was damals nur Drohung war, heute Wirklichkeit.
Zunächst wurde ich in einem Keller versperrt, offenbar den Gemeindekotter, wo ich in einen Haufen von feuchtem Stroh sank. Alles drehte sich um mich, die Entfernungen von den Wänden schienen unendlich groß zu werden, der Boden unter mir zu versinken. Ich hatte das Gefühl zu fallen und zugleich zu steigen und empfand die Einsamkeit körperlich um mich herum. Trauer überkam mich, der ich hilflos ausgesetzt war, und als ich mich in unsäglichem Weh hin und her warf, glaubte ich, haltlos im leeren Raum zu pendeln. Überdies spürte ich deutlich jeden Schlag des Herzens, das Blut drängte sich schmerzhaft durch die Schläfen, und eiserne Reifen schienen meine Brust zu umklammern. Mein Kopf war glühend heiß, mein Denken bewegte sich aus den gewohnten Geleisen heraus. Ich vermochte nicht mehr, Einbildung und Wirklichkeit zu unterscheiden; Vergangenheit war gegenwärtig, und ich verschmolz mit der Gegenwart zu einem auf mich eindringenden Halbwesen.
Man hatte mich ins Gefängnis geworfen, weil ich ohne Ausweise in das Hauptquartier eingeschlichen war. Zugleich aber, weil mich Argela an die Hussiten verraten hatte und ich nur mehr bis zum nächsten Tag zu leben hatte; schon wurde draußen der Galgen vorbereitet. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen gestern und heute. Dumpfe Schläge schollen bis zu mir herein, vom Gejohle unterbrochen. Dann schien man meine Gefangennahme zu feiern, eine Geige fiedelte, Gesang klang auf und Geklirr von brechenden Krügen mischte sich darin. Sehen konnte ich nichts von den Vorgängen draußen, Licht kam nur durch ein enges und vergittertes Loch mir gegenüber an der Wand, mehr eine Schießscharte als ein Fenster; es war der Glanz der Sterne, und ich saß auf meinem Stroh und sah hinauf. Ein Stern gleißte in wildem Licht; unser Streit, unsere Kämpfe, ja selbst mein Leben und Tod kamen mir plötzlich unwichtig vor. Der Lauf der Gestirne blieb ungerührt von unseren Sorgen und Nöten, und keine zu ihnen hinaufgerufene Klage mochte an dem ehernen Schicksal etwas zu ändern. Geburt und Tod, Sternenauf- und -untergang, alles geschah, wie es bestimmt war.
So hockte ich an den kalten Stein der Wand gelehnt; die Schritte des Wächters hallten im Gang hinter dem Eisengitter, das mein Verlies verschloss, wenn er gelegentlich vorbeikam, um mich anzugaffen; später verstummten sie auf längere Zeit. Dafür schoss eine Fledermaus durch die Fensteröffnung herein und verließ sie wieder, nachdem sie wie ein Schatten mit vibrierenden Flügelschlägen durch den Raum geflattert war. Undeutliches Geschrei schwoll draußen auf und verebbte wieder, und ein zweiter, schwächerer Stern begann, in meinem Ausblickloch zu funkeln.
Plötzlich vernahm ich kaum hörbares Rauschen und drehte mich um. Zwischen zwei Gitterstäben sah ich zwei samtglänzende Punkte, Augen, die auf mich hinsahen … Ich ahnte die Nähe Argelas und rührte mich nicht … Ihre schmale Hand hob sich, Schlüssel klirrten, ein Ruck, die Tür stand offen.
»Komm«, flüsterte es in der Dunkelheit, »wir haben keine Zeit zu verlieren!«
Argela kam, um mich zu befreien! Oder war es wieder ein grausames Spiel, Freude an der Demütigung, Lust an der Qual? Noch stand der Verrat deutlich vor mir.
»Komm«, drängte sie, »so komm doch!« Dieser flehende Ton trog nicht, ich hörte es ihm an. Und jetzt erkannte ich auch, dass das Mädchen mich liebte und nichts so dringlich ersehnte, als mich in Sicherheit zu wissen. Aber noch war das Geschehen am Mahnstein lebendig; damals war ich bereit gewesen, meiner Liebe alles zu opfern, und nichts hätte mich mehr verletzen können, als die erlebte Schande. Mein Stolz war noch lebendig in mir, der Stolz, der uns seit der Kindheit anerzogen war und der es uns erlaubte, auf alle Menschen mit Verachtung herabzublicken, die nicht aus unserem Geschlecht stammten. Argelas wegen war ich einmal bereit gewesen, von ihm zu lassen, der mir bis dahin das Höchste auf Erden erschienen war.
Doch jetzt überkam mich der Teufel. Ich liebte dieses Mädchen genauso wie am ersten Tag, dennoch legte ich Verachtung in meine Stimme, als ich aufstand und sagte: »Von dir möchte ich keine Stiefel nachgetragen haben, geschweige denn meine Freiheit!«
»Ich habe dem Wächter Branntwein gebracht, er liegt betrunken vor der Türe, wir können fliehen! So komm doch, bitte!«, schluchzte sie und versuchte, mich fortzuziehen.
Kalt stieß ich sie zurück.
»Wenn die Stunde der Wachablöse gekommen ist, ist es zu spät, wir haben höchste Eile!«, stieß sie hervor, am Boden kauernd und meine Beine umklammernd.
Ein Triumphgefühl überkam mich, ein Gefühl der schrankenlosen Macht über einen Menschen und die Lust, diese zum Vernichten zu gebrauchen.
Ich rief: »Du hast mich in eine Falle gelockt und verraten …«
»Ich habe es doch schon sehr bereut, ich will es wieder gut machen, verzeih’ mir doch! Kannst du denn nicht vergeben?«
Wüstes Geheul schreckte uns auf, Gestampfe näherte sich, mein Wächter taumelte durch den Gang, von Fußtritten gestoßen, Fackeln erhellten die Szenerie.
»Lieber tot, als einem Weib das Leben verdanken!«, schrie ich und lachte.
Der groteske Zug hatte meinen Kerker erreicht, der Schwarze trat ein, mit weingerötetem Gesicht, die Locken wirr ins Gesicht hängend.
»Wir stören wohl!«, lachte er und zog Argela am Genick empor.
Sie sah mich mit unendlich traurigem Blick an und sagte: »Gott möge uns beiden verzeihen, meinen Verrat und deinen Mord!«
Ein wüst aussehender, aufgedunsener Fettwanst kreischte: »Jetzt muss er baumeln, das wird heiter!«
»Es war kein Mord«, schrie ich, »ich hab’ den Zweikampf gewonnen, du kannst nur nicht vertragen, dass er besiegt wurde, der Löwe!«
»Das wird ein Spaß«, kicherte der Dicke, »auf den Galgen mit ihm!«
Читать дальше